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Politische Krise in Venezuela
Sicherheitskräfte gehen auf Distanz

Mehr als 120 Menschen sind seit April bei Protesten gegen Präsident Nicolás Maduro ums Leben gekommen. Das Land steckt in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Viele Venezolaner haben ihr Land verlassen. Darunter auch Angehörige der Streitkräfte. Offen Kritik üben wollen aber die wenigsten.

Von Marsida Lluca | 13.10.2017
    Sicherheitskräfte bewachen am 20.07.2017 eine von Demonstranten blockierte Straße in Caracas (Venezuela). Viele Läden und Geschäfte der Hauptstadt blieben angesichts des eines Generalstreiks geschlossen. Aufgerufen wurde der Streik von der Opposition. Ihr Ziel: die von Präsidenten Maduro geplante Verfassungsreform zu verhindern. Straßen wurden von Demonstranten blockiert. Foto: Rayner Pena/dpa | Verwendung weltweit
    Sicherheitskräfte bei Protesten in den Straßen von Caracas. Einige, die die Armee und das Land verlassen haben, üben Kritik an der Regierung Maduro und sprechen von einer Indoktrination. (dpa/Rayner Pena)
    Um die Mittagszeit ist im Zentrum Santiago de Chiles besonders viel los, vor allem in der Nähe des Einkaufszentrums Costanera Center- dem höchsten Gebäude Lateinamerikas. Das Erste, was beim Treffen mit Juan auffällt, sind seine tätowierten Arme. Die Tattoos habe er sich erst nach seiner Zeit bei der Armee stechen lassen, erzählt er. Juan ist nicht sein richtiger Name, denn er möchte nicht erkannt werden. Mehr als 13 Jahre diente er in der venezoelanischen Armee, war Kapitän in der Marine. Als Anwalt beriet er die Armee rechtlich so lange, bis er genug hatte.
    "2012 habe ich mich dazu entschieden, zurückzutreten, weil ich nicht mit der Politisierung der Armee einverstanden war. Außerdem hätte ich auch innerhalb der Armee Probleme bekommen können, denn gegenüber meinen Vorgesetzten fing meine politische Auffasung an, sichtbar zu werden. In der Verfassung heißt es, dass die Streitkräfte der Nation dienen sollen, nicht Politikern. Aber mit Chavez änderte sich das, am stärksten ab 2008,2009."
    Jungen Kadetten wurde gesagt, sie sollten Chavistas sein, es begann eine Indoktrination. Ich kenne die Gesetze und das ist gegen die Verfassung und illegal.
    "Der Staat bekommt alles mit"
    Nach seinem Rücktritt arbeitete Juan in Venezuela als Geschäftsmann, bis die Inflation immer stärker grassierte und er im August 2016 nach Chile immigrierte. Mittlerweile seien Viele aus seiner ehemaligen Brigade weggegangen, erzählt er. Auszutreten sei möglich, man müsse aber private Gründe nennen. Und er kenne Viele, bei denen es lange gedauert habe.
    "Es gibt eine starke Überwachung innerhalb der Streitkräfte, der Staat bekommt alles mit. Es ist schwierig sich aufzulehnen. Diejenigen, die noch aktiv sind, reden nicht offen, auch Freunde nicht."
    Ehemalige Soldaten und Polizisten, die das Land bereits verlassen hätten, würden hingegen offen Kritik am Regime üben. Wenn es aber darum geht, diese Kritik publik zu machen und Interviews zu führen, zeigte sich bei dieser Recherche, ist es dann doch nicht ganz so einfach.
    Proteste, Verletze und tote Demonstranten - diese Bilder und Eindrücke aus Venezuela gingen in den vergangenen Monaten um die Welt. Die obersten Reihen des Militärs gelten als treu, einen Putsch halten Kenner für unwahrscheinlich. Vereinzelt gab es Meldungen von offenem Widerstand. Darunter ein skurriler Vorfall im Juni, bei dem der Pilot Oscar Pérez in Caracas einen Polizeihubschrauber kaperte und das Gebäude des Obersten Gerichtshofs beschoss.
    Auch der ehemalige Comandant Juan Caguaripano Scott und der Leutnant Yefferson García Dos Ramos riefen, wie hier zu hören ist, wörtlich zu einer "legitimierten Rebellion gegen die Diktatur Maduros" auf.
    Beide wurden verhaftet. Die Bilder ihrer sichtlich mit Schmerz erfüllten Gesichter, wurden als Abschreckung für mögliche Nachahmer gezeigt.
    Als die Demonstrationen und Ausschreitungen auf ihrem Höhepunkt waren, verließ auch Pablo Venezuela.
    Er ist knapp 30 Jahre alt, der Name Pablo ist ein Synonym. Zehn Jahre lang war er bei der nationalen Polizei Venezuelas tätig, zuletzt auch als Ausbilder im Bundesstaat Portuguesa, im Zentrum des Landes.
    "Ich war in voller Montur bei Demonstrationen dabei. Ich bin Polizist geworden, um die Bevölkerung zu schützen, nicht um ein Volk zu unterdrücken, das Hunger hat. Aus Venezuela bin ich weggegangen, weil ich mit diesem diktatorischem Regime, das wir haben, nicht einverstanden bin."
    Viele verlassen das Land
    Er sei bereit mehr zu erzählen, sagt er, aber eine Aufzeichnung kommt dann doch nicht zustande. Genauso wenig wie mit Elizabeth, die mit ihm in der selben Einheit arbeitete. Auch sie lebt seit wenigen Monaten in Chile. Ihre Tochter habe sie bei ihrer Mutter in Venezuela gelassen, bis sie eine feste Arbeit finden könne. Schulterlange Haare und eine Brille umrahmen ihr sorgenvoll blickendes Gesicht. Die Streitkräfte der unteren und mittleren Ränge hätten sich an eine Pseudo-Sicherheit gewöhnt, die keine sei, sagt sie.
    "Ich glaube, viele von ihnen sind gegen das Regime, haben aber Angst vor Veränderungen. Ich kann das nicht verstehen, man kann sich ja noch nicht einmal mehr Mehl und Butter kaufen. Ein Monatslohn von 15 bis 40 Euro? Dabei ist Venezuela ein reiches Land an Petroleum, Gold, Tourismus. Der Chavismo hat seinen Boden verloren. Ich selbst war schon immer dagegen."
    Die von Maduro installierte verfassungsgebende Versammlung wird von zwölf lateinamerikanischen Ländern abgelehnt, genauso wenig erkennen die Vereinigten Staaten und Europa sie an.
    Carlos dagegen ist ein Unterstützer Maduros. Auch wenn er mittlerweile seit mehr als einem Jahr in Guyaquil, in Ecuador lebt und als Sicherheitsmann arbeitet. Die finanzielle Krise habe ihn bewogen wegzugehen, sagt er. Viele seiner ehemaligen Kameraden hätten das Gleiche vor. In der Nationalgarde Venezuelas war er auf unterschiedlichen Posten, dabei sieht er viel jünger aus als 25. Seinen Namen möchte er lieber nicht publik machen.
    "Man kann nicht verschweigen, dass es eine ökonomische Krise gibt, aber ich denke, das das liegt an der schlechten Administration und an einer Koalition verschiedener Länder gegen Venezuela. Außerdem finde ich, ist die Opposition nicht ernst zu nehmen, sie ist korrupt."
    Bei den bevorstehenden Regionalwahlen wird sich zeigen, wie viele oppositionelle Gouverneure gewählt werden. Nur gibt es Befürchtung der Wahlmanipulation. Das könnte Einige vom Wählen abhalten, meint Juan. Er hofft aber, dass ein Zeichen gegen Maduro gesetzt werde.