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Politikwissenschaftler: Im Endspiel gewinnt die Kanzlerin

Obwohl sich die SPD anfangs zierte, Angela Merkel eine Regierungsmehrheit zu beschaffen, hält Werner Patzelt eine Große Koalition für sicher. Auch die skeptische Parteibasis werde die Pläne letztlich unterstützen, meint der Politikwissenschaftler.

Werner Patzelt im Gespräch mit Silvia Engels | 18.10.2013
    Christiane Kaess: Das dritte Mal also könnte es in diesem Land eine Große Koalition aus Union und SPD geben. Die erste ist schon sehr lange her, 1966 war das. An die letzte erinnern sich die meisten noch, das war 2005. Nach der dritten Sondierungsrunde gestern in Berlin haben sich die Unterhändler erstaunlich schnell auf dieses Ergebnis einigen können. Jetzt wird verhandelt.

    Meine Kollegin Silvia Engels hat gestern mit Werner Patzelt gesprochen. Er ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Und sie hat ihn zuerst gefragt: Überrascht es Sie, dass die SPD-Spitze jetzt doch so zügig die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfiehlt?

    Werner Patzelt: Dass sie die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfiehlt, das überrascht nicht. Der öffentliche Druck war dafür da, die Union war hinlänglich konziliant. Dass es heute so schnell gegangen ist und dass dermaßen fröhliche Gesichter in die Kameras blicken, das ist zunächst einmal erstaunlich, aber erfreulich.

    Silvia Engels: Nach der Absage der Grünen an eine Koalition mit der Union war ja nun die SPD die einzig verbliebene Koalitionsoption für die Union. Hätte sie da nicht etwas höher pokern können?

    Patzelt: Die Grünen sind ja nicht endgültig aus dem Spiel. Es wurde ausdrücklich erklärt, dass, käme es nicht zur Koalition mit der SPD, die Grünen weiterhin für Gespräche zur Verfügung stünden, und es war auch ein durchaus echtes Bedauern bei vielen Grünen zu hören. Das heißt, die SPD konnte den Preis nicht nach Belieben hochtreiben. Sie brauchte so viel Entgegenkommen, dass der Parteikonvent die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen empfiehlt, und wahrscheinlich war es genau der Mindestlohn, der als Trophäe in die Parteigremien hineingebracht wird.

    Engels: Wobei dieser Mindestlohn ja nach wie vor noch nicht abgesegnet ist. CSU-Chef Seehofer hat ja lediglich Zugeständnisse angedeutet. Wie schwer ist es also für SPD-Chef Gabriel, am Sonntag den SPD-Parteikonvent zu einer Zustimmung zu bringen?

    Patzelt: Mir will scheinen, dass es so schwierig nicht sein dürfte. Nach der ersten Enttäuschung des Wahlabends, nach der ersten Trotzreaktion, die Kanzlerin möge doch bitte sehen, wo sie ihre Mehrheit herbekäme, mit der SPD ginge es auf alle Fälle nicht so leicht, nach all diesen Haltungen wird sich in der SPD die Einsicht durchgesetzt haben, dass es schlechterdings zur Pflicht einer großen Partei gehört, sich für die Regierung zur Verfügung zu stellen, und am Ende weiß ein jeder Spieler dieses politischen Schachspiels, dass im Endspiel die Kanzlerin gewinnt.

    Kommt es zu keinerlei Koalition, kann sie Neuwahlen herbeiführen, und im Wahlkampf wäre das zentrale Thema, wer Schuld daran ist, dass Deutschland keine Regierung hat, und da würden weder Grüne, noch SPD gut aussehen. Kurzum: Es dürfte Gabriel nicht so furchtbar schwer fallen, den Parteikonvent zur Beauftragung mit der Koalitionsverhandlung zu gewinnen.

    Engels: Nehmen wir an, es kommt dazu, wo, denken Sie, liegen denn die inhaltlichen Punkte, an denen eine Koalition in den Verhandlungen noch scheitern könnte?

    Patzelt: Ein Scheitern ist nicht wirklich abzusehen, aber es wird natürlich haken an der konkreten Umsetzung des Mindestlohns, es wird haken an der Finanzierung von Betreuungsgeld plus Infrastruktur-Investitionen, es wird haken bei der Einwanderungspolitik, es wird weniger haken bei der Sicherung des Rentensystems und unter dem Strich werden sich die beiden Parteien darauf einlassen, dass man darauf achten muss, dass die deutsche Wirtschaft sich weiterhin positiv entwickelt, denn immerhin droht demnächst die Schuldenbremse und wenn die Wirtschaft nicht im Schuss ist, kommt man in ganz große politische Gestaltungsschwierigkeiten.

    Engels: Sie haben zwei Streitthemen genannt: Betreuungsgeld oder auch Einwanderungspolitik. Da scheinen ja besonders viele Streitpunkte zwischen CSU und SPD zu liegen. Kommt dann der Kanzlerin eine Moderatorenrolle zu?

    Patzelt: Ich glaube, die Kanzlerin brächte sich in eine sehr unangenehme Lage, wenn sie zwischen CSU und SPD so vermitteln wollte, als sei sie eine gleichsam neutrale dritte Partei. Die Kanzlerin wird rechtzeitig mit der CSU besprechen, was alles jenseits der Schmerzgrenzen der SPD läge. Ähnlich wird sie mit Gabriel verfahren. Aber mir scheint, dass jetzt alle voller guten Willens sind und lediglich das Verhandlungsgeschick und das Pokergesicht den Ausschlag geben werden, wer in diesen vielen Paketlösungen, die zu machen sind, wo vorne liegen wird.

    Engels: Paketlösungen werden am Ende stehen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD-Basis, die ja sehr skeptisch einer Großen Koalition gegenübersteht, am Ende dieses Bündnis ablehnt?

    Patzelt: Mein Gefühl ist, dass die Basis sich das nicht trauen wird. Aber es hängt dann wirklich vieles von der innerparteilichen Dynamik ab. Es wird die SPD-Führung ganz gewiss einige sachliche und ferner einige symbolische Erfolge vorzeigen müssen. Sie muss glaubwürdig machen, dass es, wenn schon kein Politikwechsel ins Haus steht, doch zumindest klare Neuakzente sozialdemokratischer Art gibt.

    Aber diese Dinge wird die SPD auch erhalten, weil die Union sich ohnehin innerlich modernisiert, sozialdemokratisiert, nach links geöffnet hat, sodass nicht das Besänftigen oder das Einbinden der SPD-Basis das große Problem sein wird. Es muss nämlich auch die CDU darauf aufpassen, dass sich ihre konservativen Mitgliederschichten und auch ihre konservativen Wähler in dem Programm dieser Großen Koalition wiederfinden, denn dass der Union am rechten Rand Konkurrenz erwachsen kann, wenn sie sich allzu vorbehaltlos als sozusagen die wirtschaftsfreundlichere SPD gibt, das haben die letzten Wahlergebnisse auch gezeigt.

    Engels: Nehmen wir an, die Koalition kommt, wird sie dann auch eine ganze Legislaturperiode lang halten?

    Patzelt: Auch das ist eine gute Frage. Im Unterschied zur letzten Großen Koalition, wo man davon ausgehen konnte, dass man bis zum Ende gut zusammenwirkt, ist diesmal durchaus die Befürchtung im Raum, dass die SPD auf den richtigen Zeitpunkt sinnt, um mit einer gewendeten oder modernisierten Linkspartei und den Grünen jene Koalition zu bilden, von der die Linkspartei die ganze Zeit sagt, sie sei eigentlich die vom Wähler gewollte und die SPD habe nur nicht den Mumm, sie herbeizuführen.

    Also es wird vom persönlichen Vertrauensverhältnis und von der Pflege des selbigen abhängigen, ob die SPD im Laufe der Wahlperiode einen Grund zum Bruch der Koalition sucht und dann auch findet, oder ob diese Koalition wirklich bis zum Ende hält. Das wird freilich auch nicht unwesentlich von der Linkspartei abhängen. Sollte sie eine allzu aggressive linke Opposition geben, dann sind der SPD die Brücken hin zu einer rot-rot-grünen Regierung während der Wahlperiode verbaut.

    Kaess: …, sagt der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden.


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