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Politiker und ihre Debatten als Seifenoper

Die Medien verbreiten schlechte Nachrichten - leider auch über sich selbst: Redaktionen schrumpfen, Zeitungen werden dünner, der Konkurrenzdruck immer härter. In Zeiten wie diesen ist es schwer, die journalistische Qualität zu wahren. Um eben diese aber geht es in dem Buch von Tom Schimmeck.

Von Helge Buttkereit | 29.03.2010
    Es steht nicht gut um die kritische Öffentlichkeit in Deutschland. Die Inszenierung der Politik als Show hat häufig die Beschäftigung mit politischen Inhalten abgelöst. In den Redaktionen wird gespart, immer weniger Journalisten müssen mit einem geringeren Budget die gleiche Menge an Aufgaben leisten. Auch deshalb lassen sie sich von den unterschiedlichsten Meinungsmachern manipulieren und schreiben im eintönigen Gleichklang mit den Kollegen. Niemand will abseitsstehen. So lassen sich knapp einige der Kernaussagen von Tom Schimmecks Buch "Am besten nichts Neues" zusammenfassen. Funktioniert die demokratische Öffentlichkeit noch?, fragt sich Schimmeck, selber freier Journalist, einst taz-Mitgründer und Spiegelredakteur.

    "Immer mehr Parteien, Firmen, Politiker, überhaupt Interessen artikulieren sich heute professionell, haben Leute, die dafür sorgen, dass bestimmte Positionen auf eine bestimmte Art in der Öffentlichkeit auftauchen, dass bestimmte Leute mit einem bestimmten Image sich in der Öffentlichkeit bewegen und da sind glaube ich die meisten Journalisten nicht mehr auf Augenhöhe."
    An einer Vielzahl von interessanten Beispielen erörtert der Autor die Funktionsweise von Kampagnen und Politik, von Meinungsmache und Mitläufertum. Da wäre der Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft", der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Er prägte den Wahlkampf 2005 und ist doch eigentlich nur die Wiederauflage von Alfred Hugenbergs Spruch "Sozial ist, wer Arbeit schafft" aus dem Jahr 1923. Dass der wieder aufgewärmte Slogan des Wegbereiters Adolf Hitlers keinen Protestschrei auslöste, zeige, wie zügig das politische Niveau unter Propagandabeschallung in immer tiefer liegende Kellergeschosse vordringe, schreibt Schimmeck.

    Er durchleuchtet noch viele weitere Fälle. Die Karriere des Wortes Gutmensch gehört ebenso dazu wie der Siegeszug des Neoliberalismus als dominanter Ideologie bis in die Redaktionsstuben hinein. Alle Beispiele sind dabei kurzweilig zu lesen, auch wenn Schimmeck in die Tiefe geht. Er will die Gründe wissen und bietet so einen erhellenden Blick auf vorgebliche Realitäten, die Leser und leider auch viele Journalisten oft genug unhinterfragt als solche annehmen. Er wirft den Medienmacher vor, dass sie sich vielfach nur noch mit Scheinwelten befassen, wie es besonders im Berliner Regierungsviertel zu beobachten ist. Schimmeck beschreibt hier eine abgehobene Sphäre mit eigener Wirklichkeit, die eher einer surrealen Kunstwelt gleiche.

    Man managt seinen Laden, seine Partei, seine Stiftung, organisiert sich, frisiert sich, präsentiert sich; macht Politik, Meinung ein paar Geschäfte. Mitte – das Gehege der gernegroßen Tiere. Wer sich aus dieser Kulisse mit Bus oder Bahn in beliebiger Richtung fortbewegt, hat stets schon nach zwei, drei Stationen das Gefühl, in einer anderen Welt anzukommen. Oder genauer: in die Wirklichkeit zurückzukehren.
    In dieser Welt werden laut Schimmeck Botschaften verkündet, ohne dass es wirklich welche gibt. Politiker und ihre Debatten werden selbst im Leitmedium Spiegel als Seifenoper à la Dallas präsentiert und oft genug durch die Medien selber inszeniert, wie es der Aufstieg des heutigen Verteidigungsministers beispielhaft zeigt.

    "Gerade ein Guttenberg funktionierte ja auch ganz stark über Boulevardmedien über Bunte und Bild und so weiter und tut das heute noch. Das waren die Medien, die ihn prominent gemacht haben. Da geht es nicht um politische Fragen, jedenfalls nicht primär, da geht es erst mal darum, einen Typ sozusagen in die Umlaufbahn zu schießen."
    Karl Theodor zu Guttenberg und die Inszenierung als strahlenden Hoffnungsträger ohne Inhalte ist nur die Spitze eines Eisbergs. Die Spitze einer Vermengung von Show und Politik, die auch deshalb so gut funktioniert, weil die Journalisten gerne oben mitmischen. Zu viele ignorierten den Auftrag der kritischen Kontrolle der Mächtigen, die sicher nicht nur nach Schimmecks Meinung Kern des aufklärerischen Journalismus in der Demokratie zu sein hat. Er beschreibt die durchschnittlichen Medienmacher von heute wie folgt:

    Gemein ist ihnen wohl ein Mangel an Intensität, an Wunsch und Richtung. Sie lieben das Ranking, teilen die Welt in Top oder Flop. Sie wollen oben schwimmen, bei den Gewinnern sein, in der VIP-Lounge. Und legen viel Wetgel und Bodylotion aus – damit es besser flutscht.
    Dass Schimmeck hier seine Verachtung für die Speichellecker der Mächtigen ausdrückt, stört weniger als die Ausdrucksweise. Sie ähnelt leider an einigen Stellen dem Stil solcher Kollegen, die er wenige Sätze zuvor scharf kritisiert. Das tut dem Buch nicht gut. Mehr Sachlichkeit, mehr analytische Tiefe vielleicht in Form einer thesenhaften Abstraktion von den zahlreichen Beispielen wäre da zuweilen wünschenswert gewesen. Zumal Schimmeck sein Buch wie ein großes Feature gliedert hat und es aus vielen unterschiedlichen Bestandteilen zusammensetzt. Der Autor hangelt sich vom modernen Hofschranzentum in Berlin über den Gleichklang des Niederschreibens von Andrea Ypsilanti bis zur Börsenberichterstattung als Show. Bei der Fülle der Themen droht der Leser sich an einigen Stellen zu verlaufen, aber er kommt doch immer wieder ans Ziel. Denn Schimmeck gelingt es, in jedem Beispiel das große Ganze durchscheinen zu lassen. Jeder Fall steht paradigmatisch für den Zustand der heutigen Öffentlichkeit und zeigt, dass es um sie nicht gut bestellt ist. Die Journalisten nehmen ihren Auftrag als vierte Gewalt immer weniger wahr, während sich die Konsumenten von der allgegenwärtigen Unterhaltung einlullen lassen. Pessimist ist der Autor deshalb nicht geworden, sein optimistischer Ausblick steht ein wenig im Widerspruch zu seiner Analyse. Was schlägt er vor?

    "Nun, der Leser, Hörer, Zuschauer hat nur die Möglichkeit auszuwählen, welche Dinge er liest, hört und sieht. Der Medienmacher, der Journalist kann sich natürlich jeden Tag aufs Neue entscheiden, worüber er berichtet und wie er darüber berichtet, und die Inhaber der Medien also die Verleger, die öffentlich-rechtlichen Anstalten, jeder einzelne Webblogger müssen überlegen, was ist uns wichtig, was ist für uns Thema, wie gucken wir uns das an, wen beschäftigen wir. Das sind Entscheidungen, die jeden Tag aufs Neue fallen."
    Als Hilfe für diese täglichen Entscheidungen ist Tom Schimmecks Buch auf jeden Fall uneingeschränkt zu empfehlen – und zwar für alle Beteiligten.


    Tom Schimmeck: "Am besten nichts Neues - Medien, Macht und Meinungsmache". Westend, 304 Seiten, Euro 17,95. ISBN: 978-3938060506