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Politisches Klima in Polen
"Gefährdung der liberalen Demokratie"

Nicht nur das Verhältnis zwischen Polen und der EU-Kommission sei wegen der umstrittenen Justiz-Reform und des Streits um die EU-Ratspräsidentschaft derzeit schwierig, sagte der Politikwissenschaftler Stefan Garsztecki im DLF. Auch in der Bevölkerung sei "das Land eigentlich geteilt".

Stefan Garsztecki im Gespräch mit Daniel Heinrich | 08.03.2017
    Eine Menschenmenge vor dem Parlamentsgebäude in Warschau hält Banner und Fahnen in die Höhe.
    Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Warschau (picture alliance /dpa /Marcin Obara)
    Daniel Heinrich: Ich spreche mit Stefan Garsztecki, Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz und Polen-Experte. Herr Garsztecki, der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel warnt bei seinem Besuch in Polen vor einem Auseinanderdriften Europas. Wie blickt man dieser Tage von Warschau auf Europa, auf Brüssel?
    Stefan Garsztecki: Ja, man hat seine eigene Sichtweise auf Europa. Morgen wird bekanntlich auf dem Gipfel der EU über den neuen Ratsvorsitzenden befunden und Polen hat in den letzten Tagen jetzt eine Gegenkandidatur zu Donald Tusk, der ja nun Pole ist, der ehemalige Ministerpräsident, vorgestellt. Darum haben sich heute eigentlich die Haupt-Nachrichtensendungen in Polen gedreht und der deutsch-polnische Kontext ist etwas in Vergessenheit geraten. Das heißt, man versucht natürlich, jetzt auch – das hat Waszczykowski in der Pressekonferenz mit Sigmar Gabriel auch betont – natürlich den anderen Entwicklungen in der EU vorzubeugen. Es haben sich ja die Staatschefs von Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien getroffen und sich letztendlich für ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten ausgesprochen, und das kann natürlich nicht im Interesse Polens sein.
    Heinrich: Helfen Sie uns weiter, Herr Garsztecki. Ausgerechnet die polnische Regierung stellt sich gegen Donald Tusk. Sie haben es angesprochen. Ist das Machtpolitik, ist das gedacht für die eigene Wählerklientel? Was ist das?
    Garsztecki: Es gibt, denke ich, drei Elemente. Das erste Element ist: Es gibt eine Abneigung der beiden Herren, die sich ja seit Jahrzehnten kennen. Jaroslaw Kaczynski ist zwar nicht Ministerpräsident, aber er ist die bestimmende politische Figur in Polen, da er Vorsitzender der Partei Recht und Gerechtigkeit ist, die alleine die Regierung stellt.
    Das zweite Element – und das ist das, was Tusk vorgeworfen wird von PiS – ist, dass er nicht unabhängig sei. Heute ist ein Spot der Partei Recht und Gerechtigkeit im Netz veröffentlicht worden, der zum Teil ein bisschen unter der Gürtellinie Tusk angreift und sagt, er habe sich nicht für polnische Werften, auch für Werften in Osteuropa eingesetzt, er sei nicht objektiv, er sei nicht unabhängig und er habe Partei bezogen in den innenpolitischen Auseinandersetzungen mit Polen.
    Das knüpft genau an einen Vorfall vom 17. Dezember im letzten Jahr an. Tusk ist als Ratspräsident in Polen gewesen, in Breslau. Breslau ist europäische Kulturhauptstadt gewesen, das war der formelle Anlass. Und er hat sich in seiner Rede dann auch auf Ereignisse im Sejm am 16. Dezember letzten Jahres berufen. Es ging um Bestimmungen im Sejm, wie Journalisten arbeiten können. PiS wollte das in gewissen Formen einschränken, dagegen haben Abgeordnete protestiert und vom 16. Dezember bis zum 12. Januar die Rednertribüne im Sejm besetzt. Tusk hat sich da in dieser Rede in Breslau am 17. Dezember 2016 darauf bezogen und hat zur Wahrung von Verfassung und von Demokratie in Europa aufgerufen.
    Das – das kann ich schon verstehen – ist jetzt natürlich nicht ganz unbeteiligt an den politischen Ereignissen, umso mehr, als dieses Ereignis vom 16. Dezember und in den folgenden Tagen in der Interpretation von PiS als Putsch bezeichnet wird. Ich glaube, dass das zu weit geht, aber das ist sozusagen der Kontext, in dem sich das Ganze abspielt. Und ein drittes Moment ist natürlich auch, dass man Tusk als jemanden sieht – das ist der Vorwurf, der in diesem Spot auch betont worden ist -, der mehr für Polen hätte machen sollen. Darüber kann man natürlich diskutieren.
    "Es geht letztendlich um den Rechtsstaatmechanismus der Europäischen Union"
    Heinrich: Mehr für Polen hätte machen sollen. Herr Garsztecki, lassen Sie uns mal auf die polnische Innenpolitik blicken. Der Europapolitiker Markus Ferber hat in diesem Programm die Zustände in Polen als gefährlich beschrieben. Er zielt dabei vor allem auf die eingeschränkte Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ab. Wenn man von Polen spricht, kann man da noch von einem Rechtsstaat sprechen?
    Garsztecki: Da das Verfahren, das Prüfen der Rechtsstaatlichkeit in Polen noch nicht abgeschlossen ist und man weiter im Gespräch ist, kann man das momentan natürlich noch machen. Es gibt ja auch eine starke Opposition. Auch das Verfassungsgericht ist geteilt. Aber ich sage vielleicht mal ganz kurz, worum es geht. Es geht ja letztendlich um diesen Rechtsstaatsmechanismus der Europäischen Union. Es setzt zunächst einen Dialog voraus. Der wird momentan unternommen.
    Es gibt Empfehlungen der Venedig-Kommission. Und das Ganze ist ja einem Verfahren nach Artikel 7 des Lissabonner Vertrages vorgeschaltet. Der sähe dann tatsächlich Sanktionen vor. Dazu wird es wohl nicht kommen. Tatsächlich sind in Polen ja verschiedene Versuche unternommen worden, Einfluss auf das Verfassungsgericht zu nehmen. Es ging um die Wahl von Richtern im Herbst 2015 durch das alte Parlament, dann neue Richter durch das neue Parlament. Einige Richter, die vom alten Parlament gewählt worden sind, werden nach wie vor nicht zu ihrer Arbeit zugelassen. Und es gibt ein neues Gesetz über das Verfassungsgericht vom Sommer letzten Jahres.
    Alle diese Entscheidungen sind auch vom Verfassungsgericht, wo es noch keine Mehrheit von PiS-Richtern gibt, infrage gestellt worden und PiS hat mehrere Dinge geändert, die eigentlich anders geplant waren. Das heißt, man muss jetzt nicht mehr in der vollständigen Zusammensetzung urteilen über Dinge im Lande. Ursprünglich wollte man, dass das nur in vollständiger Zusammensetzung stattfinden könnte, und dann hätten die PiS-Richter das dann blockieren können. Das ist geändert worden.
    Was nicht geändert worden ist, ist der Versuch der Einflussnahme auf das Verfassungsgericht. Das ist das erste. Man versucht, die Wahl von Richtern aus dem Jahr 2010 jetzt ungültig zu machen, um damit auch die Machtverhältnisse zu ändern. Und zum zweiten sind entscheidende Urteile des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 und 2016 bis heute nicht veröffentlicht worden und das möchte man auch nicht machen, und darum gehen die Vorwürfe der Venedig-Kommission.
    "Zivilgesellscaft spielt eine wichtige Rolle"
    Heinrich: Viele Polen – Sie haben es angedeutet – stimmen nicht mit dem Kurs der Regierung überein. Es hat im vergangenen Jahr immer wieder starke Proteste gegeben. Wir hören viel und wir haben gerade schon gesprochen von der Regierungspartei PiS, von den konservativen Kräften im Land. Welche Rolle, Herr Garsztecki, nimmt denn die Zivilgesellschaft in Polen ein?
    Garsztecki: Die Zivilgesellschaft spielt natürlich eine wichtige Rolle in diesen Protesten. Es gibt dieses Komitee zur Verteidigung der Demokratie, was ein bisschen nach dem Modell des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter aus dem Jahr 1976 organisiert ist, und in der Bezeichnung knüpft das daran natürlich an. Aber Sie haben eben gesagt, die Zivilgesellschaft ist aktiv in diesen Protesten. Was ihr noch nicht gelungen ist, das auch offen auf ein Parteienbündnis zu übertragen, weil wir haben ja verschiedene Oppositionsparteien. Sozialdemokratische und linke Parteien sind nach den letzten Parlamentswahlen vom Herbst 2015 nicht im Parlament vertreten. Und die beiden wichtigsten Oppositionsparteien sind jetzt die Bürgerplattform, der der ehemalige Ministerpräsident Tusk angehörte, und die Partei Die Moderne, Nowoczesna auf Polnisch, was eigentlich so eine Abspaltung der Bürgerplattform ist.
    Die kooperieren nur zum Teil und in der Bevölkerung ist das Land eigentlich geteilt, und zwar eigentlich in fast allen Fragen. Zum Beispiel heute sind Umfragen veröffentlicht worden, ob die Mehrheit der Polen für eine Wahl von Donald Tusk ist. Da sagen 50 Prozent ja und 51 Prozent sagen nein [sic]. Auch in den Umfragen zu den Parteien ist das Land ziemlich geteilt. Einerseits könnte man auch was Gutes in der Krise um das Verfassungsgericht – man könnte hier auch über die Medien sprechen – sehen. Auf der anderen Seite werden die Gräben im Land sehr viel tiefer und es wird wirklich eine Herausforderung sein, diese Gräben in der nahen Zukunft wieder schließen zu können.
    Gesellschaftliche Gräben sind "gefährlich für das politische Klima"
    Heinrich: Würden Sie sagen, Herr Garsztecki, letzte Frage, dass diese Spaltung in der Gesellschaft oder diese Gräben, dass die gefährlich sind?
    Garsztecki: Ja, die sind gefährlich für das politische Klima. Sie führen zu einer Polarisierung auch in der Gesellschaft und die Risse gehen durch Kollegenkreise, sie gehen durch Familien durch und letztendlich erschüttert es dann auch den Glauben an die liberale Demokratie. Das ist ja in Polen, von PiS wird das so vertreten: Man möchte eine andere Form von Demokratie, eben nicht die liberale haben, und das heißt eine Demokratie, die auf Mehrheiten zählt. Aber eine Mehrheit, auch eine parlamentarische Mehrheit rechtfertigt nicht alles. Das ist auch ein Modell, was wir von Donald Trump mit seinen Tweets hören. Wir hören es von Viktor Orbán in Ungarn. Wir könnten über Erdogan jetzt reden. Das ist generell eine Gefährdung für die liberale Demokratie eigentlich in der sogenannten westlichen Welt, und damit ja, es ist gefährlich.
    Heinrich: Selbst ein Interview zu Polen kommt nicht ohne den US-Präsidenten Donald Trump aus. Das sagt Stefan Garsztecki, er ist Polen-Experte der TU Chemnitz. Herr Garsztecki, vielen Dank für Ihre Zeit.
    Garsztecki: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.