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Politologe wirft griechischen Beamten Reformblockade vor

Auch der beste Technokrat an der Spitze einer griechischen Regierung könne wenig ändern, wenn sich Beamte und Gewerkschaften weiterhin Reformen verweigern, sagt Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies. Der Posten des Ministerpräsidenten sei ein "Himmelfahrtskommando".

Daniel Gros im Gespräch mit Silvia Engels | 10.11.2011
    Silvia Engels: Seit dem Wochenende wird in Griechenland um eine Übergangsregierung gerungen. Sie soll auf möglichst breitem parlamentarischen Fundament die angemahnten internationalen Sparprogramme umsetzen und Neuwahlen vorbereiten. Gestern kam der mühsame Umbau allerdings kaum voran. Zwar erklärte Ministerpräsident Papandreou seinen Rücktritt, aber der Nachfolger steht immer noch nicht fest.
    Heute Morgen sollen die griechischen Verhandlungen über eine Übergangsregierung also weitergehen. Über die Schwierigkeiten in Athen und die Folgen für Europa sprach gestern Abend mein Kollege Gerd Breker mit dem Politikwissenschaftler Daniel Gros. Er ist Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel. Und an ihn ging die Frage, ob die griechische Politik den Ernst der Lage nicht erkenne.

    Daniel Gros: Die Politiker haben den Ernst der Lage für sich selbst erkannt. Sie kämpfen um ihr eigenes Überleben und denken halt sehr wenig dabei an das Überleben des Landes. Das ist die traurige Realität, die man einfach so hinnehmen muss. Das kann man von Brüssel aus, von Frankfurt aus oder von Berlin aus, leider nicht steuern.

    Gerd Breker: Die Politiker in Athen, sie spielen auf eine Zeit, die sie gar nicht haben.

    Gros: Genau! Sie denken halt in erster Linie an ihre eigene Zukunft, sie wollen nicht ihr letztes Stückchen Macht und Einfluss verlieren, und deswegen pokern sie weiter. Außerdem ist es aber auch so, dass es halt auch an geeigneten Kandidaten für die neue Regierung mangelt, denn Herr Papademos selbst weiß ja auch als Techniker, dass er nicht wirklich es schaffen kann, wenn ihm die beiden großen Parteien nur 15 Wochen Zeit geben, denn in dieser Zeit kann er nicht den Beamtenapparat wieder auf Vordermann bringen und grundlegende Reformen durchführen. Deswegen wird es halt sehr schwierig werden, einen wirklich profilierten und guten Politiker zu finden, der ein solches Himmelfahrtskommando auch übernimmt.

    Breker: Man fragt sich in der Tat, was soll eine Übergangsregierung bis zum 19. Februar, denn wenn im Februar gewählt wird, dann beginnt im Januar ja der Wahlkampf, und wie will man im Wahlkampf Konsens erzielen.

    Gros: Wir haben es ja auch in anderen Ländern gesehen, in Portugal zum Beispiel, wo es auch einen Wahlkampf gab, der aber relativ zivilisiert ablief, weil die beiden großen Parteien sich doch vorher darauf geeinigt hatten, dass in den Grundzügen sie das Programm akzeptieren und dass sie am Ende dann an einem gemeinsamen Strang ziehen wollen. In Irland gab es ja auch während des Programms Wahlen, da hatte die Opposition noch gefordert, dass dieses Programm geändert werden sollte. Als sie an die Macht kam, hat sie nichts geändert, sondern hat im Gegenteil das Programm sehr gut umgesetzt. Es ist also durchaus möglich, eine Regierung zu wechseln, während man ein solches Programm erfüllen muss; man braucht natürlich dazu einen Minimumkonsens zwischen den Parteien und noch viel wichtiger auch in der Bevölkerung.

    Breker: Also sind aus Ihrer Sicht, Herr Gros, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der griechischen Sparbereitschaft und die Sparauflagen auch tatsächlich umzusetzen durchaus berechtigt?

    Gros: Es ist ganz klar, dass das griechische Volk im Grunde genommen diese Sparauflagen nur sehr widerwillig akzeptiert hat und nicht wirklich hinter ihnen steht. Man hat das aber auch in der Regierung gesehen, im Beamtenapparat. Das Parlament hat ja viele der Gesetze treu verabschiedet, wie es gefordert wurde von der Europäischen Zentralbank, von der Europäischen Kommission, auch vom Währungsfonds, aber es wurde dann nicht umgesetzt, weil der Beamtenapparat sich einfach geweigert hat, und auch, weil viele Gewerkschaften sich dagegen gesträubt haben. Das wird leider wohl so weitergehen, und solange das sich nicht ändert, kann auch der beste Technokrat an der Spitze einer Regierung wenig ändern.

    Breker: Muss man dann, Herr Gros, nicht andere Seiten gegenüber Griechenland aufziehen? Muss dann Europa, also der Rest der Euro-Staaten, härter gegen Griechenland vorgehen?

    Gros: Man braucht gar nicht härter gegen das Land vorzugehen, man braucht nur halt zu sagen, ganz einfach, wie es jetzt endlich auch gesagt wird, wenn die Auflagen nicht erfüllt werden, kommt das Geld wirklich auch nicht, Punktum, und dann muss halt das Land sehen, wie es weiterkommt. Aber – und das ist halt wichtig für uns – wir müssen sehen, dass wir unser Finanzsystem, unsere Banken in ganz Europa, nicht nur in Deutschland, vor einer Ansteckungsgefahr, vor einem systemischen Zusammenbruch schützen, und leider ist das bisher noch nicht wirklich angegangen worden.

    Breker: Sie sprechen da indirekt, Herr Gros, Italien an. Der Rettungsschirm, ist das denn überhaupt das richtige Instrument, denn für Italien ist er ja nicht groß genug?

    Gros: Der Rettungsschirm war immer nur für relativ kleine Länder gedacht, also Griechenland, Portugal. Es ist ganz klar, dass er viel zu klein ist, um Italien zu retten, denn keine Fiskalkraft der Welt, selbst der deutsche Steuerzahler, kann ja nicht Italien retten. Bei Italien ist die Kernfrage, ist das Land solvent, hat es nur ein Liquiditätsproblem, oder glauben wir, dass Italien ein zweites Griechenland wird. Und das ist die entscheidende Frage, die sich heute stellen wird, denn wir werden bald entscheiden müssen: Helfen wir Italien? - und wenn ja, kann das nur durch eine Institution geschehen, die auch wirklich unbegrenzte Liquidität hat, und das ist halt die Europäische Zentralbank. Wenn nicht, kommt es wohl zum Zusammenbruch der Währungsunion.

    Engels: Daniel Gros, Politikwissenschaftler aus Brüssel, im Gespräch mit Gerd Breker. – Und damit es nicht zum eben erwähnten Zusammenbruch kommt, kommt es auf Italien an. Doch auch dort fehlt es derzeit an Handlungsfähigkeit. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat angekündigt, zurückzutreten, sobald im Parlament die von der EU geforderten Sparkonzepte beschlossen sind. Viele Beobachter, zum Beispiel der SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz, zweifeln aber am Rückzugswillen Berlusconis. "Ich traue Berlusconi nicht, er taktiert", so Schulz heute in der Passauer Neuen Presse. Doch in Italien läuft der Zeitplan derzeit gegen Berlusconi.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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