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Politische Witze
So hat die DDR gelacht

Offiziell gab es sie nicht, doch jeder kannte sie: Politische Witze in der DDR waren Ventil und Widerstand zugleich. Mit dem Fall der Mauer starben sie aus und wären fast verschwunden - hätte der Bundesnachrichtendienst die DDR-Witze nicht gesammelt und archiviert. Eine Auswahl ist jetzt als Buch erschienen.

Von Thomas Moser | 22.09.2015
    Die Ehrentribüne auf der Karl-Marx-Allee während der Militärparade am 7. Oktober 1989 in Ost-Berlin mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (2.v.l.), dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär Erich Honecker (3.v.l.), Raissa Gorbatschowa (hinter Honecker), die Gattin des sowjetischen Präsidenten und Willi Stoph (3.v.r.), Ministerpräsident der DDR.
    Ausgelacht: Mit dem Ende der DDR verschwand auch der politische Witz. (picture alliance/dpa/adn)
    "DDR-Staatschef Honecker sieht eine große Menschenschlange vor einem Gebäude. Auch er stellt sich an, ohne zu wissen, was angeboten wird. Da löst sich die Schlange schlagartig auf. Honecker fragt seinen Vordermann: Kannst du mir sagen, Genosse, weshalb wir hier Schlange gestanden haben? - Klar, sagt der, die Leute standen hier, um ihre Ausreiseanträge abzugeben. Honecker: Und weshalb gehen die jetzt alle so plötzlich? Antwort: Na, wenn du einen Ausreiseantrag stellst, können wir ja alle hierbleiben!"
    Ein Witz aus vergangenen Zeiten, einem untergegangenen Staat und fast 30 Jahre alt. Ein Klassiker, jedoch: Es geht hier nicht um Ost-Nostalgie - sondern um den Westen: Der Witz wurde nämlich - kein Witz - gesammelt vom Bundesnachrichtendienst. Das überrascht, nicht nur weil die Behörde doch eher spaßfrei daher kommt.
    Böse Sprüche von drüben
    "Ich denke, dass das Hauptinteresse des BND war, Anhaltspunkte zu finden für die Durchschnittsmentalität und das Weltbild der DDR-Bevölkerung, das sich eben in der offiziellen Propaganda nicht widergespiegelt hat", erklärt ganz ernsthaft der Historiker und DDR-Erforscher Hans-Hermann Hertle. - Erst vor wenigen Jahren gab der BND seine Witz-Akten für die Wissenschaft frei. Damit wurde auch ein Blick in sein Inneres ermöglicht: Wie die Stasi Ost, so hat also auch der Spionagedienst West die bösen Sprüche von drüben gesammelt. Die dokumentierten zweierlei: einmal die Missstände in der DDR - und daneben auch den Grad des Widerspruches in der Bevölkerung, erklärt Hertle.
    "Der Witz - das ist ein Zitat von Sigmund Freud - ist die Waffe der Wehrlosen. Und angewandt auf die DDR kann man sagen: Es war ein Florett der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker. Ein geistiges Florett."
    "Was ist das: Es hat 80 Zähne und 4 Beine? Ein Krokodil! - Und was ist das: Es hat 8 Zähne und 52 Beine? - Das SED-Politbüro!"
    Während die politischen Witze in der DDR zwar nicht öffentlich erzählt wurden, aber doch als Allgemeingut gelten konnten, waren sie im offenen Westen - seltsam genug - unter Verschluss.
    "Alles, was ein Geheimdienst sammelt, ist natürlich geheim, daher der Name. Ich denke, beim BND wird sogar die Speisekarte geheim sein. Im Verteiler dieser politischen Witze war zum Beispiel das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt und auch dort wurden diese Unterlagen, die politischen Witze, abgelegt als Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch."
    Geheimniskrämerei West dauert an
    In die Karten schauen lassen wollen sich Agenten natürlich nicht. Und so kommt es, dass der BND selbst 25 Jahre nach dem Ende der DDR selbst um eine Witzesammlung immer noch Geheimniskrämerei betreibt. Wer zum Beispiel beschaffte oder lieferte die Witze? Entsprangen sie vielleicht auch Lauschoperationen des BND, also abgehörten Telefonaten von DDR-Bürgern?
    "Das könnte eine Quelle gewesen sein, aber darüber hat der BND keine Auskunft gegeben. Über die konkreten Quellen spricht der BND nicht. Die unterliegen nach wie vor der Geheimhaltung."
    Ein DDR-Bürger beschwert sich aufgebracht bei der Post: "Warum will man mir mein Telefon wegnehmen? "Antwort: Sie haben die Staatssicherheit verleumdet." - "Wieso denn?" - "Sie haben in Telefongesprächen behauptet, die Staatssicherheit höre ihr Telefon ab."
    Zu den ungeklärten Fragen zählt auch die, ob der BND vielleicht selber Witze in die DDR einschmuggelte, etwa als Mittel psychologischer Kriegsführung?
    Hertle: "Der BND hat die Frage, ob er selbst Witze in der DDR verbreitet hat, mit einem einzigen Wort beantwortet, nämlich mit Nein. Und dieses Nein mit einem Ausrufezeichen versehen."
    "Kennen Sie den? Erich Honecker geht mit einem Strick in den Wald. - Nein. - Ich auch nicht. Aber er fängt schon mal gut an!"
    Die Rolle des Witzes beim Mauerfall
    Die Scherze und Kalauer wurden im Verlauf der 80er-Jahre schärfer und unversöhnlicher. Ob sie den Sturz des Regimes mitbefördert haben, ist bei Zeitgeschichtlern wie Humorologen umstritten. Interessant ist aber schon die Frage, ob die Kultur des politischen Witzes Einfluss hatte auf die Friedfertigkeit der Wende im Herbst 1989. Hans-Hermann Hertle jedenfalls konstatiert, "dass sich der politische Witz in vielfältiger Weise auf den Demonstrationen gezeigt hat. Besonders dann auch auf der großen Demonstration am 4. November 1989 in Berlin. Sowohl in den Parolen als auch in den Reden, die dort gehalten wurden. Also zum Beispiel Steffi Spiras Wort von: 'Mein Vorschlag für den 1. Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei!' ist da paradigmatisch."
    Der Spott gipfelte in jener Volkskammersitzung, als selbst die staatstragenden Abgeordneten den stotternden Stasi-Minister Erich Mielke für seinen Ausruf "Ich liebe doch alle Menschen!" auslachten. "Und Mielke wird ja quasi aus der Sitzung hinausgelacht, weggelacht."
    Ausgelacht - mit dem Ende der DDR starb auch der politische Witz. Doch in den Akten des Bundesnachrichtendienstes hat er überdauert.
    "Warum sind DDR-Bürger immer so müde? Weil es seit 40 Jahren schon bergauf geht!"
    Hans-Hermann Hertle und Hans-Wilhelm Saure: "Ausgelacht"
    Ch. Links Verlag, Berlin, 144 Seiten, 10,- Euro