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Politikern vertraut man anders

Psychologie.- Ein nettes Lächeln, eine souveräne Pose - die bunte Bilderwelt der Wahlplakate zeigt: Das äußere Erscheinungsbild eines Politikers trägt maßgeblich zum Wahlerfolg bei. Was aber ist es, das Politikergesichter so vertrauenswürdig macht?

Von Martin Hubert | 01.11.2010
    Eigentlich wollte die Forschergruppe um Nalini Ambady von der amerikanischen Tufts University nur eine altehrwürdige wissenschaftliche Frage neu untersuchen. Die Psychologen interessierte, welche menschlichen Eigenschaften universal sind und welche sich kulturell voneinander unterscheiden. Die Fragestellung allerdings, mit der sie an das Thema herangingen, verschaffte ihrer Studie politische Brisanz.

    "Wir wählten Gesichter von Kandidaten für die amerikanischen Senatswahlen und die japanischen Parlamentswahlen zwischen den Jahren 2004 und 2006 aus und präsentierten sie den Versuchspersonen. Es waren genau so viel Wahlgewinner wie Wahlverlierer darunter. Unsere japanischen und amerikanischen Versuchspersonen sollten diese Gesichter dann mit bestimmten Adjektiven bewerten: wirken sie zum Beispiel dominant, warmherzig oder liebenswert?"

    Die Versuchspersonen benutzten eine siebenstellige Skala, um die Gesichter zu bewerten. Wert 1 für "Warmherzigkeit" hieß:"Der Kandidat wirkt eher kalt", Wert 7 hieß so viel wie: "Er wärmt einem das Herz". In mehreren Tests schleusten die Forscher jeweils zwischen 30 und 40 Versuchspersonen aus den zwei Kulturen durch ihr Experiment. Wobei ein Testdurchgang noch wenig Überraschendes zu Tage förderte. Hier wussten die Versuchspersonen, dass es sich um Gesichter von Politikern handelte.

    "Wir fragten die Testpersonen, welchen der Kandidaten sie wählen würden. Das Ergebnis fiel sehr unterschiedlich aus: Japaner tendierten zu Kandidaten, die sie als warmherzig beschrieben hatten, Amerikaner dagegen zu solchen, die einen starken und dominanten Eindruck auf sie machten."

    Das Ergebnis bestätigte also nur eine altbekannte Tatsache, die fast schon zum Klischee geworden ist: Amerikaner lieben Dominanz und Durchsetzungsstärke, Japaner höfliches und zurückhaltendes Verhalten. Die Ergebnisse dieses Testdurchlaufs entsprachen denn auch nur den Wahlergebnissen im eigenen Land. Die positiven Gesichtseinschätzungen der japanischen und amerikanischen Versuchspersonen stimmten ausschließlich mit dem Wahlerfolg der Kandidaten in ihrer eigenen Nation überein, nicht aber über die Kulturgrenzen hinweg. In einer weiteren Studie gaben die Wissenschaftler anderen Probanden jedoch die Chance, ganz unbeeinflusst zu entscheiden. Sie sagten ihnen nicht, dass sie Gesichter von Politikern vor sich hatten und schickten sie erneut in den Test.

    "Jetzt stellte sich heraus, dass die Versuchspersonen über die Kulturgrenzen hinweg die gleichen Urteile fällten! Japaner und Amerikaner waren sich einig darin, wie Warmherzigkeit und Dominanzstreben einzuschätzen ist."

    Warmherzige Gesichter galten als positiv, machtbewusste als negativ. Verblüffend an diesem Ergebnis war aber vor allem, dass die Gesichtsbewertungen der Versuchspersonen nun auch über die Kulturen hinweg den Erfolg der Kandidaten voraussagten. Nalini Ambadys Schlussfolgerung:

    "Sobald man sich überlegt, wen man wählen soll, treten kulturelle Unterschiede auf, die voneinander abweichende kulturelle Werte und Prioritäten reflektieren, und das, obwohl die Menschen sich eigentlich in ihrer Einschätzung von Persönlichkeitsmerkmalen einig sind."

    Anders ausgedrückt: Japaner und Amerikaner wären sich vom äußeren Eindruck her darüber einig, wer ein guter Politiker ist - wenn sie nicht wüssten, dass es sich um Politiker handelt. Dieses Testergebnis zeigt nicht nur, dass es unterhalb der kulturellen Prägungen erstaunliche universale Eigenschaften gibt. Es wirft auch die Frage auf, wie weit sich die politische Kultur von den allgemein geltenden Maßstäben der Kultur entfernt hat.