Donnerstag, 04. April 2024

Archiv


Politik als Groteske

Giulio Andreotti ist ohne Zweifel der einflussreichste Politiker im Nachkriegs-Italien. Er ist Senator auf Lebenszeit, er bekleidete die höchsten politischen Ämter, er war in Skandale und Putschversuche involviert und hatte angeblich gute Beziehungen zur Mafia. Paolo Sorrentino hat dieses schillernde Politikerleben nun verfilmt.

Von Josef Schnelle | 16.04.2009
    Spitznamen: "Abgesehen von den punischen Kriegen haben sie mich für alles angeklagt, was je in Italien passiert ist und mich im Laufe der Jahre mit zahlreichen Spitznamen geehrt: der Göttliche, Julius Cäsar, der erste Buchstabe des Alphabets, der Bucklige, der Fuchs, der Moloch, der Salamander, der schwarze Papst, die Ewigkeit, der Schattenmann, Belzebub. Aber ich habe nie Klage gegen irgendjemanden erhoben. Da ich nicht viel Phantasie habe, besitze ich ein großes Archiv. Und jedes Mal wenn ich dieses Archiv erwähne schweigen diejenigen, die schweigen sollen – wie durch einen Zauber."

    Giulio Andreotti ist mit 90 Jahren Italiens ältester noch lebender Politiker und immer noch Senator auf Lebenszeit. Im Nachkriegs-Italien beherrscht von der konservativen "Democratia Christiana" war er vermutlich in alle politischen Skandale bis hin zum Putschversuch der geheimnisvollen Politologe P2 verwickelt. Ihm wurden gute Verbindungen zur Mafia nachgesagt und missliebige Konkurrenten sollen per Auftragsmord aus der Welt geschafft worden sein. Nie wurde er jedoch rechtskräftig verurteilt. Regisseur Paolo Sorrentino erzählt also bewusst - einem erdachten inneren Monolog Andreottis folgend - eine märchenhafte Geschichte von Politik, Korruption und Verbrechen in Italien. Obwohl Hauptdarsteller Toni Servillo bis in Haltungsmarotten hinein den umstrittenen italienischen Alt-Politiker imitiert, stellt er eine Phantasiefigur her, den Idealtypus des italienischen Dunkelmanns der Politik: verschlagen, korrupt, machtbewusst und zynisch – dazu ein Showfreak. Im letzten Punkt hat Silvio Berlusconi – von Andreotti übrigens als Senator mitgewählt – ihn feixend auf den Gipfeltreffen der Macht überholt. Natürlich will Paolo Sorrentino mit seinem Film auch die nun herrschende Nomenklatura der italienischen Politik treffen, was ihm übrigens besser gelingt als Nanni Moretti 2006, der mit "Il caimano" direkt auf den Partykönig Berlusconi losging. Sorrentino beschreibt nämlich das raffinierte System des Machterhalts bis in feinste Verästelungen. Prozesse und Anklagen und Untersuchungsausschüsse gehören dazu. Hauptsache sie werden irgendwann eingestellt.

    "26 Mal wurde ich wegen 26 verschiedener Anklagen vor die Untersuchungskommission gebracht. Sie haben mich Stunden lang reden lassen, aber jede Anklage musste eingestellt werden. Eingestellt. Eingestellt. Eingestellt."

    "Il Divo" ist ganz bewusst kein neorealistischer Polit-Krimi im Stile des Mafia-Thrillers "Hände über der Stadt". Bei aller Bosheit seiner Figur gegenüber entfaltet er sie mit fast höfischer Eleganz. Manchmal wenn Andreotti, seine Frau und ihre Paladine Hof halten, wähnt man sich im Zeitalter der Borgia-Päpste. In einem großen Saal sitzen Giulio und seine Frau und nehmen - mental fast abwesend - die Parade der Bittsteller ab. Irgendwann wird daraus eine Art Tanz. Es könnte eine Party sein, doch Sorrentino schafft es, mit einer verzögerten traumartigen Choreografie der Szene klar zu machen, dass einer in diesem Marionettentheater die Fäden in der Hand behält: Andreotti – die Spinne im Netz. Dann wieder gerät der Film ins fast sentimentale – etwa wenn das Ehepaar Andreotti traurig und trostlos fernsieht. Immer wieder wechselt Sorrentino den filmischen Tonfall. Mal ist der Film Polit-Thriller, dann wieder sorgt er sich bei einer Beichte um Andreottis Seelenheil, um im nächsten Augenblick in einer wilden Action-Sequenz die vermuteten Mafiamorde zu einem Popsong zusammenzuballen.

    Angetrieben von gerechtem Zorn, aber auch von kaum verhohlener Faszination hat Paolo Sorrentino dem politischen Film eine neue knallig-surreale Variante hinzugefügt und man mag denken: Wie wär das wohl? Ein frecher deutscher Film über einen deutschen Politiker. Vermutlich darf man sich aber nicht mal über Erich Honecker mit solchem Ernst bei uns lustig machen. Giulio Andreotti übrigens hat nicht gegen den Film geklagt. Das macht er nie.