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Politologe: Nordkoreas Politik wird sich nicht ändern

Der Machtapparat um den designierten nordkoreanischen Staatsführer Kim Jong Un ist immer noch der alte: Walter Klitz, Leiter des Büros Seoul der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, erwartet daher weder wirtschaftliche noch politische Veränderungen in dem Land.

Das Gespräch führte Jonas Reese | 29.12.2011
    Moderator: Über den Machtwechsel in Nordkorea und die Beisetzung Kim Jong Ils sprach gestern Abend auch mein Kollege Jonas Reese mit Walter Klitz, dem Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul. Wie ist die Trauer zu verstehen, lautete die erste Frage, ist sie aufgesetzt oder echt?

    Walter Klitz: Ich glaube, es ist eine Mischung aus beidem. Als Erstes, sie ist echt, weil die Leute eine sehr starke emotionale Bindung auch an die Führung des Landes haben, das ist der erste Aspekt. Der zweite Aspekt ist die Tatsache, dass Mobilisierung der Massen zum System auch gehört, weil, es ist ja eigentlich Aufgabe der Partei, die Massen zu mobilisieren.

    Jonas Reese: Es ist ja auch Ausdruck eines Kollektivs eventuell, was natürlich auch in Nordkorea eine sehr große Bedeutung hat. Ist das eher die Trauer, die diese Menschen zusammenschweißt, oder ist das wirklich ein funktionierendes Kollektiv dort?

    Klitz: Es ist wahrscheinlich das Kollektiv. Ich tendiere dazu, das Kollektiv dafür verantwortlich zu machen, weil die Leute systematisch, ideologisch geschult werden und auch ideologisch so weit indoktriniert werden, dass sie der Partei und der Führung der Partei jederzeit Respekt gegenüber zu erweisen haben und dass auch vor allen Dingen die Autorität der Partei und der Führung der Partei nie infrage gestellt werden darf.

    Reese: Was würden Sie sagen, wie sieht es im Rest des Landes aus? Sind da ähnliche Situationen zu sehen, wie jetzt in der Hauptstadt?

    Klitz: Wir haben ja leider keine Bilder gesehen vom Lande, ich habe auch keine gesehen. Ich kann also da nur vermuten, die Bilder, die aus Pjöngjang ausgestrahlt worden sind, die sollen natürlich auch ihre Wirkung auf dem Land erzielen. Massenmobilisierung, von der Partei wie gesagt organisiert, dient in allererster Linie auch, das Kollektiv zusammenzuhalten und sicherzustellen, dass die Gesellschaft geeint ist. Also so etwas wie ständig in Bewegung halten, ständig die Leute in Bewegung halten, dass sie gar keine Gelegenheit haben, mal etwas Individuelles auch zu erforschen oder auch zu erfahren. Auf dem Land, auf dem Land denke ich, aus den Beobachtungen, die ich gemacht habe, bei mehr als 20 Reisen nach Nordkorea, dürfte die Situation geringfügig anders sein. Also der Respekt gegenüber der politischen Führung ist sicherlich da, aber das Land hat sich seit der Hungersnot Mitte der 90er-Jahre doch auch ein Stückchen weit emanzipiert, zumindest was die wirtschaftliche Situation anbelangt, und die Abhängigkeit vom System ist nicht zu groß.

    Reese: Kommen wir noch mal auf die Trauerfeier zurück: Diese Art von Inszenierungen geben ja auch immer Hinweise auf eine Hierarchie, wer wo steht. Haben Sie da neue Erkenntnisse von den Bildern, die zu uns gekommen sind heute?

    Klitz: Also aus den Bildern sehe ich keine – es sind im Übrigen interessante Bilder. Zunächst mal ist festzustellen, dass der dritte Sohn an vorderster Front marschiert und nicht der erste Sohn, was eigentlich nach der konfuzianischen Tradition üblich wäre: Der älteste Sohn richtet die Beerdigung aus, der älteste Sohn ist verantwortlich für die Familie im Falle des Todes des Familienvaters. Und Kim Jong Il gilt für alle Nordkoreaner als der Familienvater Koreas.

    Reese: Das heißt, das ist auch ein Anzeichen für diese schwache Position, die Kim Jong Un, dem jüngsten Sohn Kim Jong Ils, unterstellt wird?

    Klitz: Ich denke, die Position ist gar nicht so schwach. Er ist ja Mitglied der mächtigen zentralen Militärkommission, er ist Mitglied des Zentralkomitees, er ist Viersterne-General, er ist systematisch in den letzten drei Jahren in das System eingeführt worden. Ich sage nicht, dass er schon verantwortliche Positionen hat, er ist aber systematisch an die Hand genommen worden, vor allen Dingen von seinem Onkel, Jang Sung-taek und seiner Tante, die Schwester von Kim Jong Il. Jang Sung-taek scheint mir in der Übergangsphase als Stellvertretender Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, scheint mir in der Übergangsphase die Geschäfte zu führen, also Chargé-d'affaires zu sein und auch den Übergang an den dritten Sohn sicherzustellen. Ich persönlich rechne nicht damit, dass es von heute auf Morgen der Fall sein wird.

    Reese: Und was erwarten Sie jetzt von diesem Wechsel an der Spitze, und was erwarten Sie dann auch von Kim Jong Un?

    Klitz: Also zunächst mal warte ich überhaupt keine Veränderung, weil die Leute, die Kim Jong Un jetzt vorbereiten sollen zur Machtübernahme, zur Regierungsübernahme, das sind alles Leute, die noch aus der Generation von Kim Jong Il kommen und von Kim Il-sung teilweise auch noch, also hoch in die 70, Anfang der 80, wenn ich mir General anschaue, der ist Anfang 80, Jang Sung-taek ist auch nicht mehr der jüngste, ist 68 mittlerweile – also von den Leuten, solange die im Geschehen noch mitwirken, erwarte ich eigentlich keine Veränderung, weder politisch noch in wirtschaftlicher Hinsicht.

    Reese: Kommen wir zum Schluss noch mal auf die Rolle Chinas, die ja nicht unbeträchtlich ist. Welche Interessen hat denn China genau? Ist es nur, dass Nordkorea sozusagen als Puffer zum pro-westlichen Südkorea erhalten werden soll, oder ist es noch mehr, außer wirtschaftlichen Aspekten natürlich?

    Klitz: Es ist eigentlich sehr vielschichtig. China hat ein Interesse daran, den Hinterhof möglichst stabil zu halten aus zweierlei Gründen: Erstens will China nicht, dass, wenn es politisch instabil werden würde in Nordkorea, dass es überschwappt nach China, das Zweite ist, dass China zunehmend auch natürliche Ressourcen aus Nordkorea abzieht, die es dringend braucht für die Entwicklung der Region um Shenyang, also im Nordosten von China. Das dritte Argument wäre dann, dass China großen Wert drauflegt, dass Nordkorea nicht mit der Atombombe zündelt, und das fünfte wäre ein Argument, das über allem praktisch schwebt, dass China versucht, ein Gegengewicht, ein strategisches Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten von Amerika aufzubauen. Ihr Weltbild besteht aus einer multipolaren Welt. Und das steht in den Verteidigungsstrategien Chinas drin, und das ist das über alles gelagerte Ziel Chinas.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.