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Politik und Emotion
Zwischen Leidenschaft und Demagogie

Das abendländische Denken setzt mehr auf die Vernunft und hält nicht so viel von gefühlsgesteuertem Handeln. Wie ist es in der Politik? Wann sind hier Emotionen gut, wann sind sie schädlich? Ein Thema auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft.

Von Ingeborg Breuer | 31.07.2014
    Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Herbert Wehner spricht am 16.04.1971 auf der SPD-Wahlkampfveranstaltung für die bevorstehenden Landtagswahlen im schleswig-holsteinischen Neumünster.
    Zu Herbert Wehners Zeite bestimmten Emotionen oft die Debatten des Bundestags. (picture alliance / dpa / Wulf Pfeiffer)
    Strauß: "Im Parlament soll ja nach Meinung des Herrn Wehner mal farbig geredet werden."
    Wehner: "Das ist eine Gegenposition, die Sie haben, so wie Sie eine gegen uns haben."
    Strauß: "Wenn jemand, ... wie haben Sie's gemeint?"
    Wehner: "Wenn Sie das Theater so weiter führen, richten sie sich nur selbst."
    Strauß: "Aber das heißt, in Zusammenhängen denken zu können, und die Gabe habe ich noch nie bei ihnen gefunden."
    Es sind legendäre Parlamentsdebatten, die zwischen Franz Josef Strauß und Herbert Wehner, auch wenn es dabei oftmals weniger um die Sache als um rhetorische Punktsiege ging. Politik inszenierte sich mit Leidenschaft, die oftmals allerdings in Pöbelei ausartete. Wie anders dagegen die wohltemperierte Politik in der Ära Merkel. Hitzige Ausschläge werden direkt abgekühlt. Denn Emotionen gehören allenfalls auf die Fußballtribüne.
    "Diese vornehme Unangreifbarkeit, auch dieser unheroische Stil, den die Kanzlerin vorlegt, ist sehr beliebt, weil sie unangestrengt hervorkommt, weil sie sachlich unsere Probleme versucht zu lösen." Viele halten den Stil von Angela Merkel, so der Duisburger Politikwissenschaftler Prof. Korte, für die optimale Voraussetzung des politischen Handeln: unprätentiös, sachlich, moderierend. Emotionen stören da, wo objektive Einschätzungen und rationale Strategien gefordert sind. Jürgen Habermas hat das philosophisch untermauert: politisches Handeln muss durch Vernunft geprägt sein, die allein auf dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments" basiert.
    "Die politische Theorie ist eigentlich davon ausgegangen, dass Emotionen nicht vernünftig sind und dass die Vernunft ein Instrumentarium ist, über das der Mensch verfügt, indem er emotionslos über Sachen nachdenkt und auch entscheiden kann." Prof. Friedbert Rüb, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin. "Erst mal war das eine Dichotomie: die Massen, die Emotion sind gefährlich, während die Vernunft das Produktive ist und die Menschheit auf ein positives Gleis der Geschichte setzt."
    Das westliche Denken setzt stärker auf die Vernunft
    Die Abwertung des Gefühls und die Wertschätzung der Vernunft durchziehen das abendländische Denken. Bereits für Platon bestand die Seele aus einem fühlenden, einem wollenden und einem denkenden Teil. Letzterer musste - gleich einem Wagenlenker seine Pferde - die beiden anderen Teile auf Kurs halten. Die Realität war aber oft anders. In seinem Buch „Zorn und Zeit" beschrieb der Philosoph Peter Sloterdijk, dass es vor allem der Zorn gewesen sei, der die Geschichte vorantrieb. Bereits in Homers Ilias verursacht der „Zorn des Achill", den Trojanischen Krieg. Und die Französische Revolution schuf durch die Wut des Volkes eine neue Gesellschaft.
    Friedbert Rüb: "In der Ideengeschichte spielt der Zorn eine große Rolle und er ist nicht eindeutig gut oder böse. Sondern ein Sachverhalt, mit dem die politische Theorie konfrontiert ist und der zum Wesen des Menschen gehört, vor allem in der älteren politischen Theorie. Und die Empörung und der Zorn können in beide Richtungen gehen, er kann was Negatives sein, indem Menschen unterdrückt werden. Oder was Gutes, indem Menschen um ihre Freiheiten kämpfen und sich empören."
    Allerdings entwickelte der Zorn gerade im 20. Jhd. eine bis dahin ungeahnte Zerstörungskraft und wurde zum Gegenbegriff aller Vernunft und Humanität. Friedbert Rüb: "Was man im 20. Jhd. beobachten kann, ist, wenn man die Massen emotionalisiert, wenn sie emotional sind, dann kann das zu einer ungeheuren Zerstörungswut führen. Der Nationalsozialismus ist vielleicht ein Prototypus dafür, wie bestimmte Regimes die Massen mobilisiert haben und ein ungeheures destruktives Potential produziert haben."
    Seit geraumer Zeit spielt in der Politikwissenschaft die sogenannte „Rational Choice-Theorie" eine wichtige Rolle. Sie gründet darauf, dass politische Akteure in Entscheidungssituationen rational darum bemüht sind, ihre Interessen zu realisieren. Reinhard Wolf, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Frankfurt: "Bisher sind unsere Theorien hauptsächlich von einem rationalen Menschenbild ausgegangen und setzen voraus, dass Außenpolitik von Experten gemacht wird, die dann versuchen für ihre Staaten die bestmöglichen Ergebnisse zu erreichen, also den Nutzen zu maximieren. Dahinter steht das Weltbild des Homo oeconomicus."
    Comeback der Gefühle in der Politikwissenschaft
    Zunehmend allerdings, so der Frankfurter Politikwissenschaftler, komme es zu einem „emotional turn" in der Beurteilung politischer Entscheidungen. Nicht zuletzt aufgrund von Ergebnissen der Hirnforschung erkenne man, dass menschliches Handeln keineswegs im Regelfall, sondern nur ausnahmsweise durch rationale Kalkulationen bestimmt werde. Auch politisches Handeln entspringe eher einem „informierten Bauch" als den vernünftigen Überlegungen eines kühlen Kopfes.
    Reinhard Wolf: "Ich habe davon gesprochen, dass unsere moralischen Urteile letztlich von unseren moralischen Intuitionen und Emotionen. Leider nicht umgekehrt und wenn wir uns dessen stärker bewusst werden, dann werden wir auch eher verstehen, warum die anderen zu anderen Urteilen kommen und dass das nicht zwangsläufig damit zu tun hat, dass die anderen weniger intelligent oder weniger moralisch sind als wir."
    Reinhard Wolf geht davon aus, dass - mehr als bisher angenommen - Emotionen auch die internationalen Beziehungen bestimmen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war von einem Rausch nationalistischer Gefühle begleitet, die atomare „Angst" bestimmte die Aufrüstungsspirale des Kalten Krieges. Auch heute sieht Wolf Außenpolitik oft durch Leidenschaften geprägt. Z.B. in der aktuellen Ukraine-Krise. Ist der russische Präsident Wladimir Putin ein kühler Stratege? Oder steht bei ihm am Anfang, wie Wolf meint, verletzter Stolz?
    Reinhard Wolf: "Ich denke, schon am Ursprung dieses Konfliktes steht dieses weitverbreitete Gefühl in Russland, nicht zuletzt bei Putin selber, dass man vom Westen nicht genug geachtet würde und das schon lange, seit der Nato-Osterweiterung. Und ökonomisch macht die Vorgehensweise von Putin wenig Sinn, es ist nur dahinter diese Wahrnehmung, ... das können wir uns nicht bieten lassen und jetzt müssen wir endlich was tun, damit die uns wieder respektieren."
    Wie aber können Leidenschaften in der Politik gebändigt werden, wenn die Vernunft offenbar ein schwacher Dompteur ist? Die Menschen würden sich wie Wölfe zerfleischen, meinte im 17. Jahrhundert der Staatstheoretiker Thomas Hobbes, wenn nicht die absolute Macht des Staates deren Aggressionspotential gewaltsam beugen würde. Und zu den politischen Ideen der Aufklärung gehörte dann, dass diese Staatsmacht selbst sich einer Verfassung unterwerfen müsse. Der Berliner Politikwissenschaftler Friedbert Rüb: "Da man sich auf die Vernunft nicht verlassen kann, hat die politische Theorie nachgedacht wie man über Institutionen die Leidenschaften der Menschen nicht aufheben kann, aber wie man sie so in Kanäle lenken kann, dass eine produktive Form. Und die Gewaltenteilung ist ein zentraler Mechanismus, die Zugestehung von Rechten, die Bildung von Verfassung, all diese Sachen führen dazu, dass man Fesseln und Bremsen baut und die Leidenschaften gewissermaßen einzähmt und sie in einer gezähmten und zivilisierten Form trotzdem produktiv nutzen kann."
    Auch ein Rechtsstaat lebt von emotionaler Zustimmung
    Aufgrund seiner Institutionen und Regularien geht es im Rechtsstaat vernünftiger zu als in Staatsformen, die individueller und kollektiver Willkür buchstäblich mehr Frei-Raum geben, meint auch Reinhard Wolf von der Universität Frankfurt: "Im allgemeinen würde ich vermuten, dass es Demokratien schon ein bisschen rationaler zugeht, weil wir ja auch Verfahren, Verfassungen haben, das ganze Rechtssystem, der Rechtsstaat dämpft die Leidenschaften etwas, sorgt dafür, dass Entscheidungen kontrolliert werden, dass Politiker und Politikerinnen rechenschaftspflichtig sind."
    Wobei zu fragen ist, ob die Wirkungsmacht einer Verfassung nicht selbst wiederum der emotionalen Bindung an diese entspringt. Denn wieso sollten die Bürgerinnen und Bürger bereit sein, den Rechtsstaat zu verteidigen, wenn sie sich nicht gefühlsmäßig mit diesem identifizieren? So gesehen wiederum sind Vernunft und Leidenschaft, meint auch Karl Rudolf Korte, kein Widerspruch: "Nur das leidenschaftlich vorgetragene Argument führt vielleicht auch zum leidenschaftlich vorgetragenen Gegenargument. Das ist die Faszination, dem zuzuhören, sich damit auseinanderzusetzen."
    Diese Leidenschaft zu Argument und vernünftiger Auseinandersetzung vermisst der Duisburger Politikwissenschaftler aber zur Zeit in der deutschen Politik: "Wir haben fast eine Debattenallergie in Deutschland, in Zeiten der großen Koalition ganz besonders. Und jedes Argument was abweicht, wird sofort gekauft und man geht zur Tagesordnung über statt sich daran mal zu reiben und vielleicht sich von dem Argument entfachen zu lassen."
    Und trotzdem bleibt Vorsicht geboten, wenn Argumente von Leidenschaften getragen werden. Denn Leidenschaft verliert schnell ihren vernünftigen Kern, da paart sich dann Emotionalität mit Aggressivität, wird zwischen Freund und Feind polarisiert, entsteht Demagogie. Wo in der europäischen Politik heute Emotionen dominieren, sind zugleich Krisen, Populismus und dumpfe Vorurteile nicht weit.