Freitag, 29. März 2024

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Politische Literatur
Wer Steinbrücks Bücher kauft

Von Stefan Maas | 12.03.2015
    Ulrich Wickert: "Sie sind in einer Sitzung und Gabriel lässt Ihnen einen Zettel reinreichen, ich erkläre in zwei Stunden, dass du der Kandidat der Partei bist. Wie fühlten Sie sich da?"
    Peer Steinbrück: "Das ist sozialdemokratische Strategie."
    Peer Steinbrück hat die Lacher auf seiner Seite. Der ehemalige Kanzlerkandidat sitzt entspannt auf einer Bühne im Berliner Ensemble. Der kleine Saal ist voll besetzt. Die Inszenierung an diesem Abend ist gelungen: hohe Decken, Goldschnörkel, riesige Spiegel an den Wänden. Ex-Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert stellt die Fragen, Steinbrück antwortet. Mal ernsthaft, mal flapsig. So wie sein Publikum es erwartet.
    - "Vielleicht können Sie dem geneigten Publikum einen kurzen Einblick in ihre Gedanken über die "Vertagte Zukunft" geben."
    - "So in zehn Minuten, einen Schnelldurchgang, sodass es keiner mehr lesen muss?"
    - "Richtig!"
    Wie viele Käufer sein Buch am Ende wirklich lesen werden? Das ist auch für Peer Steinbrück schwer zu sagen. Eines aber dürfte ihm an diesem Abend klar sein: Kaufen werden es wahrscheinlich viele. So war es zumindest bisher. Der ehemalige Bundesfinanzminister ist ein Bestseller-Autor. Allein seine letzten zwei Bücher sind rund 350.000 Mal über die Theke gegangen. Eine gewaltige Menge, wenn man in Betracht zieht, dass Sachbücher oft schon mit rund 15.000 verkauften Exemplaren den Sprung auf die Bestseller-Listen schaffen. Allein Steinbrücks Buch "Unter dem Strich" war fast ein Jahr lang unter den Top-50-Titeln.
    "Na, er ist der Traum jedes Verlegers", sagt Daniel Kampa, der Steinbrücks Bücher in seinem Verlag vertreibt. Pünktlich bei der Manuskriptabgabe sei der, zuverlässig. Und eben: sehr erfolgreich.
    "Es geht nicht nur um Thesen und Themen. Ein gutes Politikerbuch muss auch gut geschrieben sein. Und lesbar sein. Und spannend."
    Besonders gut laufen daher oft Politikerbiografien, selbst wenn sie nur das politische Leben beleuchten und das Private im Schatten lassen. Die Leser hoffen auf den Blick durchs Schlüsselloch in die Zentralen der Macht, erzählt Buch-PR-Spezialist Claus-Martin Carlsberg von der Agentur Carlsberg und Richter. Hillary und Bill Clinton, Kohl, Schröder, nur einige der Namen auf seiner Kundenliste. Bücher von Ex-Kanzlern seien besonders gefragt:
    "Man unterstellt diesen Menschen, dass da viel passiert ist, was sie bisher noch nicht erzählen konnten. Wenn sie dann aus dem Amt geschieden sind, haben sie größere Freiheiten. Da möchte man schon mal wissen, was war denn eigentlich da los."
    Helmut Kohl ist so ein Beispiel. Carlsberg hat die Veröffentlichung der Tagebücher des Altkanzlers betreut.
    "Die waren ganz besonders brisant, weil jeder Journalist in dieser Republik erwartet, dass Kohl die Parteispendernamen nennt in diesem Buch. Was er natürlich nicht gemacht hat - wie wir heute wissen. Aber das wurde unter Verschluss gehalten bis zur großen Pressekonferenz in Berlin."
    Ein riesen PR-Erfolg. Das weckt Neugier. Wenn man es richtig anstellt:
    "Also, der erste wichtige Schritt, und der ist bei Politikern gar nicht so leicht durchzusetzen, ist, dass dieser Politiker sich eine gewisse Zeit vor Veröffentlichung des Buches nicht mehr so sehr in den Medien zeigt."
    Doch großes Medienecho garantiert nicht automatisch auch den Erfolg eines Buches, sagt Verleger Kampa. Das gilt sogar für die großen Namen.
    "Heute, in einer Zeit des Internets, da kann man natürlich viele Themen ganz schnell verbreiten übers Internet. [Da] kann man viele wichtige Punkte eines Buches zusammenfassen, sodass vielleicht viele sagen, ich brauche das Buch nicht mehr zu lesen."
    Richtig große Verkaufserfolge von Politikerbüchern würden auch deshalb immer seltener. Von Ausnahmen wie Thilo Sarrazin abgesehen.
    "Das schlimmste ist, wenn dieses Buch ein großes Interesse bei den Medien findet und dann überhaupt nicht verkauft wird."
    Der PR-Verantwortliche sei dann zwar fein raus, sagt PR-Spezialist Carlsberg, sein Job sei ja erfolgreich gewesen. Für den Verlag ist das aber wirtschaftlich katastrophal. Und für den Autor schnell ein echter Ego-Knick.
    "Weil er sich dann schon fragen muss, sag mal, bin ich denn eigentlich so wenig attraktiv oder so wenig spannend, dass wirklich keiner über mich Bescheid wissen will oder mein Buch lesen will?"
    Das hat Carlsberg selbst erlebt. Er hatte auch mit der Autobiografie von Kurt Beck zu tun. Nur wenige Tage vor dem Veröffentlichungstermin wurde der Rheinland-Pfälzer als SPD-Chef abgesägt. Da nützte auch ein eilig angehängtes aktuelles Kapitel nichts mehr. Das Buch schaffte es auf keine Bestsellerliste, verkaufte sich nur wenige tausend Mal. Immerhin hatte die SPD vorher zugesagt, einige tausend Exemplare der Beck'schen Biografie zu einem reduzierten Preis abzunehmen. Die wanderten ins Lager – oder wurden zu irgendwelchen Anlässen an Parteimitglieder verschenkt. Eine solche Festabnahme sei bei manchen Verlagen nicht unüblich, sagt Carlsberg:
    "Ich glaube, da ist auch nichts Ehrenrühriges dabei."
    Unternehmen machten das ähnlich. Etwa mit einer Chronik zum Firmenjubiläum. Den Verlagen gebe das eine finanzielle Sicherheit. Bei Rainer Brüderles Buch "Jetzt rede ich!" gab es die nicht. Das sei eine "Sache ohne Rückendeckung" gewesen, heißt es bei dem Verlag. Das Medienecho zur Vorstellung war groß. Machen Journalisten hatten vielleicht gehofft, Stern-Autorin Laura Himmelreich, die die Sexismusdebatte im Wahlkampf losgetreten hatte, würde erscheinen. Oder Brüderle würde sich doch noch entschuldigen. Zweimal: Fehlanzeige. Sobald die Scheinwerfer aus waren, teilte das Buch das Schicksal der liberalen Partei. Dabei muss ein Skandal oder eine Niederlage nicht automatisch das Ende einer Autorenkarriere bedeuten - siehe Peer Steinbrück. Der hat an diesem Abend in Berlin einiges zu erzählen. Sogar einiges, was nicht in seinem neuen Buch steht:
    - "Herr Steinbrück, wenn Sie sich anschauen, was auf der Welt gerade so los ist, und die vielen schwierigen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, sind Sie manchmal auch froh, dass Sie jetzt nicht Bundeskanzler sind?"
    - "Also, da meine Frau in der ersten Reihe sitzt, kann ich jetzt nicht schwindeln. Und die Antwort lautet: Ja!"