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Politologe: Die SPD hat keine Alternative zu Steinbrück

Erst der Ärger um seine Rede-Honorare, dann der Eil-Abgang seines Online-Beraters: Schon bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat, wirkt SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück arg angeschlagen. Dennoch gibt es für die Sozialdemokraten nun kein Zurück mehr, meint der Politologe Gero Neugebauer.

Moderation: Christoph Heinemann | 21.11.2012
    Christoph Heinemann: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Davon kann Peer Steinbrück wegen seiner Vortragshonorare ein Liedchen singen. Der "Spiegel" berichtete in dieser Woche, in der SPD-Bundestagsfraktion werde scherzhaft behauptet, wenn Steinbrück für die SPD ans Rednerpult trete, dann müssten seine Fraktionskolleginnen und Kollegen vorher Geld sammeln, um seine Rede bezahlen zu können.

    Mit großer Sicherheit honorarfrei hat der designierte Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten heute im Deutschen Bundestag das Wort ergriffen. Der Anlass: der Etat des Kanzleramts in der Haushaltsberatung. Für die Opposition ist das die Gelegenheit zur Generalabrechnung.

    Vorher wurde aber neues Ungemach für Steinbrück bekannt: Sein Online-Berater, Roman Maria Koidl, muss nach nur wenigen Tagen wieder gehen. Der Mann war für Hedgefonds tätig, steht also nach SPD-Lesart unter Heuschreckenverdacht.

    Am Telefon ist Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Guten Tag!

    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Neugebauer, blicken wir auf Peer Steinbrück. Mit Blick auf den missglückten Start des designierten SPD-Kanzlerkandidaten, ist er noch zu retten?

    Neugebauer: Ja. Der missglückte Start ist ja einerseits darauf zurückzuführen, dass er kein Team hatte, das heißt, dass ihm auch Berater fehlten für bestimmte Formen von Kommunikation, die ja in Wahlkampfzeiten spezifischer ist als in normalen Zeiten. Dann muss man auch sehen: Es gibt aufgrund dieses Kandidatenfindungsprozesses ja keine Alternative. Und jetzt eine Alternative auszuwählen, das würde die SPD im Wahlkampf hindern und ihr wie ein Mühlstein am Hals hängen. Und drittens denke ich, das wissen wir auch aus den Untersuchungen: Die Partei, das Programm, das Profil, das sie hat, die Angebote, die sie an die Wähler macht, sind für die Wählerinnen und Wähler wichtiger als die Person, die das alles repräsentiert.

    Heinemann: Könnten Sie sich vorstellen, dass die SPD kurzfristig noch einen anderen auf den Schild hebt?

    Neugebauer: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, angesichts auch der Diskussion um die Urwahl, wie das bei den Grünen reflektiert wurde, und die eigenen Fragen, wer denn eigentlich anstehen könnte. Also da müsste eine Notoperation erfolgen, da müsste etwas über Steinbrück bekannt werden, was jenseits aller bisher bekannten Dinge liegt, und in diese Dimension, denke ich, sollte man nicht hineinsinken.

    Heinemann: Glauben Sie, dass Steinbrück sich noch freistrampeln kann?

    Neugebauer: Ich halte ihn für einen Typen, der das machen kann. Er nähert sich ja langsam – und das hat man zuletzt auch auf dem Bundes-Juso-Kongress bemerkt – einer gewissen Form von Selbstkritik. Er sagt, was er in bestimmter Weise vielleicht anders gesehen hat früher, was er heute anders sieht. Er wird dadurch nicht unglaubwürdiger, er wirkt aber auf Wählerinnen und Wähler so als jemand, der bereit ist, auch zu lernen, und das könnte auch durchaus goutiert werden.

    Heinemann: Herr Neugebauer, Angela Merkel leitet eine Regierung, deren tragende Parteien zerstritten sind. Wieso schadet der Regierungsalltag, den man häufig ja nur noch als Gewürge beschreiben kann, der Kanzlerin nicht?

    Neugebauer: Gerade weil dieses Gewürge das Bild der Koalition bestimmt, wirkt die Kanzlerin mit ihrer unaufgeregten Art, mit ihrer Art, auch abzuwarten und Dinge reifen zu lassen, bevor sie sich ihnen selbst annimmt. Das heißt, manche Dinge erledigen sich ja auch, bevor sie entscheiden muss. Da wirkt sie überzeugend. Und da sie sich in der Tat - da muss man schon auch der Kritik, die auch aus anderen Reihen kommt, Recht geben -, da sie sich aus den Niederungen der Innenpolitik heraushält und dort Frau von der Leyen oder andere auch einsetzt, um das zu erledigen, Frau Schavan oder eben Herrn Altmaier, da wirkt sie gerade im Feld der Europapolitik auch als, na ja, fast hätte ich gesagt, Trutzburg. Das wäre aber dann doch etwas zu übertrieben.

    Aber sie wirkt als jemand, der in der Lage ist, die Interessen der Deutschen, sofern sie sich auf den Schutz ihrer Einkünfte, auf den Schutz auch ihrer Interessen als Bezieher von Einkommen, als Leute, die an sozialer Sicherheit, an stabilen Verhältnissen interessiert sind, da wirkt sie überzeugend und das bringt ihr die guten Noten ein. Irritierend ist allerdings die große Diskrepanz zwischen ihren persönlichen guten Werten und den Werten für die Partei.

    Heinemann: Sie sprachen gerade von den Niederungen der Innenpolitik. Ist eine Vereinbarung nach der Art Betreuungsgeld gegen Praxisgebühr für Sie Kuhhandel, oder ist das ein ganz normales Tauschgeschäft einer Koalitionsregierung?

    Neugebauer: Das erinnerte schon ein bisschen sehr an türkische Basare. Insofern ist es nicht ganz im Koalitionsgeschehen zu verorten. Ich kann das auch begründen: Normalerweise sind Koalitionen ja immer nur Zweckgemeinschaften, in denen jede Partei auch ihre eigenen Projekte weiterverfolgt. Das Projekt Betreuungsgeld ist ein langfristigeres, das Projekt Abschaffung der Praxisgebühr ist eher sozusagen ein, nennen wir es mal ruhig, Schnäppchen. Insofern ist hier nicht grundsätzlich eingetauscht worden. Das heißt, die FDP hätte als Kompensation ja auch sagen können, wir gehen näher an die Verwirklichung eines unserer Koalitionsversprechen, nämlich Veränderung des Steuertarifes – hat sie nicht getan. Insofern ist das in der Tat eher schon ein Kuhhandel als ein wirklicher Ausgleich von Interessen, der langfristig auf die Regierungsarbeit insgesamt abzielt und nicht nur auf das Wohl der einen Partei oder der anderen.

    Heinemann: "Ganz Berlin tuschelt über Schwarz-Grün", schreibt heute die "Bild"-Zeitung. Welches Getuschel vernehmen Sie in der Hauptstadt?

    Neugebauer: Ich vernehme das Getuschel auch. Ich höre aber auch aus den Reihen der Grünen, na klar könnte man, aber das würde die Partei zerreißen. Und weil das nicht nur die Partei zerreißt, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Grünen erheblich beschädigt, zumal wir bei den Grünen jetzt schon in festgeschriebenen Programmen erhebliche Differenzen zu denen der Union feststellen können, beispielsweise in der Migrationspolitik, halte ich das für Zweckgerede, aber nicht für ein Gerede mit einem ernst zu nehmenden Wahrheitsgehalt.

    Heinemann: Glauben Sie, dass die Koalitionsbildung im nächsten Jahr im Herbst abhängen wird vom Stand der Euro-Krise? Anders gefragt: Wird es eine Große Koalition geben, wenn sich diese Krise verschärfen wird?

    Neugebauer: Wenn sich die Krise verschärfen wird, ist die Glaubwürdigkeit von Frau Merkel dahin, und dann wird möglicherweise auch das Ergebnis ein anderes sein. Falls nämlich die Union, wie ja auch in der Debatte heute deutlich geworden ist, nicht nur darauf in ihrer Wahlkampfstrategie verweisen wird, dass es Deutschland heute sehr viel besser geht, dass wir weniger Arbeitslose haben, allerdings kaum weniger Langzeitarbeitslose, dass es uns noch nie so gut ging wie zuvor, während die SPD dann eher auf andere Themen setzt und sagt, wir haben das vorher gewusst, dass dies und jenes passiert, also dass die Glaubwürdigkeit von Frau Merkel leidet. Deshalb würde ich im Moment überhaupt keine Aussage machen wollen über den Ausgang.

    Gehen wir von den gegenwärtigen Umfragen aus, dann ist das in der Tat eine Perspektive. Und polemisch formuliert: Bisher hat die SPD oder zumindest Herr Gabriel hat von den Grünen ein eindeutiges Bekenntnis zu Rot-Grün verlangt, die Grünen haben von Herrn Gabriel bislang nicht ein eindeutiges Bekenntnis zu Rot-Grün verlangt, und insofern lässt die SPD immer noch ein kleines Türchen offen. Herr Steinbrück wiederum hat die Option für die FDP, das passe programmatisch auch besser, aber Sie sehen: Ich eiere herum und das ist auch sozusagen meine Position. Gegenwärtig bin ich nicht in der Lage zu sagen, das, was sich abzeichnet in Umfragen, tritt auch ein. Das heißt, ich halte es sogar noch für möglich, dass die FDP mit einem Aufschwung noch die Fünf-Prozent-Hürde schaffen könnte.

    Heinemann: Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler in Berlin. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Neugebauer: Auf Wiederhören und bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.