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Politologe Holtmann: Machtbasis der Kanzlerin im Bundesrat fragil

Durch einen Bundesratsbeschluss - auch ermöglicht durch zwei CDU-geführte Länder - ist der Bundestag gezwungen, sich mit einer Frauenquote für Aufsichtsräte von DAX-Unternehmen zu beschäftigen. Everhard Holtmann, Politologe an der Universität Halle-Wittenberg, sieht darin einen Hinweis auf interne Differenzen der Unions-Parteien.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Gerd Breker | 24.09.2012
    Gerd Breker: Der Bundesrat hatte am Freitag letzter Woche mehrheitlich für eine Gesetzesinitiative der SPD-geführten Länder Hamburg und Brandenburg gestimmt. Möglich wurde das, weil auch die von CDU- und SPD-Koalitionen regierten Länder Sachsen-Anhalt und Saarland zugestimmt haben. Verlangt unter anderem wird eine feste Frauenquote für Aufsichtsräte von DAX-Unternehmen. Während die Fraktionsspitzen von Union und FDP im Bundestag angekündigt haben, eine gesetzliche Quote abschmettern zu wollen, wollen die Frauen der Unions-Fraktion eine Abstimmung ohne Fraktionszwang. Die Kanzlerin, so heißt es, sei verärgert, dass der Bundesrat ihr dieses Thema aufgezwungen hat. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Everhard Holtmann, Politologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann.

    Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Die Großen Koalitionen in den Bundesländern beginnen, die Kanzlerin zu ärgern. Ist das eigentlich eine Überraschung?

    Holtmann: Also das außer Kraft setzen der sogenannten Bundesratsformel ist schon ungewöhnlich. Es ist ja so, dass sich Große Koalitionen auf Enthaltungen verständigen, wenn sie bundespolitische Streitfragen haben, die dann im Bundesrat abgestimmt werden. Nun hat es in der Vergangenheit auch schon immer mal wieder Chancen für eine Bundesregierung gegeben, eine gegenläufige Bundesratsmehrheit aufzubrechen, beispielsweise in der Kanzlerschaft Schröders bezüglich Brandenburgs und Berlins, die damals auch von Großen Koalitionen geführt worden waren, aber dann ging es eigentlich immer darum, zusätzliche Wohltaten des Bundes auszureichen, um auf diese Weise den Widerstand des jeweiligen Großen Koalitionspartners zu überwinden. Hier ist es aber nun anders: Die Bundesratsklausel wird nicht deshalb beiseite geschoben, weil die beiden Länder Saarland und Sachsen-Anhalt landesspezifische Interessen gemeinsam im Bundesrat vorbringen wollen, sondern es ist ja eine bundespolitische Frage, die auf innerparteiliche Differenzen der Unions-Parteien verweist. Und gerade deshalb muss dies, so denke ich, der Kanzlerin und auch den Unions-Parteien zu denken geben, zumal ja durchaus nicht unwahrscheinlich ist, dass auch für dahin eine punktuelle Gestaltungsmehrheit mit Assistenz der einen oder anderen Großen Koalition in der Bundespolitik eintreten könnte – Stichwort hier etwa Mindestlohn.

    Breker: Sie haben es angedeutet, Herr Holtmann: es sind mit den Themen Mindestlohn und Frauenquote genau die beiden Themen, die innerhalb der Unions-Fraktion differenziert diskutiert werden, um nicht zu sagen streitig sind. Ist das Zufall?

    Holtmann: Das ist kein Zufall, sondern große Volksparteien reflektieren ja in ihrem Spektrum der Positionen auch immer die großen sozialen Konflikte und auch die Veränderungsprozesse, die dynamische Gesellschaften durchlaufen, und von daher ist es eigentlich fast zwangsläufig, dass das vor den Toren großer Parteien zumal nicht Halt macht. Und für die Unions-Parteien stellt sich zumindest im Hinblick auf den Streitpunkt Frauenquote ja eben doch auch die Frage: Wie hältst Du es mit dem Profil, dem ja auch proklamierten Profil, moderne Großstadtpartei zu sein? Und wenn man dann Gefahr läuft, jene eher wachsende Schicht gut gebildeter, emanzipierter, selbstbewusster Frauen möglicherweise zu vergrätzen, dann ist das im Hinblick auf künftige Wahlen sicherlich nicht ganz unproblematisch.

    Breker: Muss man sagen an dieser Stelle, dass ein Jahr vor der Bundestagswahl die Machtbasis von Angela Merkel erodiert?

    Holtmann: Nun, was den Bundesrat betrifft, so war die Machtbasis der Kanzlerin ja bisher schon vergleichsweise fragil. Sie verfügt ja nicht mehr über eine Mehrheit im Bundesrat. Sie kann in gewisser Weise davon profitieren, dass auch die Opposition nicht über die sogenannte Gestaltungsmehrheit im Bundesrat verfügt, weil ja wie gesagt die Großen Koalitionen in der Regel sich dann auch der Stimme enthalten. Also so gesehen ist das keine dramatische Veränderung. Aber auf der anderen Seite, gerade im Vorfeld heraufziehender Bundestagswahlen: Es kann einer Kanzlerin nicht daran gelegen sein, den Eindruck auch in der Öffentlichkeit zu erwecken, dass Bund und Länder innerparteilich oder möglicherweise auch innerhalb der Koalition in nicht unwichtigen inhaltlichen Fragen, Programmfragen auseinanderdriften, dass sie mit anderen Worten den Eindruck erweckt, den Laden nicht mehr richtig zusammenzuhalten. Und wenn man das zusammen nimmt mit der in Deutschland seit jeher ausgeprägten Neigung in der Bevölkerung, Konflikte den Parteien eher negativ anzulasten, dann ist das eine Konstellation, die die Kanzlerin nicht gleichgültig lassen kann.

    Breker: Es ist, Herr Holtmann, ein Eindruck, dass der schwarz-gelben Koalition in der Hauptstadt so langsam die Gemeinsamkeiten ausgehen. Dieser Eindruck wird durch so was natürlich noch verstärkt!

    Holtmann: Das ist richtig. Auf der anderen Seite, das hat der Parlamentarische Geschäftsführer in dem Bericht eben vielleicht auch mit ungesagt anklingen lassen: Ich denke nicht - selbst dann, wenn das Abstimmungsverhalten innerhalb der Fraktion freigegeben wird und die Frauen-Union oder Teile der Frauen-Union sich auf die andere Seite schlagen -, dass der Gesetzentwurf des Bundesrates reale Chancen auf Durchsetzung hätte – schon deshalb nicht, weil es genügend Möglichkeiten gibt, ihn im Dickicht der Geschäftsordnungen der verschiedenen Lesungen in den Ausschüssen gewissermaßen hängen zu lassen, bis das rettende Ufer der Sommerpause und damit auch das Ende des amtierenden Parlamentes erreicht ist. Denn wir wissen ja: rechtlich sind noch anhängige Gesetzesvorhaben mit dem Auslaufen der Legislaturperiode auch ihrerseits dann entsprechend zu Ende.

    Breker: Die Großen Koalitionen in den Bundesländern, weisen Sie den Weg für den Bund? Also gewinnt eine Große Koalition im Bund an Wahrscheinlichkeit?

    Holtmann: Ich denke, das hängt natürlich, wie wir wissen, von dem Ergebnis der nächsten Wahlen ab. Beide großen Parteien dürften eigentlich kein erklärtes Interesse haben, im Wahlkampf auf die Karte Große Koalition zu setzen, weil es sie auch in der entsprechenden, für Wahlkämpfe ja notwendigen Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft eher behindert. So gesehen ist das, was jetzt im Bundesrat gewesen ist, meines Erachtens kein sogenanntes Fanal für eine Neuauflage der Großen Koalition im Bund.

    Breker: Das heißt, der Lagerwahlkampf wird stattfinden?

    Holtmann: Der Lagerwahlkampf dürfte, so wie es aussieht, stattfinden und es wird sicherlich auch dann davon abhängen, wie sich beispielsweise die SPD und wann in der Kandidatenfrage erklärt.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Everhard Holtmann, Politologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Herr Holtmann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Holtmann: Bitte sehr, Herr Breker.

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