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Polens Politik zwischen den Fronten

Seit Anfang Juli hat Polen den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Doch ausgerechnet in diesem Herbst wird es Parlamentswahlen geben. Dann trifft Ministerpräsident Donald Tusk auf seinen alten Widersacher: Jaroslaw Kaczynski. Beobachter rechnen mit einem harten Wahlkampf.

Von Florian Kellermann | 06.07.2011
    Eine Veranstaltung der Partei "Recht und Gerechtigkeit" in der Warschauer Innenstadt. Von der Bühne dröhnt christliche Rockmusik, obwohl die meisten der Parteianhänger über 50 Jahre alt sind. Die Stimmung ist gereizt: Denn die rechtskonservative Partei mit dem Kürzel PiS landet in Umfragen seit Langem abgeschlagen auf Platz zwei - hinter der liberalen Partei PO von Ministerpäsident.Donald Tusk

    Weitere vier Jahre PO-Regierung wären fatal für das Land, sagt ein 60-jähriger Rentner.

    "Im Moment werden wir von Verrätern regiert. Sie lieben Moskau, sie lieben Berlin, sie lieben Israel, aber unsere Interessen verkaufen sie für ein paar Silberlinge. Leider kennen sich die meisten Polen da nicht aus, sonst hätten sie nicht so gewählt. Ich hoffe inständig, dass die Wahl einen Wechsel bringt."

    Seinen Namen könne er leider nicht nennen, sagt der Mann bedauernd.

    "Wenn wir in einem freien Land leben würden, dann würde ich es tun. Aber dieses Land ist nicht frei. Wer weiß, was mir morgen zustößt, wenn ich Ihnen meinen Namen gebe."

    So sprechen viele PiS-Anhänger - bis hinauf zum Vorsitzenden der Partei, zum Ex-Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski. Er behauptet, dass Polen kein Rechtsstaat sei und von fremden Mächten beherrscht werde. Als Beweis dafür nennt er den Absturz eines Regierungsflugzeuges im April vergangenes Jahr. Damals kam sein Zwillingsbruder Lech Kaczynski um - der damalige Staatspräsident. Jaroslaw Kaczynski erklärt, die polnische Regierung treffe mindestens eine Mitschuld an dem Unglück, und sie tue nichts für dessen Aufklärung. Deshalb sieht er sich im Recht, ihr grundsätzlich die Legitimation abzusprechen.

    Wenn es um Jaroslaw Kaczynski geht, dann fallen häufig religiöse Begriffe, um das Vorgehen des Oppositionspolitikers zu beschreiben. Der Politologe Wojciech Jablonski.

    "Die Partei PiS erinnert an eine Sekte. Das Flugzeugunglück in Smolensk bildet dabei den Gründungsmythos, Jaroslaw Kaczynski ist der Guru. Alle, die nicht an ihn glauben, werden sozusagen verdammt. In Polen kann so ein Konzept Erfolg haben, weil Religion hier seit jeher benutzt wird, um politischen Kampf zu rechtfertigen."

    Natürlich beruft sich Jaroslaw Kaczynski stets auf seinen katholischen Glauben. Bezeichnend ist aber, dass er sich zunehmend von der Kirche distanziert. Er beschränkt seine Zusammenarbeit auf deren ultrakonservativen Flügel rund um den umstrittenen Sender Radio Maryja.

    Kein Wunder also, dass ein Dialog zwischen Regierung und Opposition kaum noch möglich ist. Der Ton wird immer schärfer, auch auf der anderen Seite. Ein Beispiel: Nachdem Jaroslaw Kaczynski sich mit jungen Mitgliedern seiner Partei getroffen hatte, warf ihm ein Berater von Präsident Bronislaw Komorowski "politische Pädophilie" vor.

    Auf der Strecke bleibe dabei die konstruktive Politik, sagt Piotr Garncarek, der an der Warschauer Universität polnische Kultur für Ausländer lehrt.

    "Polen hat sehr viele zentrale Probleme zu lösen: Das Rentensystem muss reformiert werden, ebenso das Gesundheits- und das Bildungssystem. Außerdem sollten wir uns anstrengen, damit wir mehr Gewicht in der Europäischen Union bekommen, damit zum Beispiel niemand über unsere Köpfe hinweg mit Moskau verhandelt. Aber das alles geht unter in dieser Brutalisierung des politischen Lebens, wir diskutieren nur noch über Ersatzthemen."

    Der bevorstehende Wahlkampf werde deshalb sehr emotional, meinen Beobachter, sie erwarten von allen Seiten Schläge unter die Gürtellinie. Wie sehr das den polnischen Vorsitz im EU-Rat beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Als sicher gilt aber, dass ein Regierungswechsel noch während der Präsidentschaft Europa vor Probleme stellen würde. Der Politologe Wojciech Jablonski:

    "Ministerpräsident Donald Tusk präsentiert sich während der EU-Präsidentschaft als Staatsmann. Aber wenn Kaczynski die Wahl gewinnt und neuer Regierungschef wird, dann wird das polnische Image in Europa darunter leiden. Denn er zeigt sich sehr aggressiv gegenüber Europa und überhaupt dem Ausland und wird sich nicht an internationale Spielregeln halten."