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Politologe warnt vor politischer Instabilität Pakistans

Pakistan stehe nicht vor einer Revolution, meint der Politikwissenschaftler Christian Wagner. Nach der Verhaftung des als korrupt angeklagten Ministerpräsidenten Ashraf komme es darauf an, ob die Regierung sich mit der Opposition verständige und ordnungsgemäße Neuwahlen durchführe.

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 16.01.2013
    Sandra Schulz: Der Machtkampf in Pakistan hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Gestern ordnete der Oberste Gerichtshof die Verhaftung von Ministerpräsident Ashraf wegen Korruptionsvorwürfen an. Die Regierung sah sich zugleich wachsendem Druck durch Anhänger eines islamischen Geistlichen ausgesetzt, der über enge Verbindungen zum Militär verfügt und mehrere Zehntausend Menschen auf die Straße brachte. Darüber haben wir hier im Deutschlandfunk mit Christian Wagner gesprochen, dem Pakistan-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik, und zuerst hat ihn meine Kollegin Christiane Kaess gefragt, ob das Land vor einer Revolution stehe.

    Christian Wagner: Nein. Ich glaube, Pakistan steht nicht vor einer Revolution. Aber Pakistan steht wieder vor einer Phase neuer politischer Instabilität, und die gilt es natürlich, jetzt in den nächsten Wochen zunächst zu lösen.

    Christiane Kaess: Wie?

    Wagner: Es wird vermutlich darauf ankommen, ob die Regierung jetzt dazu übergeht, einen neuen Premierminister ins Amt zu setzen, oder ob man sich mit der Opposition auf die Bildung einer Übergangsregierung verständigt, die dann die für das Frühjahr anvisierten Wahlen auch etwas vorziehen kann und dann auch ordnungsgemäß durchführen kann, denn dieses Parlament ist das erste, was nun eine volle Legislaturperiode beendet hat, und dieser Übergang zur Demokratie wäre auch wichtig für die Stabilität im Land.

    Kaess: Und Sie glauben, so eine Einigung ist in dieser aufgeheizten Stimmung möglich?

    Wagner: Das wird sicherlich schwierig sein und es wird, glaube ich, jetzt von den nächsten Tagen abhängen, ob hier die Regierung zu einer Verständigung mit der Opposition kommt. Aber ich denke, es wäre möglich, denn auch die Opposition hat natürlich ein Interesse an der politischen Stabilität und auch die Opposition hat jetzt wenig Anknüpfungspunkte mit solchen selbst ernannten Revolutionsführern wie zum Beispiel Herrn Qadri.

    Kaess: Herr Wagner, es gibt ja zwischen dem Verfassungsgericht und der Regierung, die von der Volkspartei PPP geführt wird, seit Jahren Streit. Worum geht es da genau?

    Wagner: Ja es dreht sich immer wieder um unterschiedliche Streitpunkte. Der vorangegangene Premierminister Gilani wurde ja aus dem Amt entlassen, weil er sich weigerte, eine Anordnung des Obersten Gerichts umzusetzen, nämlich ein Verfahren gegen Präsident Zardari einzuleiten beziehungsweise die Schweizer Steuerbehörden anzuschreiben, um auf einen solchen Korruptionsfall noch mal aufmerksam zu machen. Dem jetzigen Premierminister werden eben schwere Korruptionsvorwürfe nachgesagt aus seiner Zeit, als er noch Energieminister war. Also es sind hier verschiedene Punkte. Das Oberste Gericht bemüht sich hier natürlich ganz klar, Kriterien von Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, und nimmt damit natürlich auch immer wieder diese Form der politischen Instabilität in Kauf.

    Kaess: Sie würden aber das Oberste Gericht durchaus als Wächter der Demokratie sehen?

    Wagner: Es ist sicherlich ein Wächter der Demokratie. Andererseits gibt es natürlich in der Auseinandersetzung sicherlich auch immer wieder mal Phasen, wo das Oberste Gericht vielleicht seine Kompetenz etwas zu weitgehend interpretiert. Generell haben wir es eigentlich innerhalb des politischen Systems mit einem Machtkampf zu tun zwischen der Regierung, dem Militär und dem Obersten Gericht, und alle drei Parteien versuchen natürlich, sich hier gegenseitig zu bekriegen und ihre Interessen durchzusetzen.

    Kaess: Was glauben Sie vor diesem Hintergrund ist dran an den Korruptionsvorwürfen gegen den Premierminister?

    Wagner: Was an den Korruptionsvorwürfen dran ist, das lässt sich natürlich aus der Ferne nicht sagen. Andererseits stehen natürlich eine Reihe von Ministern unter Korruptionsverdacht. Die Korruption hat in den letzten Jahren unter der Regierung der PPP noch mal zugenommen, das wird von vielen beklagt. Auf der anderen Seite haben wir ja eine massive Wirtschaftskrise, wir haben massive Versorgungsprobleme, es gibt Stromabschaltungen, Energie ist knapp, die Gaslieferungen sind nicht ausreichend, also die Menschen haben hier schon genug Grund, gegen die Regierung zu protestieren, und das sichert natürlich dann auch Bewegungen wie von Herrn Qadri den entsprechenden Zulauf.

    Kaess: Welche Rolle spielt denn Qadri?

    Wagner: Es ist nicht so ganz klar, welche Rolle er spielt. Er ist ja erst vor ungefähr einem Monat aus Kanada zurückgekehrt, hat jetzt in relativ kurzer Zeit hier Massen mobilisieren können. Unklar ist eigentlich seine politische Ausrichtung. Es ist auch nicht ganz klar, was für ein Programm er hat. Er ist kein konservativer Islamist, eher ein gemäßigter Islamist. Aber sein ganzes Programm ist nicht klar, ob er vom Militär gestützt wird, wie viele vermuten, ist nicht klar. Ich denke, er ist momentan sicherlich ein sehr schwer einzuschätzender Spieler. Ich gehe aber nicht davon aus, dass er bei der anstehenden Wahl jetzt wirklich eine große Rolle spielen wird. Wir haben hier andere Politiker wie Imran Khan, die in den letzten Monaten auch massiv noch mal die Massen mobilisiert haben. Ich denke, er wird sicherlich bei den kommenden Wahlen eine größere Rolle spielen.

    Kaess: Sehen Sie denn, Herr Wagner, die demokratischen Ansätze in Pakistan, die es mit der freien Wahl dieser Regierung gab, schon wieder am Ersticken, oder ist das die "normale" Entwicklung nach jahrzehntelanger Militärdiktatur?

    Wagner: Ich glaube, es ist doch eher die normale Entwicklung nach diesen Jahrzehnten von militärischer und autoritärer Herrschaft. Es ist natürlich klar, dass diese Übergangsprozesse extrem schwierig sind, vor allem, weil die Regierung natürlich für eine Reihe von innenpolitischen Problemen bislang keine Lösung anzubieten hat, sowohl was die Wirtschaft anbelangt, vor allem aber auch, was die Sicherheitslage im Land anbelangt. Wir haben gerade in den letzten Wochen eigentlich eine massive Verschärfung der Gewalt gesehen. Die pakistanischen Taliban haben eine Reihe von Angriffen auf die Sicherheitskräfte durchgeführt. Wir haben in Quetta vor wenigen Tagen ein Massaker von sunnitischen Extremisten an schiitischen Pilgern erlebt, in Balochistan ist vor wenigen Tagen die Provinzregierung abgesetzt worden aufgrund der unsicheren Sicherheitslage, Karatschi hat im letzten Jahr das blutigste Jahr seit vielen Jahrzehnten erlebt, also die Sicherheitslage ist prekär. Hinzu kommt eben eine katastrophale wirtschaftliche Entwicklung. Das zeigt, dass natürlich die Regierung hier auf die Probleme bislang keine Antwort gefunden hat.

    Kaess: Wie gefährlich wird denn Pakistan als Atommacht, sollten die Zustände noch chaotischer werden?

    Wagner: Das wird sicherlich dann von der Rolle des Militärs abhängen. Das Militär versucht momentan eigentlich, sich nicht mit der Regierung anzulegen. Die eigentliche Machtprobe wird sicherlich kommen, wenn das Militär mit dem Obersten Gericht in einen größeren Zusammenstoß kommt. Das wird sich anbahnen in der Auseinandersetzung über die verschwundenen Personen in Balochistan. Ich denke, das Militär hat sicherlich die Atomlager und auch das nukleare Potenzial unter Kontrolle. Wir haben bislang eigentlich wenig Anschläge gesehen in den letzten Wochen wieder auf Militäranlagen in Punjab. Die Kampfhandlungen der pakistanischen Taliban konzentrieren sich vor allem auf die Stammesgebiete an der afghanischen Grenze und an die Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Also ich denke, die Nuklearanlagen, die Atomwaffen bleiben auch unter der gegenwärtigen instabilen Situation doch vergleichsweise sicher.

    Schulz: Christian Wagner, Pakistan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte meine Kollegin Christiane Kaess.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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