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Politische Lage in der Türkei
"Durch türkeistämmige Familien geht ein tiefer Riss"

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), hält ein Verbot der umstrittenen Kundgebung des türkischen Ministerpräsidenten in Oberhausen nicht für sinnvoll. Es liege an Yildirim, nicht aufzuwiegeln - viele Familien mit türkischen Wurzeln seien bereits gespalten.

Aydan Özoguz im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.02.2017
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD)
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) (Imago)
    "Wenn man es verbietet, ist es nicht aus der Welt", erwiderte Özoguz auf Rufe nach einem Verbot des Auftritts des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, der heute in Oberhausen vor Landsleuten für die Verfassungsreform in der Türkei werben will. Es sei zudem rechtlich schwierig, die Kundgebung, die von einer privaten Organisation angemeldet wurde, zu verbieten. Nun gehe es darum, friedlich zu protestieren.
    Zu der Veranstaltung werden bis zu 10.000 Besucher erwartet. Das geplante Präsidialsystem würde Staatschef Erdogan mehr Macht einräumen und das Parlament schwächen. An der Volksabstimmung darüber am 16. April können sich auch die gut 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland beteiligen.
    Ein Riss durch durch die Familien
    Yildirim und die Organisation seien gefragt, die Menschen nicht aufzuwiegeln, sagte Özoguz. Sie selbst sei dahingehend aber skeptisch, da eine Spaltung der Gesellschaft durch die türkische Politik bereits stattgefunden habe. In türkeistämmigen Familien in Deutschland gebe es einen tiefen Riss.
    Özoguz und andere türkeistämmige Politiker wurden unter anderem im Zuge der Armenier-Resolution Ziel von Bedrohung und Anfeindungen aus der Türkei. Özoguz sagte dazu: "Privat fährt, glaube ich, keiner von uns mehr so recht dahin." In Familien herrsche Angst vor, das merke man auch in Telefonaten, in denen die "Leute gar nicht mehr so viel sagen" wollten. Es gebe inzwischen eine Erschöpfung bei den Menschen, die sie sehr besorge.
    Ditib konnte hier stark werden, weil eigene Imam-Ausbildung versäumt wurde, so Özoguz
    Zu den Spitzelvorwürfen gegen Imame des Islamverbands Ditib sagte Özoguz, dass es Kritik gegen Ditib schon seit zehn Jahren gebe. Andererseits sei Ditib in Zeiten, in denen sich die Türkei demokratisierte, ein wichtiger Partner gegen radikale Islamisten gewesen - und auch heute sei nur eine Minderheit der Ditib-Imame Spitzel der Türkei. Es gebe auch diejenigen, die eine Loslösung von Ankara forderten. Özoguz wies darauf hin, dass Imame aus der Türkei bezahlt würden, weil Deutschland selbst die Ausbildung islamischer Geistlicher versäumt habe. Nun müssten hierzulande verstärkt eigene Strukturen geschaffen werden, um die Einflussnahme aus dem Ausland zu verhindern.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Ein Bericht von Kemal Hür. Und mitgehört hat Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, und sie ist auch stellvertretende SPD-Vorsitzende. Guten Morgen, Frau Özuguz!
    Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Frau Özoguz, Imame des Moscheeverbandes DITIB werden beschuldigt, mutmaßliche Erdogan-Kritiker auszuspionieren und setzen sich ab. Der Ministerpräsident Yildirim darf heute in Deutschland für die Einführung einer Präsidialdiktatur, so sagen das Kritiker, werben. Und jetzt auch noch das: Der Türkeikorrespondent der Zeitung "Die Welt" ist festgenommen worden – Verdacht auf Terrorunterstützung heißt es. Das Auswärtige Amt appelliert an die Türkei, rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Frau Özoguz, ist das nicht ein bisschen kleinlaut? Warum wird man da nicht deutlicher?
    Özoguz: Na ja, die Diskussionen sind ja doch recht deutlich und werden auch geführt, nur genau das dürfen wir, glaube ich, nicht machen, was sie gerade im Grunde als Journalisten wiederum zu Recht getan haben, alles zusammen mal aufzählen und sagen, das gefällt uns alles nicht, dann verbieten wir alles. Das ist rechtsstaatlich natürlich dann auch wieder nicht möglich.
    Zagatta: Das ist klar. Ich frage jetzt auch nach dieser Festnahme eines Korrespondenten, der erstmaligen Festnahme einer deutschen Zeitung. Und dann appelliert man da bitteschön, sich an rechtsstaatliche Regeln zu halten. Das passiert ja offensichtlich gar nicht. Also da frage ich mich, ob die Bundesregierung da nicht deutlicher werden müsste.
    "Das besorgt mich sehr"
    Özoguz: Nein, das besorgt mich sehr. Also das will ich in aller Deutlichkeit sagen. Und mich verwundert es gar nicht, dass es jemand mit einem türkischen Namen ist. Also wir selber sind ja betroffen, alle türkeistämmigen Abgeordneten wurden ja auch schon zu Terroristen erklärt, sobald man etwas abstimmt im Deutschen Bundestag, was dann der Türkei eben gar nicht gefällt. Also Rechtsstaatlichkeit ist da tatsächlich etwas fehl am Platz im Moment. Wir können es nicht erkennen, sagen wir es mal so. Wir können da im Moment eine ganz eigenartige Linie nur erkennen, dass bei denen sozusagen angefasst wird von der Türkei, die offenbar irgendwie für sie am Leichtesten greifbar sind. Und ich glaube, hier ist ein ganz starkes Signal notwendig, dass jetzt erst einmal die Freilassung dieses Journalisten ansteht und wir dann mal klären, worum es überhaupt geht. Also man kann nicht jeden, der ein Kritiker ist oder eben ein Journalist ist, schlicht zum Terroristen erklären, ohne dann genau zu sagen, worum es geht.
    Zagatta: Müsste da der Außenminister mal einschreiten, mal deutlicher werden, der deutsche?
    Özoguz: Ja, also ich bin mir sehr sicher, dass da sehr, sehr deutliche Gespräche geführt werden. Nun muss man natürlich sehen, wie weit man da kommt. Also wir haben ja auch nichts davon, wenn alles abbricht und wir dann gar keine Gespräche mehr haben. Daran hat, glaube ich, auch niemand Interesse. Also es ist ja nun gestern geschehen. Und wir müssen jetzt schauen, wie heute dann die Gespräche dazu tatsächlich geführt werden. Wir wissen ja auch, das wird ja nicht alles in der Öffentlichkeit getan.
    Zagatta: Dann hoffen wir da mal. Sie haben zu Beginn zu recht drauf hingewiesen, mal soll nicht alles in einen Topf werfen. Und gerade als Journalist natürlich auch für Meinungsfreiheit auftreten. Jetzt sagt aber die Linkenabgeordnete Dagdelen, die hat darauf hingewiesen, dass der türkische Ministerpräsident Yildirim ja heute nicht als Privatmann in Oberhausen auftritt. So wird ja begründet, dass man so eine Veranstaltung durchführen lassen muss, sondern sie sagt, der kommt hierher als Regierungschef und Wahlkämpfer, also folglich hätte es natürlich die Möglichkeit gegeben, solch einen umstrittenen Auftritt zu verbieten. Warum macht man das nicht?
    "Wir sind eben ein Rechtsstaat"
    Özoguz: Wissen Sie, wir sind eben ein Rechtsstaat. Und mich macht das auch etwas, wie soll ich sagen ... Also es ist ja nicht der richtige Weg, zu sagen, wir werfen dann auch möglichst alles über Bord, um das zu verbieten. Sondern hier ist doch nun wirklich gesagt, da ist eine private Organisation, die hat erst mal eine Demonstration oder eine Kundgebung angemeldet. Die zu verbieten, ist rechtlich schwierig. Das kennen wir auch aus anderen Diskussionen. Jetzt geht es ja darum, wirklich friedlichen Protest zu formieren. Also mein größter Wunsch wäre, dass da sehr viele Menschen stehen, die friedlich gegen die Dinge protestieren, für die Yildirim wirbt. Das ist eben in unseren Augen ja durchaus keine gute Entwicklung und keine rechtsstaatliche Entwicklung, die sich da in der Türkei abzeichnet. Dagegen muss man auch stehen und sich dann auch hinstellen, wenn man eben dagegen ist. Aber nicht sofort als Allererstes sagen, am besten verbieten, damit ist das nicht aus der Welt.
    Zagatta: Leuchtet mir ein, aber Sie selbst, wenn ich das recht gelesen habe, sagen ja, dass die türkische Regierung es darauf anlegt, die Gräben zwischen den Türken in Deutschland, zwischen den Deutschtürken zu vertiefen, möglicherweise mit so einer Veranstaltung. Warum fordert man dann Yildirim zumindest nicht auf, auf so einen Auftritt zu verzichten. Man muss es ja nicht verbieten, aber so eine klare Aufforderung wäre ja auch schon was gewesen.
    Özoguz: Na, die Aufforderungen sind ja deutlich da, dass man sagt, jetzt liegt es an ihm, zu zeigen, dass er eben dort nicht die Gräben tiefer macht, dass es nicht zu Aggressionen, Ausschreitungen kommt, dass er eben nicht von Terroristen spricht bei Leuten, die eben das nicht mittragen, sondern eben dagegen sind. Das alles können wir ja demonstrieren. Wir sagen es ja, glaube ich, schon in aller Deutlichkeit, und jetzt muss sich eben zeigen, dass wir nicht gleich am Anfang sagen, am besten verbieten wir es, sondern hier ist auch Yildirim gefragt und natürlich auch diese private Organisation, die das angemeldet hat, deutlich zu machen, ja, wir geben hier eine Kundgebung, wir machen etwas, aber wir machen das wirklich, ohne aufzuwiegeln. Ich bin da auch skeptisch, das gebe ich schon ehrlich zu, denn bisher kamen zu viele Töne, wo es dann immer ganz schnell heißt, ja, die, die das nicht mittragen, sind eben schlechte Menschen, sind Terroristen. Also diese Spaltung der Gesellschaft, die hat ja hier schon stattgefunden. Und wir merken natürlich das auch in türkeistämmigen Familien – nicht nur, aber eben doch gerade, dass da ein tiefer Riss ist. Und das tut uns allen sicherlich nicht gut. Da haben Sie recht.
    Zagatta: Frau Özoguz, dass die deutsche Politik zu viel Rücksicht nimmt, möglicherweise wegen des Flüchtlingsabkommens, diesen Vorwurf gibt es ja jetzt auch im Umgang mit dem deutschtürkischen Islamverband DITIB. Dessen Imame haben offenbar mutmaßliche Erdogan-Kritiker ausspioniert, haben sich strafbar gemacht. Warum lässt es die Bundesregierung auch da eigentlich nur bei Appellen?
    "Pauschalverurteilung schwierig"
    Özoguz: Ach, wissen Sie, bei DITIB, da bin ich nun selber wirklich auch sehr intensiv die letzten Wochen beschäftigt, zu schauen, wie wir da am besten mit vorgehen können, denn man muss sagen, ganz offenbar ... Also erst mal hat es ja der Generalbundesanwalt in der Hand. Und man muss natürlich solche Ermittlungen dann immer auch ordentlich abwarten. Gleichzeitig wissen wir jetzt, dass doch einige Imame da ganz offenbar wirklich alle Linien überschritten haben. Und das muss Konsequenzen haben. Nur ich habe echt Probleme, wenn man sagt, ja, wir wissen, dass zum Beispiel 13, 15, vielleicht sind es 50, wirklich Dinge getan haben, wozu sie der türkische Staat aufgefordert hat, während wir über 900 Imame haben. Und viele andere distanzieren sich davon. Es gibt Verbände von DITIB, die offen aufgerufen haben, dass man sich endlich löst von Ankara, dass man diesen Schritt vollzieht, dass man ein deutscher Verband wird, dass man diese Abhängigkeit nicht macht und schon gar nicht natürlich rechtswidrige Dinge. Deswegen ist diese Pauschalverurteilung so schwierig.
    Zagatta: Aber ist das nicht naiv, dass ...
    Özoguz: Nein, naiv ist das nicht.
    Zagatta: Das wollte ich Sie gerade ... , aber das steht ... Die Satzung liegt dem Deutschlandfunk vor. An die ist gar nicht so leicht ranzukommen, aber da steht das ja genau drin, dass man von der Türkei abhängig ist. Ein Verband hat das in seiner Satzung, und Sie sagen, na ja, löst euch.
    Özoguz: Also die Satzung liegt uns ja schon lange vor, und ehrlich gesagt, diese Kritik habe ich, glaube ich, schon vor zehn Jahren ... also ich gehörte auch zu den, die die schon mindestens vor zehn Jahren einmal formuliert haben. Es war ja lange Zeit so, dass wir uns etwas bequem zurückgelehnt haben und gesagt haben, na ja, der türkische Staat ist uns nah, er hat die richtige Richtung: Er nahm immer mehr rechtsstaatliche Formen an und demokratisierte sich. Und wir haben immer gesagt, gut, wenn die eben mit uns aufpassen, dass keine Extremisten an junge Leute herankommen, das haben sie getan. Sie waren einer der wichtigsten Partner, also DITIB, war einer der wichtigsten Partner gegen salafistischen Extremismus. Und heute auf einmal ist halt die Türkei durchaus anders. Und einige Verbände oder einige bei der DITIB folgen diesem Kurs, und deswegen ist es ja jetzt so unglaublich wichtig und fällt es uns natürlich noch mal besonders auf die Füße, dass wir sagen, so, nun wollen wir konsequente Schritte sehen, nun wollen wir diese Lösung, zum einen natürlich in der Satzung, aber das reicht ja nicht. Sie können ja alles Mögliche aus einer Satzung streichen. Wir müssen natürlich gleichzeitig aufpassen, dass dann aber die religiöse Unterweisung im Guten noch passieren kann. Die Imame werden eben aus der Türkei bezahlt, weil wir in Deutschland bisher uns darum auch so gar nicht gekümmert haben. Die theologische Ausbildung – daran möchte ich mal erinnern –, für die wir lange Zeit ja kämpfen mussten, findet gerade mal seit einigen Jahren überhaupt erst statt. Also wir müssen dazu übergehen, dass Imame hier ausgebildet werden können und dass wir eben hier in Deutschland wirklich die Strukturen haben, damit es gar nicht mehr diese Einreisen aus dem Ausland gibt.
    Zagatta: Sie haben das ja am eigenen Leib erfahren damals bei der Resolution zu Armenien, dass es dann sogar Todesdrohungen gegeben hat, dass die türkischstämmigen Abgeordneten im Bundestag, dass die unter Polizeischutz gestellt werden mussten. Können Sie in dieser Situation ... waren Sie seither noch mal in der Türkei? Können Sie da überhaupt noch hinreisen?
    "Privat fährt keiner mehr von uns dahin"
    Özoguz: Na es waren ja jetzt gerade einige Abgeordnete noch mal da zu einer Reise.
    Zagatta: Nein, nein, ich frage Sie. Sie haben da ja familiäre Wurzeln. Können Sie sich da noch hintrauen?
    Özoguz: Nein, nein, also privat fährt keiner mehr von uns so recht dahin. Also von einem habe ich gehört, aber ansonsten nicht. Uns wird abgeraten davon. Man kann es natürlich tun. Ich bin tief erschüttert davon, mein Eindruck ist einfach, dass auch in den Familien und in der Gesellschaft so ein Stück weit eine Angst vorherrscht. Man merkt das sogar manchmal in Telefonaten, dass Leute gar nicht mehr so viel sagen mögen, wie sie früher kritisiert haben, dass sie gar nicht mehr so offen mit einem reden mögen, dass auch so eine Erschöpfung da ist bei einigen. Und das macht mich wirklich sehr, sehr besorgt und ist natürlich ein ganz schlimmer Zustand.
    Zagatta: Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Özoguz, vielen Dank für das Gespräch!
    Özoguz: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.