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Politologe: Benes-Dekrete könnten Stichwahl in Tschechien entscheiden

Der vor der tschechischen Präsidentschaftswahl heftig aufgeflammte Streit um die Benes-Dekrete solle Wähler gegen den Kandidaten Karel Schwarzenberg mobilisieren, glaubt der Politologe Robert Schuster. Er macht aus seiner Unterstützung für den konservativen Außenminister keinen Hehl.

Robert Schuster im Gespräch mit Christine Heuer | 26.01.2013
    Christine Heuer: Der Wahlkampf in Tschechien hatte es in sich. Die Emotionen kochten hoch, weil dabei die Benes-Dekrete in den Mittelpunkt rückten, wähnten sich manche Beobachter kurzzeitig in einem Wahlkampf vor 70 Jahren und nicht in einem EU-Staat 2013. Am Telefon ist der tschechische Politologe Robert Schuster, guten Morgen!

    Robert Schuster: Guten Morgen!

    Heuer: Herr Schuster, haben Sie schon gewählt?

    Schuster: Nein, ich werde erst heute Vormittag wählen gehen.

    Heuer: Ich habe Sie das gerade eben vor unserem Gespräch hier gefragt, ob ich Sie das fragen darf: Wen wählen Sie? Sie haben es ja erlaubt!

    Schuster: Ich werde Karel Schwarzenberg wählen, den ich schon in der ersten Runde gewählt habe.

    Heuer: Der Regierungschef Petr Necas hat gesagt, Kandidaten, die Kandidaten hätten mit einer hysterischen Kampagne die Gesellschaft gespalten. Stimmt das?

    Schuster: Ja und nein. Eigentlich, was konkret diesen Ausspruch von Petr Necas angeht, darf man nicht vergessen, dass auch so vielleicht ein bisschen Neid dahinter war, weil der Kandidat von Petr Necas derart durchgefallen ist, dass man eigentlich sagen kann, dass es ein Kandidat der größten Regierungspartei nicht wirklich war. Aber Faktum ist, wenn natürlich zwei große Persönlichkeiten – und sowohl Zeman wie Schwarzenberg sind sicherlich zwei markante Persönlichkeiten – in die Stichwahl gelangen, dann wird es natürlich, dann wird man sich nicht mit Samthandschuhen anfassen, das ist ganz klar.

    Heuer: Das ist auch nicht passiert. Und es ging viel um die Benes-Dekrete. Haben die Tschechen keine akuteren Probleme als das?

    Schuster: Die haben natürlich schon akutere Probleme und ich denke, das ist vielleicht auch bezeichnend, dass dieses Thema erst wirklich zwischen der ersten und der zweiten Runde aufgetischt wurde, weil eben man gesehen hat, dass der Wahlkampf oder der Kampf dieser beiden Kandidaten derart knapp ist, dass man richtig jetzt versucht, mit ganz alten Klamotten die Wähler zu mobilisieren. Und dieses Thema, Benes-Dekrete, dient eigentlich nur dazu, diese, sage ich mal jetzt, sozialdemokratische, kommunistische und nationalistische Wähler gegen Schwarzenberg zu mobilisieren.

    Heuer: Aber wieso sind die Benes-Dekrete heute noch so emotional besetzt in Tschechien, warum kann das die Leute immer noch so aufregen?

    Schuster: Ich denke, es hängt viel damit zusammen, dass man dieses Thema, das ja vor allem in den 90er-Jahren sehr präsent war auch in den deutsch-tschechischen Beziehungen, dass man dieses Thema lange verdrängt hat. Und man hat geglaubt, wenn man sich jetzt dieser Vergangenheit und diesen ganzen Themenkomplexen stellt, dann wird sich das von alleine auflösen. Aber es hat sich jetzt gezeigt, dass in diesem Wahlkampf das dann eben umso schneller hochkommen kann.

    Heuer: Entscheidet dieses Thema die Wahlen?

    Schuster: Dieses Thema wird sicherlich zur Mobilisierung der Wähler beitragen. Und insofern kann es indirekt wahlentscheidend sein. Es gab jetzt in den letzten Tagen verschiedene Prognosen, die sagen, also wenn es Schwarzenberg gelingt, wirklich sehr viele seiner jungen Anhänger zu den Urnen zu bringen, dann hat er die Wahl sicher. Wenn aber wiederum diese Jungen ausbleiben und eher die, sage ich mal jetzt, die Linken oder die national gesinnten Wähler kommen, dann wird natürlich jetzt wieder dieses Thema stechen. Das heißt, es wird wirklich sehr knapp sein und vielleicht kann eben eines dieser Themen dann entscheidend sein.

    Heuer: Lassen sich die jungen Städter, die für Schwarzenberg mehrheitlich sind, gut mobilisieren?

    Schuster: Die lassen sich sehr gut mobilisieren, das hat sich schon während der ersten Runde der Präsidentenwahl gezeigt, wo eben über die sozialen Netzwerke da sehr viel gelaufen ist, auch überhaupt das ganze Team von Schwarzenberg hat in dieser Hinsicht wirklich massiv aufs Internet, auf die Jugend gesetzt, und das hat sich ausgezahlt gemacht.

    Heuer: Die Umfragen sind sehr knapp, was ist Ihre Einschätzung, wie geht es aus?

    Schuster: Ich wage da wirklich jetzt keine Prognose. Ich würde mir natürlich den Sieg Schwarzenbergs wünschen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass wirklich in den letzten Tagen vor der Wahl, vor der Stichwahl der Ton sehr rau war und das wirklich auch schon ans Persönliche gegangen ist und die Attacken, also, da kann man wirklich sowohl das eine als auch das andere nicht ganz ausschließen.

    Heuer: Warum, Herr Schuster, wäre Schwarzenberg denn besser für Tschechien?

    Schuster: In erster Linie ist er ein Kandidat, der proeuropäisch ist, das wäre schon einmal eine sehr wichtige Veränderung, weil, der jetzige Amtsinhaber, Václav Klaus, ist ja für seine Europaskepsis und für seine kritischen Töne bekannt. Das ist das eine. Das Zweite, mit Karel Schwarzenberg wäre sicherlich wieder stärker die Linie der tschechischen Politik präsent, die zum Beispiel der frühere, der verstorbene Präsident Václav Havel verkörpert hat. Das heißt, das wäre wieder diese Kontinuität, man würde mehr wieder Menschenrechte in den Vordergrund stellen, man würde wieder mehr versuchen, das Land zu einen, nicht zu spalten. Das ist, denke ich, das Wichtigste, was die Präsidentschaft Schwarzenbergs bringen würde.

    Heuer: Und nehmen wir mal an, Milos Zeman gewinnt diese Wahlen, spielen wir das mal durch: Welche Folgen hätte das für Tschechien?

    Schuster: Das hätte vor allen Dingen in den, sage ich mal jetzt, für die tschechische Innenpolitik Folgen, weil, Zeman hat schon angekündigt oder angedeutet, dass er von seinen Kompetenzen als Präsident schon sehr Gebrauch machen würde. Das heißt, er würde versuchen, in die Tagespolitik einzugreifen, die Regierung und auch, sage ich mal, die Parlamentarier zu versuchen, von seinen Positionen und Präferenzen zu überzeugen. Das heißt, das wäre dann schon wieder mehr so Zweikampf wieder, diese Konfrontation, die wir schon in den vergangenen Jahren hatten. Und das wäre natürlich nicht gut für das Land.

    Heuer: Und die Folgen für Europa? Zeman tritt ja eben gegen diesen Proeuropäer Schwarzenberg an. Würde das die Position Tschechiens im Ausland beschädigen?

    Schuster: Das ist ein gewisses Paradox, weil, Zeman gilt ja eigentlich auch als proeuropäisch, er ist sogar, geht sogar noch weiter und sagt, ich bin Anhänger einer europäischen Föderation, was in tschechischen Ohren überhaupt als etwas exotisch klingt. Das heißt, dieses Europathema als Unterscheidungsmerkmal zwischen Schwarzenberg und Zeman, also zwischen dem einen und dem anderen Kandidaten, gilt hier nicht. Also, das ist wirklich, die Unterschiede sind schon, wie die beiden Kandidaten persönlich gestrickt sind, und wie sie auch, sage ich mal, in diesen tagespolitischen Aktualitäten ticken würden. Das sind die Hauptunterschiede zwischen den beiden.

    Heuer: Aber im Wahlkampf klang Milos Zeman mitunter ja so ein bisschen wie David Cameron.

    Schuster: Ja, das hängt wahrscheinlich auch eher damit zusammen, dass er natürlich auch wieder versucht hat, auch die nationalistischen Kreise in Tschechien zu bedienen, auch viele, sage ich mal, Europakritiker aus dem bürgerlichen Lager. Das ist eben so ein Sammelsurium. Aber ansonsten, tendenziell ist Zeman eigentlich auch proeuropäisch.

    Heuer: Also, wir müssen uns keine Sorgen machen, egal wie es ausgeht?

    Schuster: Es wird in jedem Fall eine Änderung auf der Prager Burg kommen in puncto Europa.

    Heuer: Aha! Der Prager Politologe Robert Schuster im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Schuster, ich bedanke mich sehr herzlich und wir beobachten gespannt, wie das weitergeht bei Ihnen heute und danach!

    Schuster: Tschüss, danke, tschüss!

    Heuer: Tschüss!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.