Donnerstag, 25. April 2024

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Politikwissenschaftler Anthony Glees
"Theresa May wird morgen immer noch Premierministerin sein"

Der Politikwissenschaftler Anthony Glees erwartet, dass Theresa May und die Tories die vorgezogene Parlamentswahl in Großbritannien gewinnen werden. Diese Wahl sei nach den letzten Terroranschlägen zu einer Abstimmung über die nationale Sicherheit geworden, ein Thema der Konservativen, so Glees im Dlf.

Anthony Glees im Gespräch mit Christiane Kaess | 08.06.2017
    Theresa May und ihr Ehemann Philip
    Die britische Premierministerin Theresa May und ihr Ehemann Philip haben zu der Parlamentswahl am Donnerstag ihre Stimme in einem Wahllokal in dem Dorf Sonning in der Nähe von London abgegeben. (imago/Stephen Lock)
    Christiane Kaess: Hat sich die britische Premierministerin Theresa May da eventuell verrechnet? Als sie sich Mitte Mai entschlossen hat, Neuwahlen auszurufen, da stand ihre konservative Partei in den Umfragen bestens da. Eine Neuwahl hätte ihr mit einem zu erwartenden guten Ergebnis den Rücken gestärkt für die anstehenden Brexit-Verhandlungen. Aber mittlerweile sieht es laut Umfragen gar nicht mehr so gut aus für die Tories. Labour hat aufgeholt. Kurz vor der Sendung habe ich mit Anthony Glees gesprochen. Er ist Politikwissenschaftler an der University of Buckingham. Er leitet dort das Zentrum für Sicherheits- und Geheimdienst-Studien. Ich habe ihn zuerst gefragt, mit welchem Ausgang der Wahl er rechnet.
    Anthony Glees: Ich glaube, dass Theresa May morgen immer noch Premierministerin sein wird, mit einer Mehrheit, vielleicht so groß, wie sie sie jetzt hat, ungefähr zwölf Sitze. Es kann aber größer sein, 40 Sitze. Ich nehme an, dass Jeremy Corbyn die Wahl verliert, obwohl er glänzend gekämpft hat.
    Kaess: Warum sind Sie sich da so sicher?
    Glees: Weil die Wahl sich verändert hat. Es fing an als eine Wahl über Brexit. Es sollten die Details von Brexit und die verschiedenen Ansichten von Labour und Tories zu der großen Frage, der größten Frage unserer Generation eigentlich, nämlich dem Brexit erörtert werden. Theresa May lag 24 Punkte vor Jeremy Corbyn. Deswegen war diese Wahl vorzeitig ausgerufen. Aber nach den Anschlägen in Manchester und dann letzten Samstagabend in London, Borough Market und London Bridge, wurde es immer klarer, dass dies eine Wahl über die nationale Sicherheit war. Und obwohl Theresa May viele Fehler in Fragen der Sicherheit gemacht hat – die war ja Innenministerin seit 2010 bis zum letzten Jahr, wo sie Premierministerin wurde. Viele der Probleme sind ihrer Politik genau anzuheften. Aber ideologisch sind die Tories die Partei der Sicherheit, dabei Labour vielleicht die Partei der Sozialpolitik, aber in Sicherheitsfragen war es sehr schwierig für Jeremy Corbyn, da Fortschritte zu machen.
    Kaess: Dennoch, Herr Glees, sagen Sie, dass Corbyn glänzend gekämpft hat. Was meinen Sie damit?
    Glees: Er hat idealistisch, romantisch, sozialistisch gekämpft und als Person kam er gut voran – ein lieblicher, großväterlicher Typ, der sich für Kleingärtnerei und reinen Sozialismus interessierte. Und das kam gut an. Theresa May, die stellte sich so wenig wie möglich der Presse und den Medien. Sie erschien kaum im Fernsehen. Wenig Charme, eiskalt und ist schwer anzufassen von dem Publikum.
    Kaess: Jetzt haben Sie gerade gesagt, dieser harte Kurs von May bei der Terrorbekämpfung, der kommt eigentlich ganz gut an. Sie hat ja gesagt, dass sie dafür auch die Menschenrechte einschränken würde. Aber offenbar würde auch das die Wähler nicht stören?
    "Es ist keine gute Zeit, eine Wahl zu haben"
    Glees: Ich glaube, zurzeit, wissen Sie, die Stimmung in Großbritannien ist sehr labil. Es ist keine gute Zeit, eine Wahl zu haben. Die armen Briten haben etliche Wahlen und Referenden jetzt hinter sich, Schottland, Brexit, auch das Referendum über das Wahlrecht. Und dann diese Anschläge, diese fürchterlichen Anschläge, besonders vielleicht der Anschlag in Manchester, denn das war auf Kinder gerichtet und geplant, mit einer fürchterlichen Bombe zu zerstören. Und man kann es gut verstehen, dass Theresa May sehr stark über Sicherheit reden kann. Jeremy Corbyn dagegen ist belastet. Er war ein Freund von Hamas, Befürworter von der IRA, schon vor 30 Jahren, und er war die ganze Zeit der Meinung, dass die Sicherheit durch Verhandlungen zu gewährleisten sei.
    Jeder Brite sieht die islamistischen Terroristen, mit denen wir es jetzt zu tun haben, zurzeit zu tun haben, die sind an Verhandlungen gar nicht interessiert. Die wollen nur zerstören und morden. Das Ganze von Jeremy Corbyn, wo es auf Sicherheit ging, war meines Erachtens falsch für eine Mehrheit der britischen Wähler. Und wenn Sie zu den Tory-Befürwortern die UKIP-Befürworter dazuzählen – die haben zwölf Prozent in 2015 bekommen, die Tories haben 37 Prozent –, wenn man die zwei Zahlen aneinanderstellt, was richtig ist, denn die Tories sind jetzt die UKIP-Partei, dann sieht man, warum es sehr gut möglich ist, dass Theresa May die Mehrheit bekommt.


    Kaess: Damit wären wir auch wieder bei dem zweiten wichtigen Thema, dem Brexit, von dem Sie gesagt haben, das ist eigentlich das wichtigste Thema. Sollten die Tories gewinnen, was bedeutet das dann für die Brexit-Verhandlungen?
    Anthony Glees
    Anthony Glees (June Costard)
    Glees: Es kommt darauf an, wie sie gewinnen. Wenn Theresa May eine sehr knappe Mehrheit hat, weniger als sie jetzt hat, so ungefähr zwölf Sitze oder weniger, dann wird das bestimmt zu einem viel härteren Brexit führen, weil die Macht der harten, der diamantharten Brexitiers in ihrer eigenen Partei dadurch gestärkt wird. Theresa May wird deren Stimmen brauchen. Die werden auch mehr Regierungsposten haben. Theresa May wollte den Brexit nicht, besonders nicht aus Sicherheitsgründen, aber auch aus guten wirtschaftlichen Gründen. Das macht sie leicht verwundbar. Aber wenn ihre Mehrheit größer ist, als sie jetzt ist, und erheblich größer ist, 40 bis 60 Sitze, dann wird der Brexit sanfter sein, oder sie möchte einen sanften Brexit – sie nennt es "sauberen Brexit" – herbeiholen. Die letzte, beste Hoffnung für die, die den Brexit eigentlich nicht haben wollten, ist ironischerweise eine sehr große Mehrheit für Theresa May.
    Kaess: Und das etwas unwahrscheinlichere Szenario, zumindest wenn man den Umfragen glaubt, sollte Labour doch gewinnen, was würde dann passieren?
    "Wenn Labour an der Macht wäre, wäre der Brexit sanfter"
    Glees: Die Frage ist natürlich berechtigt. Es gibt eine Meinungsumfrage, wo die Tories nur um einen Punkt vorne liegen, und das würde bedeuten, dass Jeremy Corbyn Premierminister wird. Denn er könnte zusammen mit den Grünen, den Liberaldemokraten und den schottischen Nationalisten eine Regierung bilden, und alle haben sich bereit erklärt, das zu tun. Ohne jegliche Zweifel: Wenn Labour an der Macht wäre, wäre der Brexit sanfter noch als Frau Mays Brexit.
    Kaess: Können Sie ein Beispiel sagen, was das heißen würde, was das bedeuten würde?
    Glees: Ich glaube, das, was Labour sehr gerne tun möchte, ist die Verhandlung auf Jahre hin auszudehnen. Auf alle Fälle wird Labour nicht Sachen machen, die die industrielle Basis, die immerhin sehr klein ist, aber sehr wichtig in Großbritannien, dass das durch den Brexit zerstört wird. Die diamantharten Tories sind bereit, Großbritannien in ein Singapur zu verändern, aber Labour will die traditionellen Industrien beibehalten. Das bedeutet, dass Leute wie BMW immer noch, Volkswagen immer noch, Siemens immer noch in Großbritannien sein sollten, und Labour würde das auf alle Fälle versuchen zu verwirklichen. Das ist der große Unterschied. Ich glaube, dass Theresa May auch diese Industrien in Großbritannien behalten möchte, aber wenn ihre Mehrheit klein ist, dann wie gesagt, sind die Diamantharten dran.
    Kaess: Die Einschätzung von Anthony Glees. Er ist Politikwissenschaftler an der University of Buckingham. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
    Glees: Gerne geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.