Dienstag, 23. April 2024

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Polit-Revue in Karlsruhe
Mixtur aus Schlagerparade und Predigt

Juli Zeh und Ilija Trojanow haben den Bühnentext "Angriff auf die Freiheit" vorgelegt, Patrick Wengenroth hat ihn Karlsruhe inszeniert. Doch was Unterhaltungs-Show sein will, kommt mit arg übertriebenem pädagogischen Impetus daher. Eine Inszenierung, die genauso hilflos wirkt wie die Themen, die sie zu persiflieren sucht.

Von Christian Gampert | 07.04.2017
    04.07.2015 Außenaufnahme Badisches Staatstheater Karlsruhe mit dem Kunstwerk Musengaul der von Juergen Goertz entworfen wurde.
    Das badische Staatstheater Karlsruhe (imago / Zentrixx)
    Selbst bis zu den dogmatischsten Internet-Apologeten wie dem hochfrisierten Sascha Lobo hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass das Netz auch ein paar Nachteile hat: Der User ist meistens auch ein Loser, der von anderen abgegriffen wird – von Staat, Geheimdiensten, Kriminellen oder Wirtschaftsunternehmen. Aber keiner wehrt sich. Ilíja Trojánow und Juli Zeh finden dafür ein schönes Bild: Man kommt zufällig früher nach Hause, wo angeblich der Fliesenleger arbeitet – der aber sitzt am Computer des Hausherrn und liest sich durch die Dateien. Was würden Sie tun, fragt in Karlsruhe nun der Moderator. Klar, man schmeißt den Hand- und Netzwerker achtkant raus. Ist im wirklichen Leben, im wirklichen Netz aber ziemlich schwierig, denn die Mithörer, Mitschreiber, Mitwisser sind digital immer schon da, man kann sie nicht abschütteln.
    Sind wir in der Volkshochschule?
    Also, hochtrabend gesagt: Unsere Grundrechte sind bedroht. In dieser pathetischen Formulierung steckt auch schon das ganze Dilemma dieses Theaterabends. Der Regisseur Patrick Wengenroth lässt auf den Zuschauerbänken das Grundgesetz auslegen und das Publikum sodann "die Gedanken sind frei" singen. Rührend. Sind wir in der Volkshochschule? Nein, in einer Unterhaltungs-Show. Der Entertainer Gunnar Schmidt betritt in ekelrosa Glitzeranzug die Bühne und heizt schon mal kräftig vor:
    "So, also ich sag' Ihnen das noch mal, mal sehen ob da was kommt. Wir leben in einer gesunden Demokratie, Jawoll…. Wunderbar das funktioniert einfach. Hier ist alles bis zum durch brechen geprobt."
    Die Regie will das Thema leicht nehmen und lädt es doch ziemlich pädagogisch auf. Wenn der Einpeitscher vorne rhythmisches Händeklatschen fordert und dazu De-mo-kra-tie skandieren lässt, dann weiß man, dass man hier einer problemorientierten Einübung ins adulte Mitspieltheater beiwohnt. Aber ist nicht die gesamte Bundesrepublik ein großes Mitspieltheater, wo nichts mehr entschieden, sondern alles nur belabert, besungen und verwaltet wird? Vielleicht liegt Wengenroth ja ganz richtig mit seiner Polit-Revue. Zur Bebilderung der Problemlage wird etwa Udo Jürgens‘ Betroffenheits-Schnulze "Der gläserne Mensch" herangezogen – musikalisch also der allerneueste Materialstand.
    Böse Welt, aber schöne Menschen
    Ja, wir alle werden täglich veräppelt, gehackt und ausspioniert. Früher hat man etwas ver-öffentlicht, jetzt ist sowieso fast alles öffentlich. Immer nackicht. In Karlsruhe ist der Moderator deshalb meist oben ohne – Gunnar Schmidt zeigt den Damen, was er hat. Böse Welt, aber schöne Menschen. Kindische junge Internet-Nutzer erzählen uns, dass ihnen alles egal ist – und heißen überraschenderweise Achim Angepasst und so. Dann wieder predigtartige, aufrührerische politische Texte, Väterchen Lenin fährt im Rollstuhl vorbei, Motto: Wehr dich gegen den Staat – ja, aber wie? Die Server auf den Kaiman-Inseln bombardieren, oder was?
    Klaus Cofalka-Adami gibt sehr schön den Alibi-Behinderten mit Theorie-Schlagseite, Lisa Schlegel die frustrierte Hausfrau, die sich nur im Netz richtig spürt. Dazwischen nette musikalische Darbietungen wie "Fick dich ins Knie, Melancholie" oder "Ja ich glaube fest daran, dass uns Pizza retten kann".
    Altlinkes Weltbild auf digitale Bedingungen gestülpt
    Die Einlassungen von Ilija Trojanow und Juli Zeh kranken daran, dass sie ein altlinkes Weltbild auf digitale Bedingungen stülpen. In vielem haben die Autoren ja recht, permanent werden wir im Namen der Sicherheit kontrolliert. Aber es ist nicht fair, die Bedrohung durch einen radikalisierten Islam kleinzureden und die bislang wenigen europäischen Terroropfer mit der Zahl der Ertrunkenen und Verkehrstoten zu vergleichen. Das kann sich sehr schnell ändern - man schaue nach Nahost.
    Juli Zeh ist sogar naiv genug, einen Brief an die Bundeskanzlerin zu schreiben, der uns in Karlsruhe vorgebrüllt wird. Die Regie führt uns viele verschiedene Haltungen und Texte vor, agitiert und persifliert. Aber insgesamt ist diese Mixtur aus Predigt und Schlagerparade, Litanei und Pseudo- Diskussion, Fensterrede und seichter Fernsehshow genauso hilflos wie die Politik selbst, die keine Probleme mehr löst, sondern so tut als ob. Insofern trifft das Karlsruher Entertainment den Geist der Zeit.