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Politische Beobachter erhoffen parteiübergreifende Verständigung

Die neue Regierung in Spanien steht vor den alten Problemen: Die Neuverschuldung des Landes wächst dramatisch, die Arbeitslosenquote liegt über 20 Prozent. Der designierte Ministerpräsident Mariano Rajoy muss deshalb trotz absoluter Mehrheit auf die Opposition zugehen, sagen viele Beobachter.

Von Hans-Günter Kellner | 21.11.2011
    Nachdenkliche Gesichter im Wahllokal des Stadtteils Ciudad Linal. Die Wirtschaftskrise ist für bei der Stimmabgabe das ausschlaggebende Thema:

    "Wir brauchen einfach einen Wechsel. Ich hoffe, dass es jetzt dazu kommt. Darum habe ich die Volkspartei gewählt. Wie immer. Aber am Ende muss die gewählte Regierung auch gut arbeiten. Wir werden ja sehen."

    Wählerwanderungen von einer Partei zu einer anderen gibt es in Spanien nur wenige. Entscheidend ist, welche Partei ihre Wähler am stärksten mobilisiert. Diese Frau ist eine der wenigen Wechselwähler. Sie hatte vor vier Jahren noch für die Sozialisten gestimmt:

    "Ich habe sehr lange nachgedacht. Ich wähle jetzt entschlossen und mit Hoffnung die neue grüne Partei, Equo. In Deutschland gibt es ja auch Die Grünen. Ich hoffe, sie machen jetzt auch hier in Spanien den ersten Schritt und schaffen es ins Parlament."

    Mit einem Abgeordneten sind Spaniens Grüne nun ins Parlament eingezogen. Die Sozialisten haben am Ende ihre desaströsen Umfragewerte nicht verbessern können. Die Volkspartei hat hingegen so viel Macht wie keine andere Partei je zuvor. Doch viele politische Beobachter glauben nicht, dass die Konservativen damit einem Machtrausch erliegen. Fernando Jáuregui ist seit Francos Tod als Journalist auf dem politischen Parkett unterwegs. Er meint:

    "Ich habe ein großes Vertrauen in Rajoy. Nicht in die Volkspartei. Dort gibt es viele politische Hooligans, die gerne den Absolutismus wieder einführen und das halbe Land außen vor lassen würden. Sie regieren jetzt in den meisten Kommunen, in den Regionen und sitzen auch an der spanischen Regierung. Aber Rajoy wird gemäßigt auftreten und der anderen Seiten die Hand anbieten. Denn um die Krise zu lösen, wird auch die absolute Mehrheit nicht ausreichen."

    Denn die Proteste auf der Straße gelten jetzt schon als sicher, sobald die sozialen Sicherungssysteme erneut auf den Prüfstand gestellt werden. Für eine Öffnung gegenüber der Opposition müsste der Wahlgewinner jedoch auch große Widerstände in der eigenen Partei überwinden, die das Ergebnis als Auftrag verstehen werden, mit eiserner Hand gegen die Proteste durchzuregieren. Journalist Jáuregui dazu:

    "Rajoy hat viele Nachteile. Aber er ist unabhängig. In seiner eigenen Partei wurden ihm Fallen gestellt, die kaum ein Politiker überlebt hätte. Die innerparteiliche Opposition in Madrid, und in einigen Redaktionen, wo sich die Chefredakteure für die wahren Gründer der Volkspartei halten. Das hat er alles überstanden, ohne sich auf äußere Kräfte zu stützen wie Kirche, Banken oder Großunternehmen. Ihm kann niemand mehr gefährlich werden. Das Team an der Parteispitze ist wirklich "sein" Team."

    Auch Nicolas Sartorius glaubt, nur ein Pakt über die Parteigrenzen hinaus werde Spanien retten können. Er war nach Francos Tod für die Kommunisten Parlamentsabgeordneter, in einer Zeit, als die Demokratie gegen das Militär verteidigt werden musste und Verständigungen quer durch alle Ideologien möglich waren:

    "Damals waren die Pakte wichtig, um die Demokratie und die Verfassung zu konsolidieren. Heute ist die Situation zwar eine andere, aber genau so dramatisch wie damals. Spanien wird aus dieser Krise nicht rauskommen, wenn es kein weitreichendes Abkommen zwischen allen politischen aber auch sozialen Kräften gibt."

    Der erfahrene Politiker, der heute der politischen Stiftung "Alternativen" vorsteht, ist zuversichtlich. Zumal sich die beiden großen Parteien im Grunde einig sind. Spanien muss zwar sparen, aber eine Lösung für die tiefgreifende Krise sieht man in Spanien in Europa:

    "Europa muss reagieren. Wir steuern auf ein Desaster zu. Wir sind dabei, mit dem Euro Schluss zu machen und damit auch mit Europa. Wir können nicht mit solchen Zinssätzen in der Staatsfinanzierung weitermachen, mit sieben Prozent wie sie Spanien und Italien jetzt bezahlen. Deutschland und Frankreich haben eine große Verantwortung, sei müssen verstehen, dass es so nicht weitergeht."