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Politische Wirkungsmacht von Bildern

Ob Papstporträt oder Herrscherbüste, ob Schlachtengemälde oder Karikatur - in 141 Artikeln führt das zweibändige Handbuch vor, wie von der Antike bis in die Gegenwart Personen und Ereignisse, politische Ideale und Institutionen bildlich dargestellt wurden. Untersucht werden die Geschichte einzelner Motive und Topoi und deren Wirksamkeit.

Von Christian Gampert | 21.09.2011
    Wer immer sich auf ein solches Unternehmen einlässt, er macht sich angreifbar. Politische Ikonographie: das heißt ja nichts weniger als die politische Wirkungsmacht von Bildern zu untersuchen und die Veränderung einzelner Bildformeln durch die Jahrhunderte zu verfolgen - von der Antike bis zur Postmoderne, quer durch alle Medien, von der römischen Kaiser-Statue über die mittelalterlichen Piazza bis zur Internet-Homepage. Was gehört da hinein, was scheidet man aus?

    Darüber wird es immer Streit geben, und klar ist, dass es sich bei einem solchen Handbuch, wie es Martin Warnke, der Doyen der deutschen Kunstwissenschaft, zusammen mit seinen Kollegen Uwe Fleckner und Hendrik Ziegler nun konzipiert hat, im Grunde um ein fächerübergreifendes Werk handelt. Viele der Stichworte, die von einer erlesenen Autorenschar abgehandelt werden, stammen aus der politischen Sphäre (wie Anarchie, Freiheit, Nation, Staatsräson, Sozialismus) oder sind sozialwissenschaftliche Begriffe (wie Minderheiten, nationale Leitbilder, Emanzipation der Frau). Andere wiederum sind sehr eng kunsthistorisch gefasst - wie Effigies, Ikonoklasmus, Papstbildnis, Stadttor, Zepter. Außerdem gibt es hübsche Ausreißer wie zum Bespiel den "Zwerg", zu dessen Bild- und Sozialgeschichte Lothar Sickel einen der schönsten Artikel verfasst hat.

    Der Zwerg war eine wichtige Figur an den Höfen, an der man die Entstehung von Hof-Kritik demonstrieren kann. Aber wie lässt sich ein solches Stichwort rechtfertigen, wenn ein Kastenbegriff wie "Revolution" fehlt? Es lohnt, einmal die Herausgeber-Perspektive einzunehmen und Martin Warnke nach seiner Herangehensweise zu befragen. Dabei stellt sich heraus: natürlich hätte man sehr viel mehr machen können – aber man wollte in vertretbarer Zeit, fünf Jahre hat man nun gebraucht, ein benutzbares Kompendium zusammenstellen.

    "Wir haben ja 30 Jahre lang in Hamburg ein Archiv zur politischen Ikonographie aufgebaut – mit etwa 450.000 Bildern, kleinen Bildern und auch Großformate sind dabei, nach Stichworten geordnet. Es sind etwa ein Drittel der Gesamtstichworte, die wir dort dokumentiert haben, im Handbuch vorhanden. Es könnten also billig sechs Bände sein."

    Natürlich ist das Warburg-Haus in Hamburg, an dem Warnke arbeitet, das geistige Zentrum dieses Handbuchs. Aber, das ist Warnke wichtig: dies ist nicht das Werk der sozialhistorisch orientierten Warburg-Schule. Es gibt konservative wie fortschrittliche Beiträger, reine Formgeschichtler wie Medientheoretiker. Warnke wollte ein Werk für das gesamte Fach. Deshalb: eine weite Öffnung für alle kunsthistorischen Richtungen – bei strenger Platzbeschränkung für alle.

    "Und das war die Schwierigkeit. Wir haben aus diesem Archiv jedem Autor, wenn er es wollte, haben wir ihm sämtliche Materialien aus diesem Archiv zur Verfügung gestellt, aber wir haben ihm gesagt, wenn du 200 Bilder über Pflastersteine hast, dann darfst du aber nur neun davon auswählen. Unsere Vorgaben waren ganz immens."

    Niemand durfte mehr als neun, zehn Druckseiten schreiben, inklusive Fußnoten. Das beinhaltet leider auch, dass die Größe der Abbildungen beklagenswert klein ist, zudem sind sie schwarz-weiß und bieten nur grobe Orientierung. Andererseits ist der didaktische Ansatz der einzelnen Artikel vorgegeben.

    "Mich hat immer unbefriedigt gelassen an Handbüchern dieser Art, dass man alles erfuhr, aber nichts prägnant mitnahm. Also deshalb haben wir festgelegt, dass zu Beginn eines jeden Artikels ein signifikantes Bild ausführlich besprochen, interpretiert wird nach jeder Richtung hin, damit man nach der Lektüre sagen kann: ich habe einen Fall wirklich drastisch prägnant vor Augen geführt bekommen."

    Ausgehend von diesem einen Werk wird dann die Geschichte des Topos aufgerollt. Und hier gibt es wirklich Überraschungen: der Artikel über "Jugend" beginnt mit einer Fotografie von Larry Clark aus dem Jahr 1971, auf der ein im Bett liegender Hippie seiner über ihm knieenden nackten Partnerin eine Spritze setzt; Jugend wird hier also nicht gefeiert, sondern als Gefährdung verstanden. Erst später werden unter dem Lemma dann historische Bildwerke besprochen, ein italienischer Druck von 1611 oder Giorgiones "Drei Lebensalter des Mannes". Der Begriff der "zwei Körper des Königs", auf Ernst Kantorowicz zurückgehend, hat es zum Stichwort geschafft – der Artikel setzt provokanterweise mit Lenins einbalsamiertem Leichnam ein, der am Rande des Roten Platzes in einem Mausoleum zur Schau gestellt wird. Das Kapitel über "Anarchie", von Warnke selbst verfasst, beginnt mit Paul Signacs Gemälde "Im Zeitalter der Anarchie" von 1893, das Motive christlicher (!) Bildtradition und des "Goldenen Zeitalters" im leeren Raum variiert und für eine positive Neubewertung der befreienden Anarchie wirbt. Warnke zeigt sodann, dass eine Verteufelung der angeblich zügellosen Anarchie überhaupt erst mit dem 18.Jahrhundert einsetzte und Signac dem entgegentrat. Erwartungsgemäß wählen die jüngeren der Handbuch-Autoren auch modernere Beispiele, die Granden der Zunft arbeiten sich lieber an historischen Themen ab. Doktoranden-Fleiß ist der souveränen Übersicht allerdings immer unterlegen. Aber auch unter den Etablierten des Fachs gab es offenbar Kontroversen:

    " Ich war immer der Meinung, wir berichten nichts aus der Geschichte. Wenn Sie den Artikel "Bauern" zum Bespiel nehmen, der fängt an mit einer Sozialgeschichte der Bauern. Da habe ich gesagt, in diesem Fall handelt es sich um eine sehr gute, prominente Autorin: Wenn ich was über die Sozialgeschichte der Bauern wissen will, schlag ich ganz woanders nach als in unserem Handbuch der Ikonographie. Andererseits: ich kann doch nicht über die Bilder reden, wenn ich nicht weiß, was sozialgeschichtlich mit den Bauern los ist. Dieser Konflikt war durchgehend. Und ich hoffe, dass wir in den überwiegenden Fällen den richtigen Ausgleich gefunden haben."

    Es geht in der Hauptsache also um die Geschichte einzelner Bild-Motive und Topoi – und deren Wirksamkeit. Bis zur Aufklärung sind selbstredend die affirmativ gemeinten Bildwerke in der Mehrzahl; Herrscherbilder, Schlachtengemälde. Aber es gibt spätestens ab Mitte des 19.Jahrhunderts Bildfindungen, die politische Prozesse erst anstoßen; Paradebeispiel ist natürlich die Karikatur – der Handbuch-Artikel wird eröffnet mit der lithographischen Verformung des Bürgerkönigs Louis-Philippe zur Birne, ein Motiv, das viel später dann in deutschen Landen gern aufgenommen wurde.

    Man kann (und sollte) natürlich auch aktuelle Motive zu ihrem historischen Kern zurückverfolgen.

    "Also wenn ich ein sehr merkwürdiges Stichwort einfach mal herausgreife, da kommt ein Stichwort "Das Bad in der Menge" vor. Man denkt zunächst mal, was soll das. Das fängt an mit Kohl in Erfurt, der in die Menge sich hineinbegibt und dann angegriffen wird. Aber Politiker, die in der Menge…das gibt's seit dem 17.Jahrhundert. Im 17.Jahrhundert haben sich Herrscher als Bauern verkleidet und in die Bauernfeste eingeschlichen, sie haben ein Bad in der Menge getan. Dieses Bedürfnis, mal aus dem Höfischen, Hochzeremonialisierten, aus dieser Sphäre herauszutreten und in der Menge aufzugehen. Oder Joseph II. hat plötzlich die Anwandlung gehabt, der Kaiser, der also einen Pflug gegriffen hat und öffentlich gepflügt hat…Und die Bauern haben applaudiert und haben ihm ein Denkmal an die Stelle gesetzt haben, wo er ein Bad bei den Bauern genommen hat. Das finde ich ein Stichwort."

    Die Macht der Bilder ist eine andere, suggestivere als die sozialwissenschaftlicher Dokumente; deshalb sind Kunstwerke ja in Museen zugänglich und nicht in Archiven. Der tatsächliche Einfluß einer Allegorie, einer Figur, einer Darstellungsform ist allerdings oft ganz unabhängig von ihrer Intention – er unterliegt den Zeitläuften. Deshalb ist gerade die Gegenwartskunst, trotz ihres oft anarchischen Gestus, in diesem Handbuch eher unterrepräsentiert, und das hat damit zu tun, dass sie letztlich esoterisch bleibt. Sie bewegt sich in einem selbstbezüglichen System – und oft genug nur zwischen Kunstmessen und den Privaträumen der Sammler. Aber:

    "Deshalb ist noch nicht die politische Ikonographie aus dem Spiel, wenn die Kunst sich aus der Politik verabschiedet. Denn die Bilder tun es ja: also das Fernsehen, Fotos. Filme sind ja auch permanent Bildproduktion. Die tun es ja in einem Ausmaß wie nie vorher in der Geschichte. Nicht umsonst heißt die größte Zeitung, die wir haben, Bild-Zeitung. Das signalisiert, dass das Bild in seinen vielfältigen Erscheinungsformen, nicht nur als Kunst, doch eine Rolle spielt wie eigentlich nie zuvor."

    Die Kunstwissenschaft muss sich ganz andere Werkzeuge und Fähigkeiten aneignen, wenn sie diese neuen Bilder analysieren will: Grafiti, Musikvideos, Internetauftritte, Fernsehen. Die Analyse eines Wahlplakats ist unter Umständen schwieriger als die hergebrachte Interpretation eines Ölbilds aus dem Vormärz.

    Hundert Autoren, 141 Artikel auf fast 1200 Seiten, über 1200 Abbildungen: dieses Handbuch ist, trotz aller Mäkeleien, die jetzt natürlich laut werden, ein Meilenstein kunsthistorischer Forschung – weil es methodisch das, was Aby Warburg (auch mit seinem Mnemosyne-Atlas) einst angestoßen hat, nun auf politischem Gebiet und auf neuestem Stand zu systematisieren versucht. Es werden hier eben nicht nur die Inkunabeln der Kunstgeschichte abgehandelt – also etwa Lorenzettis "Allegorie der guten Regierung" aus dem Palazzo Pubblico in Siena oder Manets "Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko". Sondern es gibt hier völlig überraschende Einteilungen und Wertungen: Andreas Beyer schreibt über die Symbolkraft der "Säule" und die Versuchung, sie zu zerstören, Monika Wagner über das "Material" als politisch aufgeladenes, aussagekräftiges Element von Denkmälern. Und trotzdem: Martin Warnke wird ganz wehmütig, wenn er aufzählt, was noch alles fehlt.

    "Und ich muss auch sagen, es sind unheimlich viele Stichworte, die mir wichtig waren, die in dem Handbuch nicht vorkommen. Ich erwähne mal: Genealogie. In jedem Grabmal des Mittelalters, in jedem Schloss gibt es genealogische Stammbäume. Also eine ungemein wichtige Bildform. Es kommt Adel nicht vor, es kommt das Turnier nicht vor, es kommt die Prinzen-Erziehung nicht vor. Der französische Kollege hat Prince als Herrscher übersetzt, er sollte über Prinzen schreiben. Es kommt, ein wichtiger Begriff, Harmonie nicht vor. Man könnte sagen, das wäre unter Utopie zu verhandeln, aber es ist ein politisch hochgeladener Begriff. Hof kommt nicht vor. Pressefreiheit – also ohne die Karikatur wär's wahrscheinlich mit der Pressefreiheit nicht so gelaufen. Recht, Roland kommt nicht vor…Für all diese Stichworte haben wir Massen an Materialien. Wir haben Autoren auf Knien gebeten, damit was zu machen. Sie haben … es hat ja fünf Jahre am Ende gedauert, bis dann alles zusammen war… Daran sehen Sie, man könnte ein Leben lang weiterarbeiten an dem Projekt."

    Das zweibändige Opus von Martin Warnke und Kollegen scheint also nur ein erster Schritt zu sein auf dem Weg zu einem größeren und ausführlicheren Kompendium. Nehmen wir einstweilen das, was wir schon haben: ein großartiges, originelles, vielfältiges Nachschlagewerk, das in vielen wissenschaftlichen – und journalistischen – Arbeiten seine Spuren hinterlassen wird.

    Uwe Fleckner, Martin Warnke, Hendrik Ziegler (Hrsg): Handbuch der politischen Ikonographie.
    Band I: Abdankung bis Huldigung.
    Band II: Imperator bis Zwerg.
    Verlag C.H. Beck, München
    1140 Seiten, 128 Euro (Subskriptionspreis bis 31.12.201: 98 Euro)