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"Politisch bleibt da schon was hängen"

Formell habe Christian Wulff damals korrekt auf die Anfrage zu seinen Geschäftsbeziehungen geantwortet, sagt Wolfgang Jüttner, Anfang 2010 SPD-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag. Den Gehalt der Frage, die auf die moralische Integrität Wulffs abzielte, habe dieser allerdings bewusst ignoriert.

Wolfgang Jüttner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.12.2011
    Tobias Armbrüster: Bundespräsident Christian Wulff befindet sich zurzeit auf einer Reise durch die Golf-Region. Aber anstatt über die Aufbruchstimmung in der arabischen Welt zu sprechen, muss er sich heute vor allem eine Frage anhören: Hat er zu seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen den Landtag dort belogen? Die Bildzeitung berichtet heute, dass Wulff Anfang 2010 einen Kredit über 500.000 Euro erhalten hat, und zwar von einer befreundeten Unternehmerfamilie. Das war vier Monate vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten.
    In Hannover bin ich jetzt verbunden mit dem SPD-Politiker Wolfgang Jüttner. Er war Anfang 2010 Fraktionschef seiner Partei im niedersächsischen Landtag. Schönen guten Tag, Herr Jüttner!

    Wolfgang Jüttner: Guten Tag, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Jüttner, hat Christian Wulff damals die Opposition angelogen?

    Jüttner: Ja und nein. Herr Wulff hat ein Buch herausgegeben, das hat den schönen Titel "Besser die Wahrheit", und wir haben häufig erlebt, dass er mit der Wahrheit so umgeht, dass man nicht nur schwer behaupten kann, er habe gelogen, dass er aber den Gehalt der Frage ignoriert hat. Das ist hier der Fall. Ich will daran erinnern, dass im Januar und Februar 2010 hier im niedersächsischen Landtag wirklich die Hölle los war. Herr Wulff hatte gegen das Ministergesetz verstoßen, das auch eingeräumt. Wirbel um Privatkredit für Wulff (MP3-Audio) Frau Schrammar hat das eben korrekt geschildert (MP3-Audio). Und man muss wissen: Ein Minister und ein Ministerpräsident darf durch die Rechtslage überhaupt gar keine geschäftlichen Beziehungen zu jemandem haben, sondern wenn man den Ministerpräsidenten fragt, geht es natürlich darum, ob er auch privat geschäftliche Beziehungen hat, wenn man so will, und es war so, dass sowohl Air Berlin mit dem damaligen Chef Hunold in engen Beziehungen stand und die Frage war, gibt es da konkrete finanzielle Abhängigkeiten, und das Zweite bezog sich auf Herrn Geerkens. Wir hatten dann herausgefunden, dass Herr Wulff dort kostenfrei die Weihnachtsferien verbracht hat, dass er sich von Air Berlin geldwerte Vorteile verschafft hat, und wollten dann natürlich nachbohren - das gilt für die Grünen wie für uns auch -, ist da mehr dran. Und dann kam die Frage der Grünen, gibt es eine Beziehung zu Herrn Geerkens. Die Formulierung war, eine geschäftliche Beziehung, die Formulierung war nicht ganz glücklich gestellt im Nachhinein, und die Antwort von Herrn Wulff – ich meine, er wusste genau, warum es ging, nämlich: Gibt es eine finanzielle oder abhängige Beziehung zwischen Herrn Geerkens und Ihnen. Er hat geantwortet, nein und es hätte nie Kontakte gegeben. Man muss aber wissen – das ist in einer anderen Frage dann eingeräumt worden -, dass Herr Geerkens in den Jahren der Ministerpräsidentschaft von Wulff mindestens dreimal auf internationalen Dienstreisen Herrn Wulff begleitet hat.

    Armbrüster: Gut! Aber Herr Jüttner, wir sprechen jetzt über diesen konkreten Fall, über diesen Privatkredit, und da sagt Christian Wulff, ihr habt mich gefragt, ob ich mit diesem Mann Geschäfte mache, ich habe nein gesagt, ich habe das Geschäft ja mit seiner Frau gemacht. So stellt es zumindest heute Christian Wulffs Sprecher dar. Was ist gegen diese Argumentation einzuwenden?

    Jüttner: Diese Argumentation ist nach Papierform nach meinem ersten Eindruck rechtlich korrekt. Allerdings gibt es in der Politik mehr als nur die Papierform, sondern gefragt ist nach einem engen Zusammenhang zwischen dem Ministerpräsidenten Wulff und einer Persönlichkeit aus Niedersachsen, und diese Frage, die auch intendiert war, hat er geflissentlich überhört, um dann mit nein antworten zu können. Von daher auch meine ursprüngliche Antwort, ja und nein. Er hat die Frage ganz eng aufgefasst und in dem Sinne korrekt beantwortet, und er wusste genau, dass die Frage etwas weiter gestellt war und worum es ging, nämlich um die moralische Integrität des Ministerpräsidenten. Diesen Sachverhalt hat er ignoriert und deshalb formal wohl korrekt geantwortet, aber politisch bleibt da schon was hängen.

    Armbrüster: Ist die moralische Integrität von Christian Wulff jetzt beschädigt?

    Jüttner: Ich finde, er sieht nicht gut aus bei der Veranstaltung, denn das war genau Gegenstand der Debatte, dass er aus seiner beruflichen Stellung nicht rechtswidrig agiert, aber im Graubereich durchaus hier und da sich Vorteile verschafft hat. Das hat er auch einräumen müssen im Landtag, als er zugestanden hat, dass er zweimal gegen das Ministergesetz verstoßen hat, und von daher sieht er nicht gut aus bei dieser Veranstaltung, in der Tat.

    Armbrüster: Was muss daraus jetzt folgen?

    Jüttner: Konkrete Forderungen wenige Stunden nach Kenntnis zu ziehen, wäre sicher verfrüht. Da würde ich mich den Grünen anschließen, da muss man drüber schlafen und gucken, was da noch dran ist. Vor allem der Sachverhalt, dass wenige Tage nach dieser Auseinandersetzung eine Umschuldung vorgenommen wird, lässt den Verdacht naheliegen, dass hier nicht günstige Kreditbedingungen den Ausschlag gegeben haben, sondern Herr Wulff gemerkt hat, dass er sich auf Glatteis begeben hat und er das im Nachhinein schnell dann korrigieren wollte. Der Eindruck kommt bei mir.

    Armbrüster: Muss sich der niedersächsische Landtag noch einmal mit dieser Anfrage befassen?

    Jüttner: Das tut er gerade, indem Anfragen der Journalisten kommen. Inwieweit das auch hier eine parlamentarische Nachbetrachtung hat, vermag ich heute nicht zu sagen. Wenn Herr Wulff hier noch Ministerpräsident wäre, dann müsste er sich in der Tat warm anziehen.

    Armbrüster: Haben Sie sich denn damals, Anfang 2010, mit dieser Antwort von Christian Wulff zufrieden gegeben?

    Jüttner: Wir haben natürlich nachgebohrt an verschiedenen Stellen. Wir haben einen Missbilligungsantrag in den Landtag eingebracht, genau wegen der geldwerten Vorteile, die Herr Wulff sich erkennbar und zugegeben verschafft hat. Dass diese Frage zu eng gestellt war, das haben die Antragsteller der Frage damals augenscheinlich selber unterschätzt.

    Armbrüster: Welche Vorteile hätte dieser Unternehmer Egon Geerkens denn aus einem solchen Kreditgeschäft für sich selber ziehen können?

    Jüttner: Das können wir nicht beurteilen. Möglicherweise tauchen ja weitere Informationen auf. Das weiß ich nicht. Herr Geerkens war – das ist wohl unstrittig – lange persönlich mit Herrn Wulff befreundet, aber er hat natürlich auch wirtschaftliche Interessen gehabt als Unternehmer. Das wird ja auch dokumentiert durch die Teilnahme an mehreren Wirtschaftsdelegationen von Herrn Wulff, an denen er teilgenommen hat.

    Armbrüster: Herr Jüttner, Sie haben das jetzt auch mehrmals angesprochen. Christian Wulff ist auch schon mit anderen Geschichten in die Schlagzeilen geraten, nicht erst mit diesem Kredit. Es gab da die Flugreise nach Florida, außerdem einen Aufenthalt auf Mallorca in der Villa eines befreundeten Unternehmers. War Christian Wulff in seiner Zeit in Hannover etwas zu nah an der Welt der Reichen?

    Jüttner: Den Eindruck muss man haben.

    Armbrüster: Können Sie das erklären?

    Jüttner: Ich glaube, die Politik ist gut beraten, wenn sie Distanz hält, Distanz hält zu denen, die einen umschmeicheln und denen es gar nicht um die Person, sondern um das Amt geht. Und nicht alle Politiker widerstehen dem in angemessener Weise, das ist leider so.

    Armbrüster: ... , sagt Wolfgang Jüttner, der ehemalige SPD-Fraktionschef im Landtag von Hannover. Vielen Dank, Herr Jüttner, für das Gespräch hier heute Mittag.

    Jüttner: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.