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Politischer Islam
Salafismus in Deutschland

In dem Buch "Salafisten. Bedrohung für Deutschland?" setzt sich Ulrich Kraetzer mit dem Phänomen Salafismus auseinander - mit Information statt Sensation. Der Journalist erläutert und charakterisiert die Bewegung und macht deutlich, was deren Ideologie für manche Jugendliche so attraktiv macht.

Von Stephanie Doetzer | 26.05.2014
    Anhänger der Salafisten beten am Samstag (09.06.2012) in Köln unter der Beobachtung der Polizei.
    Der Autor informiert über den historischen Kontext des Salafismus genauso wie über die Lebenswege der bekanntesten salafistischen Wortführer in Deutschland (picture alliance / dpa - Roland Weihrauch)
    Wenn Worte Karriere machen können, dann hat der Begriff "Salafismus" eine beeindruckende Laufbahn hingelegt. Bis vor etwa drei Jahren hatten fast nur diejenigen davon gehört, die beruflich mit dem Thema befasst waren. Früher sprach man von radikal-islamisch oder fundamentalistisch, jetzt gibt es ein neues Etikett: salafistisch. Und wieder im Sinne von: irgendwie radikal, womöglich gefährlich. Alles Weitere bleibt unklar.
    Ulrich Kraetzers Buch setzt genau da an: Der Autor will das Phänomen Salafismus begreifbar machen, mit Information statt Sensation. Und er betont dabei immer wieder, dass Salafisten keinen homogenen Block bilden.
    "Man trifft auf eine ungeheuer große Bandbreite. Es gibt Salafisten am äußersten extremen Rand, die befürworten tatsächlich Gewalt und Terror. Es gibt aber auch viele Salafisten, die lehnen Terrorismus eigentlich ziemlich klar ab. Mindestens wünschen sie sich aber alle einen islamischen Staat."
    Die meisten Muslime, die von Islamwissenschaftlern als "Salafisten" bezeichnet werden, halten selbst von dieser Einteilung gar nichts. Sie sehen sich einfach als "sunnitische Muslime".
    Das Wort geht zurück auf das arabische "salafa" und meint die "Altvorderen", also die ersten drei Generationen nach dem Propheten Mohammed. Für die Anhänger des Salafismus gilt es, diesen noch "unverdorbenen" Muslimen nachzueifern. Ulrich Kraetzer beschreibt, wie manche Salafisten ihre Vorbilder in den kleinsten Alltagsdingen imitieren - vom Zähneputzen bis zur Kleidungsfrage. Die ideologischen Wortführer der Bewegung liefern ein einfaches Weltbild. Und manchmal auch ein Ventil für die eigene Wut.
    Beschreibung von einzelnen Persönlichkeiten
    So beschreibt der Autor etwa Harry, einen Konvertiten aus Pinneberg. Der postet auf seiner Facebook-Seite über vermeintliche Feinde Gottes: "Es wird Inschallah unsere Zeit kommen, wo wir sie Stück für Stück abschlachten." Im persönlichen Gespräch mit Ulrich Kraetzer aber serviert er Kekse und Tee, ist höflich und zuvorkommend.
    Kraetzer schreibt:
    "Klare Regeln und einfache Wahrheiten. Harry gefiel das: fünfmal am Tag beten, kein Alkohol, keine Frauen. Ein Gott. Der Satan. Verboten oder erlaubt. Muslim oder Ungläubiger. Das Leben, das Harry so kompliziert erschien, war plötzlich ganz einfach.
    Harry schaut YouTube-Videos salafistischer Prediger. Und irgendwann vermischen sich für ihn Religion und Politik.
    "Glaubensbrüder zeigen ihm Fotos aus Palästina und Afghanistan, Bilder aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib - und Harry verstand auch diese Botschaft: Der Westen und die Ungläubigen unterdrücken unsere Glaubensbrüder auf der ganzen Welt. Wir Muslime müssen uns wehren - und zwar mit allen Mitteln."
    Ob diese Mittel Gewalt beinhalten oder nicht, darüber besteht auch unter "Salafisten" Uneinigkeit. Für einen wie Harry ist klar: Gläubige, die tatsächlich in einen bewaffneten Kampf ziehen, etwa in Syrien, das sind die, "die den Hintern hochbekommen", die nicht nur reden, sondern sich - aus salafistischer Sicht - für eine "gerechtere Welt" einsetzen. Von Einzelfällen Rückschlüsse auf die ganze Gemeinschaft zu ziehen, ist problematisch. Dennoch ergibt sich aus den von Kraetzer geschilderten Fällen ein Bild.
    Zwar sind die deutschen Salafisten sehr unterschiedlich: reich oder arm, gut integriert oder abgeschottet, Abiturienten genauso wie Schulabbrecher. Auf der individuellen, gefühlsmäßigen Ebene aber gibt es einen gemeinsamen Nenner. Entfremdung, nennen es die Psychologen. Und Kraetzer erzählt:
    "Sie wissen nicht so richtig, wohin im Leben. Sie fühlen sich in irgendeiner Art und Weise nicht zugehörig zu dieser Gesellschaft. Und die Salafisten bieten ihnen dann eine Gemeinschaft. Das ist für viele wunderschön in der Moschee zu sitzen, zusammen zu sein und das Gefühl zu haben: Ich gehöre jetzt zu einer auserwählten Gruppe. Denn das predigen die Salafisten ja: Du gehörst jetzt zu den wahrhaft Gläubigen, du hast den wahren Glauben und wirst ins Paradies kommen."
    "Die Machtverhältnisse werden somit zugunsten der 'Entfremdeten' auf den Kopf gestellt. Aus bevormundeten und diskriminierten Jugendlichen werden Gewinner, die im Besitz des 'Wissens' und der 'Wahrheit' sind. Missliebige Eltern, Lehrer und all jene, die den 'Entfremdeten' das Leben schwer gemacht haben, landen dagegen in der Hölle."
    Nuancierte und neutrale Schilderung
    Wer meint, erklären zu können, wer in den Himmel kommt und wer in die Hölle, der kann plötzlich ungeahnte Macht über andere ausüben. Und er hat Aufstiegschancen: Man kann sich aktiv engagieren und Korane verteilen, Flyer gestalten, Videos produzieren. Der Salafismus ist eben auch, wie ihn der Islamwissenschaftler Klaus Hummel nennt, eine "soziale Mitmachbewegung".
    Gleichzeitig: Werden die Jugendlichen selbst befragt, sprechen sie nicht über Ausgrenzung oder die Lust an der Provokation. Die psychologische Deutung bleibt Sache der außenstehenden Beobachter. Salafisten psychologisieren nicht. Sie sprechen von: Wahrheit entdeckt, Sinn des Lebens gefunden. Kraetzer schildert all das nuanciert und sehr neutral. Er informiert über den historischen Kontext genauso wie über die Lebenswege der bekanntesten salafistischen Wortführer in Deutschland.
    Bei der Frage, wie die deutsche Gesellschaft mit salafistischen Propagandisten und ihren Anhängern umgehen soll, plädiert er für mehr Gelassenheit:
    "Je häufiger der Staat Vereine verbietet und Internetseiten löscht, Wohnungen durchsucht und Moscheen dicht macht, und je lauter Politiker den Salafisten 'den Kampf' ansagen, desto leichter fällt es den Wortführern der Bewegung, ihren Anhängern einzureden, dass 'die Ungläubigen' 'den Islam' und 'die Muslime' fertigmachen wollen."
    Wenn es um Lösungsansätze geht, fällt Ulrich Kraetzer auch nichts wesentlich anderes ein als die üblichen "Deradikalisierungsprojekte". Für diejenigen, denen der Salafismus als Lösung ihrer Lebensfragen erscheint, hat das wenig Glaubwürdigkeit. Interessant wäre hier der Blick in die arabische Welt gewesen, wo die salafistische Ideologie derzeit ungeheuren Aufwind bekommt.
    Die Weltpolitik kommt in Kraetzers Buch aber wenig zur Sprache. Er bleibt bei Deutschland und hier gilt für ihn:
    "Je häufiger Muslime das Gefühl haben, in Deutschland unerwünscht zu sein, desto häufiger werden sie ihre geistige Heimat bei Bewegungen wie der salafistischen suchen. Und je häufiger Salafisten gemäßigter Strömungen das Gefühl haben, mit Dschihadisten und Terroristen in einen Topf geworfen zu werden, desto häufiger werden sie sich tatsächlich dem gewaltbereiten Spektrum zuwenden."
    Das bedeutet nicht, Salafisten mit Samthandschuhen anzufassen oder Entgleisungen mit dem Hinweis auf schwierige Lebensumstände zu entschuldigen. Aber es bedeutet, dass reißerische Medienberichterstattung und politische Plattitüden genau das schüren, was sie zu bekämpfen vorgeben. Genau davon hebt sich Kraetzers Buch wohltuend ab.
    Ulrich Kraetzer: "Salafisten. Bedrohung für Deutschland?"
    Gütersloher Verlagshaus, 288 Seiten, 19,99 Euro
    ISBN: 978-3-579-07064-3