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Politische Serie in Polen
Wenn Satire die Politik beeinflusst

Die polnische Satire-Serie "Das Ohr des Vorsitzenden" offenbart, dass das heutige Polen von einem Mann regiert wird, der einfacher Abgeordneter ist: dem Vorsitzenden der Regierungspartei Jaroslaw Kaczynski. In dieser Woche startet die zweite Staffel - genauestens beobachtet von Regierung und Opposition.

Von Florian Kellermann | 06.09.2017
    Jaroslaw Kaczynski, Chef der polnischen Regierungspartei PiS, während einer nächtlichen Debatte zur Justizreform im polnischen Parlament (Sejm), umringt von diskutierenden Abgeordneten.
    Jaroslaw Kaczynski, der Chef der Regierungspartei PiS, wird in der polnischen Serie "Das Ohr des Vorsitzenden" als mächtiger Parteivorsitzende dargestellt. (imago stock&people)
    Adrian verbringt seine Tage auf dem Flur, er isst belegte Brote und wartet darauf, dass der Parteivorsitzende ihn einlässt. Er sagt Sachen wie: "Ich habe eine Dienstreise nach Brüssel und will bloß fragen, was ich dort sagen soll."
    Mit dem mächtigen Parteivorsitzenden ist natürlich Jaroslaw Kaczynski gemeint, der Chef der Regierungspartei PiS. Und Adrian ist der unterwürfige Präsident Andrzej Duda. Das war die Konstellation in der ersten Staffel der Satire-Serie "Das Ohr des Vorsitzenden".
    Die Serie sorgt nicht nur für gute Laune; sie habe auch die Politik mitbestimmt, meinen Beobachter. Denn Präsident Andrzej Duda, der Politiker, hat sich als emanzipiert, er hat sich gegen die geplante Justizreform der PiS gestellt.
    Der oppositionelle Senator Marek Borowski: "Dieses Bild des hilflosen Adrian hat den Präsident wirklich gequält, das haben seine Mitarbeiter in privaten Gesprächen zugegeben. Er hat eine Gelegenheit gesucht, sich zu befreien, und hat sie gefunden. Die Justizreform hätte der Regierung eine starke Waffe in die Hand gegeben. "
    "Sie werden dich zerfetzen wie Gaddafi"
    "Das Ohr des Vorsitzenden" heißt die Satire-Serie, weil alle nur eines wollen: um die Gunst des mächtigen Parteichefs kämpfen. Der Vorsitzende sitzt an seinem altbackenen Schreibtisch, ohne Computer, dafür mit Karamellbonbons, und regiert von hier aus das Land.
    Der Schöpfer der Serie ist Robert Gorski. Er ist die treibende Kraft im Warschauer "Kabarett der moralischen Unruhe". Der 46-Jährige spielt den mächtigen Parteivorsitzenden selber:
    "Ein paar Freunde haben gewarnt: Warum tust du dir das an, dieser Politik-Sumpf. Sie werden dich zerfetzen wie Gaddafi in seinen letzten Tagen. Du hast so ein versöhnliches Image, der nette Mann vom Kabarett. Die Fernsehstationen haben abgewinkt, weil sie Angst hatten, dass am nächsten Tag die Steuerfahndung kommt und ihren Betrieb schließt."
    Heute würde Gorski die Serie gar nicht mehr an einen Fernsehsender abgeben, wie er sagt. Er veröffentlicht die Episoden auf "Youtube", die meisten von ihnen sind dort kostenlos zu sehen. Die erste Folge ist inzwischen 9,5 Millionen Mal aufgerufen worden.
    Auch von führenden Politikern und von Jaroslaw Kaczynski selbst: "Wenn die Leute lachen können, ist es immer gut, von mir aus auch über mich. Mir gefallen die Szenen mit meiner Katze, wie ich sie füttere. Obwohl erwachsene Katzen in Wahrheit gar keine Milch trinken."
    Gespannt auf zweite Staffel
    Kaczynski kann zufrieden sein. Die Figur des Vorsitzenden ist nicht unsympathisch gezeichnet. Und ganz offensichtlich ist er allen, die um ihn herum scharwenzeln, intellektuell weit überlegen. Wie in der 14. Episode von Staffel eins: ein Stelldichein zu seinem Namenstag. Der Chef des öffentlichen Fernsehens schenkt eine Gitarre, bezeichnet den Vorsitzenden als "vielmaliges Genie", "Titan der Titanen" und "Stratege des Glücks". Ministerpräsidentin Beata Szydlo bringt Piroggen, die polnischen Teigtaschen. Wie immer schaltet sie ihre emotionslose Computerstimme ein:
    "Wir wünschen Gesundheit, Glück, Erfolg, 100 Jahre auf dieser Welt und nur fröhliche Tage. Damit die Träume, die am Grund des Herzens verborgen liegen, sich erfüllen. Wir werfen auch eine Handvoll Glauben und Hoffnung dazu. Damit der gute Geist Sie nicht verlässt."
    "Ist bald Schluss?", unterbricht der Vorsitzende respektlos und kommentiert den Blazer der Regierungschefin: "Eine typisch polnische Farbe: Gelb wie Galle."
    Die zweite Staffel wird viel Neues bringen, versprechen die Macher der Serie. Der Präsident, also die Figur des Adrian, werde nicht wiederzuerkennen sein, verrät Robert Gorski. Wird es Adrian also endlich gelingen, aus dem Flur in das Zimmer des Parteivorsitzenden zu treten? Darauf werden die Fans von "Das Ohr des Vorsitzenden" bald eine Antwort bekommen.