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Politische Macht
Das Versagen der Linken

Die Parteien des linken Lagers sind mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 für eine mehrheitsverdächtige Regierungsalternative weder willens noch fähig, schreibt Albrecht von Locke in seinem aktuellen Buch. Der Politologe sucht in "Die schwarze Republik und das Versagen der Linken" nach politischen Alternativen und liefert mit seiner Analyse einen Weckruf zur Beendigung linker Dauerfehden.

Von Norbert Seitz | 04.01.2016
    Ein Bild wie aus dem SPD-Familienalbum: Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (l.) im Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine (r.) auf dem Bundesparteitag im Dezember 1997 in Hannover
    Sind sie schuld an der Misere der Linken Parteien? Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. (picture-alliance / dpa)
    Albrecht von Lucke: "Wir haben ja eine ganz ironische Lage. Wir haben eine zutiefst angeschlagene Kanzlerin, die erstmalig in ihrer zehnjährigen Kanzlerschaft so etwas erlebt wie eine tiefe Krise ihrer eigenen Macht. Und was wir nicht haben, ist eine originäre Opposition, die in der Lage wäre, diese Kanzlerin abzulösen. Das bringt gewissermaßen in Reinkultur das zum Ausdruck, was ich eine blockierte Demokratie nenne, eine ihres linken Flügels amputierte Demokratie."
    Die Gründe der Misere: Wer sind die Schuldigen?
    Es treibt den eloquenten Autor um, dass die Bundestagswahl 2017 schon entschieden sein könnte. Der Grund: Die Linke sei zu einer mehrheitsverdächtigen Regierungsalternative weder willens noch fähig. Sie stehe strategisch ohne Option da. Albrecht von Lucke sucht nach Gründen und Auswegen. Die Hauptschuld an der Misere gibt der Autor zwei politischen Alphatieren: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine:
    "Wir haben es seit 1998 seit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder und der am Anfang versuchten Nebenkanzlerschaft von Oskar Lafontaine, mit einer Spaltung von SPD und Linkspartei in heute schier unüberwindliche Kontrahenten zu tun. Und das hat sich zugetragen, in Form einer doppelten Entsolidarisierung, wie ich es nenne, nämlich dem Tatbestand, dass Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 die eigene Partei gespalten hat. Und damit hat er eine Linkspartei unter Oskar Lafontaine stark gemacht, der aber seit 2005, seit der Gründung der Linkspartei, so etwas betreibt wie eine Anti-SPD, und damit letztlich die vormals auf Koalition orientierte PDS zu einer dezidiert anderen Partei gemacht hat. Und das nenne ich die doppelte Entsolidarisierung".
    Für den Leitenden Redakteur der Zeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" repräsentieren die beiden Protagonisten zwei unversöhnliche Richtungen - Schröder eine Anpassung an die "wirtschaftsliberale Mitte" und Lafontaine eine "antiwestliche Fundamentalopposition". So habe der "Auto-Kanzler" bei Hartz IV, schreibt von Lucke, einen "kategorialen Bruch" verursacht mit einem ganz entscheidenden Prinzip der Sozialdemokratie – "dem meritokratischen Gedanken: der Unterscheidung nach erbrachter Leistung. Wer gearbeitet hat, erwirbt einen Anspruch, vulgo: Leistung soll sich lohnen. Heute werden derartige Unterschiede nicht mehr gemacht, im Gegenteil: Hartz IV macht alle auf Anhieb gleich arm."
    Doch der Autor reduziert "das Versagen der deutschen Linken" nicht nur auf eine destruktive Konspiration zweier Politegomanen von gestern. Er konstatiert vielmehr eine ideologische Borniertheit des linken Denkens in Deutschland überhaupt, und das ausgerechnet in Zeiten einer multiplen Krise – der globalen Finanzmärkte, der sozialen Systeme und des Klimawandels.
    Auf der Suche nach inhaltlicher Orientierung
    Albrecht von Lucke: "Was ist eigentlich heute linke Politik? Und da gibt meines Erachtens im Falle der Außenpolitik vor allem die Linkspartei die völlig falsche Antwort. Es geht um die grundsätzliche Auseinandersetzung hinsichtlich der Frage: Wie steht man zum universalistischen Anspruch der Verteidigung der Menschenrechte auf internationaler Ebene? Ist man bereit, dies generell im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen durchzuführen? Ist man willens, an internationalen Kriegseinsätzen auch zur Verteidigung der Menschenrechte, etwa gegen den IS, den islamischen Staat, vorzugehen?"
    Auch bei der konkreten Ausgestaltung eines neuen Europa fordert der Berliner Politologe und Jurist eine radikale Umkehr:
    "Es wird entscheidend darauf ankommen, dass die Sozialdemokratie aus dem Geleitzug der Kanzlerin austritt und eine neue europäische Marschroute einschlägt, schon damit die Europäische Gemeinschaft nicht noch stärker auseinanderfällt."
    Praktisch heißt das, den deutschen Exportweltmeistern ans Leder zu gehen. Denn diese Erfolgskonstellation habe europaweit dazu geführt, dass die anderen Staaten sich immer mehr hätten verschulden müssen. Um dies zu ändern, bedürfe es aber zunächst einer Umverteilung in Deutschland.
    Albrecht von Lucke: "Weg von der Verteilung der Agenda-Zeit, hin zu stärkeren Kapitalerlösen. Es würde wieder stärker die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Betriebe profitieren lassen. Diese Form eines solidarischen Europas zugunsten der schwächeren Staaten wäre eines, was Sozialdemokratie und Linkspartei gemeinsam mit den Grünen sehr stark verfolgen könnten. Wenn dies gelänge, dann gäbe es da eine Form der Revitalisierung Europas".
    Rückbesinnung auf Markenkern der sozialen Gerechtigkeit
    Davon sind wir freilich weit entfernt. Denn Teile der Partei Die Linke befinden sich derzeit eher auf dem populistischen Rückzug aus Europa. Von Lucke lässt jedoch nicht locker. So empfiehlt er der SPD, mit einem "dezidiert linksemanzipatorischen Projekt" voran zu gehen, um den Markenkern der sozialen Gerechtigkeit wieder zurück zu erobern. Geradezu tollkühn mutet dabei der Ratschlag an, dass es der stagnierenden Partei Sigmar Gabriels kaum schaden könnte, "wenn sie eine kapitalismuskritische Position vom Schlage Sahra Wagenknechts durchaus aufnimmt".
    Bis zur Erfüllung solcher Träume sieht aber der Autor zunächst einmal für 2017 ein anderes Koalitionsmodell heraufziehen, ein bürgerliches Bündnis aus Union und Grünen, was er in einem Ruck von staatspolitischer Sorge sogar begrüßen würde, um eine großkoalitionäre Dauerherrschaft zu verhindern.
    So liefert Albrecht von Lucke mit seiner pointierten Analyse einen fulminanten Weckruf zur Beendigung linker Dauerfehden und zur Schaffung einer Regierungsalternative, die federführend für ein neues Europa sein soll. Das Buch ist trotz aller visionären Verblasenheit anregend zu lesen. Es holt weit aus, ohne zu langweilen. Auf der händeringenden Suche nach einer Alternative scheut der mutige Autor weder überspannte Erwartungen noch alarmistische Befunde wie den von der titelgebenden "schwarzen Republik". In dieser sind wir freilich dank der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und in den Großstädten noch nicht angelangt.
    Albrecht von Lucke: Die schwarze Republik
    Droemer Verlag München 2015, 240 Seiten, 18,00 Euro