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Politologe: Rösler als FDP-Vorsitzender ist derzeit alternativlos

Gut sechs Monate vor der Bundestagswahl eine Führungsdebatte innerhalb der FDP loszutreten, wäre fast eine "Art parteipolitisches Kamikazerisiko", sagt der Politologe Everhard Holtmann. Es stelle sich zudem die Frage, wer anstelle von Philipp Rösler treten könnte.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Dirk Müller | 09.03.2013
    Dirk Müller: Herr Holtmann: Kann einer schlecht sein und plötzlich wieder gut?

    Everhard Holtmann: Nun, ich denke, das ist eine Frage der Perspektive, die man einnimmt, und auch der Selbstdeutung innerhalb des Auf und Ab der Politik. Es ist immer auch eine Frage, ob Alternativen, ob bessere personelle und damit auch verbundene sachpolitisch überzeugende Alternativen in Sicht sind, und aus alledem formt sich dann das Bild, was auf Parteitagen zu mehr oder minder großen Akzeptanz führen kann.

    Müller: Wir haben jetzt über Philipp Rösler gesprochen. Meinen Sie das auch, dass es eine Frage der Perspektive ist?

    Holtmann: Ich denke schon, dass es eine Frage der Perspektive ist, was bleibt im Vorfeld der Bundestagswahlen. Es wäre immer sehr heikel, mitten im aufziehenden Bundestagswahlkampf, zumal mit Blick auf den ja fast einzementierten Vier-Prozent-Sockel, den die FDP seit Monaten in den Umfragen belegt, also vor einem solchen Hintergrund dann eine Führungsdebatte loszutreten, deren Ende ja auch kaum berechenbar wäre. Denn wer sollte statt Philipp Rösler an seine Stelle treten, als Gegenkandidat aufgebaut werden? Wer würde sich das überhaupt selbst zutrauen? Man könnte sagen, es wäre fast eine Art parteipolitisches Kamikazerisiko, was damit verbunden wäre. Also in der jetzigen Situation, wenn auch nicht unbefristet, denke ich, ist Philipp Rösler in der Vorsitzenden-Position alternativlos.

    Müller: Wir reden ja ein bisschen aus dem Blickwinkel zunächst einmal der FDP, Everhard Holtmann. Kann einer schlecht sein und plötzlich wieder gut? Die Frage über Philipp Rösler. Kann einer schlecht sein und plötzlich wieder gut? Rainer Brüderle – wie ist es damit?

    Holtmann: Nun, Rainer Brüderle hat ja im Grunde genommen sich auf das Amt des Spitzenkandidaten, man könnte jetzt nicht sagen, gerettet, aber doch auf eine Position zurückgezogen, die es ihm gestattet, seine altbewährte Schlachtross-Kompetenz, so könnte man das vielleicht sagen, auch wieder zur Geltung zu bringen. Rainer Brüderle ist jemand, der auch mit mitreißenden Reden ein Publikum, nicht nur das eigene Parteitagspublikum für sich einnehmen kann, und er steht auch für eine über Jahrzehnte hinaus gewachsene wirtschaftspolitische Sachkompetenz, die ja umgekehrt wiederum der FDP als Partei und damit auch im Sinne eines bisher gepflegten Markenkerns für Wirtschaftspolitik abhandengekommen ist. Also auch so gesehen kann man dieser Kandidatur von Rainer Brüderle trotz aller vorausgegangenen und sicherlich auch noch bleibenden innerparteilichen Versehrtheiten, Verletzungen und Querelen eine gute Seite abgewinnen.

    Müller: Und wenn er bei seinen großartigen Reden, wie Sie es jetzt indirekt gesagt haben, jedenfalls aus Parteisicht hin und wieder viele Silben verschluckt, ist das nicht so schlimm?

    Holtmann: Ich denke nicht. Das verschafft ihm ja auch ein Stück weit Bodennähe, Volksnähe, und im Übrigen hat er damit ja auch durchaus kein Alleinstellungsmerkmal in einer Bundesrepublik, die durch regionale Parteien und auch durch entsprechende regionale politische Kulturen und meinetwegen auch Mundarten charakterisiert ist.

    Müller: Wir haben in den vergangenen Wochen viel darüber berichtet, das Thema ist etwas in den Hintergrund getreten: Wird in den kommenden Monaten der Sexismus-Malus noch eine Rolle spielen?

    Holtmann: Nun, das ist etwas, was sicherlich noch nicht ganz ausgestanden ist, und nicht Wenige hatten ja auch erwartet, dass sich Brüderle da doch zu einer, ja, öffentlichen Entschuldigung oder zu einem öffentlichen Bedauern hinführen lässt. Das hat er nicht getan. Damit muss er im Grunde genommen dann auch für sich klarkommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es zu einem Kernthema des heraufziehenden Wahlkampfes werden wird, denn die eigentlichen brennenden Sachthemen liegen ja auf anderen Feldern, von der Frage der Lösungskompetenz in der Eurokrise bis hin zu Fragen, Diskussionen auch um Mindestlohn, um Rentenpolitik und dergleichen mehr. Also ich denke, das wird kein Alleinstellungsmerkmal in der Agenda des Wahlkampfes sein.

    Müller: Reden wir über die nächsten Personalien. Wer ehrlich ist, den strafen die Dummen, könnte man auch sagen – Dirk Niebel.

    Holtmann: Nun, Dirk Niebel hat ja im Grunde genommen einen fast unverzeihlichen Fauxpas begangen, indem er auf dem für die FDP fast geheiligten Dreikönigsparteitag mehr oder minder unverblümt zum Sturz des Parteivorsitzenden Rösler aufgerufen hat. Das wäre möglicherweise erfolgreich gewesen, wenn, was sich ja zunächst abzuzeichnen schien, die FDP nicht den Wiedereinzug in den niedersächsischen Landtag geschafft hätte. Danach aber ist Röslers Position gleichsam doppelt stabilisiert worden, einmal, weil ihm der Schachzug gelungen ist, durch den Antrag für Brüderle diesen zu bewegen, den Parteivorsitz nicht statt seiner zu nehmen, und zum anderen hat ihn natürlich auch das Wahlergebnis, das regionale Wahlergebnis in Niedersachsen stabilisiert, selbst wenn, wie inzwischen jedermann weiß, es zu einem großen Teil ja wirkliche Leihstimmen von Wählern mit CDU-Erstpräferenz gewesen sind. Und um noch mal auf das zurückzukommen, was ich am Anfang gesagt habe: Vor diesem Hintergrund wird man sechs Monate vor den Bundestagswahlen nicht eine ernsthafte Führungsdebatte an der Spitze lostreten.

    Müller: Jetzt könnte man aber auch sagen, einige tun das ja nach wie vor, zumindest hinter vorgehaltener Hand: Das Ergebnis in Niedersachsen war trotz Philipp Rösler so gut. Ist da was dran?

    Holtmann: Es ist sicherlich so, dass Philipp Rösler selbst, obwohl es ja sein Stammland ist, zu diesem der bloßen Zahl nach sehr ansehnlichen Wahlergebnis wahrscheinlich nicht sehr viel Entscheidendes beigetragen hat. Wir wissen ja aus den Nachwahlumfragen, dass diejenigen, dass etwa drei von vier, die der FDP in Niedersachsen für die Landtagswahl ihre Stimme gegeben hatten, es vor allen Dingen darum zu tun war, die CDU-FDP-Landeskoalition zu stabilisieren. Und das ist das wahlentscheidende Motiv oder das für die FDP erfolgsentscheidende Motiv gewesen. Und das kann Philipp Rösler sich nur, ja, nur eigentlich äußerlich zugute schreiben. Es hat ihn aber, wie gesagt, stabilisiert in der Position des Parteivorsitzenden.

    Müller: Bleibt noch einer, habe ich heute Morgen in den Tageszeitungen ganz früh gelesen: Guido Westerwelle ist wieder auf dem Weg nach vorne. Stimmt das?

    Holtmann: Zumindest, wenn man sich die Umfragen, diese Rankings der Sympathiewerte der Bundesbevölkerung anschaut, da hat Guido Westerwelle einen gewissen Aufschwung von den hinteren Plätzen auf weniger hintere Plätze inzwischen zurücklegen können. Aber ich kann mir schwer vorstellen, dass es so eine Art Renaissance in Spitzenämtern für Guido Westerwelle geben könnte. Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen, weil ja jene, die jetzt um die Führungsämter streiten, Daniel Bahr, Christian Lindner und andere, es gewesen sind, die seinerzeit sozusagen den politischen Königsmord mit betrieben haben, und es kann eigentlich nicht in deren Interesse liegen, einen Wiederaufstieg von Guido Westerwelle zu favorisieren.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Professor Everhard Holtmann. Danke für das Gespräch!

    Holtmann: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.