Dienstag, 19. März 2024

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Politologe zu Jamaika-Aus
"Es war extrem mutig von der FDP"

In der Analyse nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen hat Jürgen Falter, Politologe der Uni Mainz, Verständnis für das Handeln der FDP gezeigt. Die Partei hätte sich an den Rand gedrängt gefühlt und daraufhin gesagt, da machen wir nicht mit. Es sei extrem mutig gewesen, den Schwarzen Peter selbst in die Hand zu nehmen, sagte Falter im Dlf.

Jürgen Falter im Gespräch mit Daniel Heinrich | 20.11.2017
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz (picture alliance / Erwin Elsner)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist jetzt Jürgen Falter, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Mainz. Guten Abend, Herr Falter.
    Jürgen Falter: Guten Abend.
    Heinrich: Herr Falter, vor ein paar Tagen haben Sie gesagt, Sie würden eine mittelgute Flasche Wein auf Jamaika setzen. Wie viele Flaschen haben Sie verloren?
    Falter: Es hat niemand dagegen gewettet und insofern habe ich nichts verloren.
    Heinrich: Sind Sie froh, nicht gewettet zu haben? Haben Sie gewettet?
    Falter: Nein, nein! Es war kein Wettpartner da und ich hatte in der Tat, sagen wir einmal, erwartet, dass es eher in Richtung Jamaika gehen würde. Deswegen die mittelgute Flasche Wein. Aber wie gesagt: Niemand ist in die Wette eingestiegen und deswegen habe ich auch nichts verloren.
    "Mut bewiesen, sich unpopulär zu machen"
    Heinrich: Lassen Sie uns mal nach Berlin gucken auf die Parteizentrale der FDP. Da steht ganz groß: "Liberal sein heißt mutig sein." Fanden Sie das gestern Abend mutig?
    Falter: Ja, das war extrem mutig. Man hat nämlich sozusagen den schwarzen Peter selbst in die Hand genommen. Der eisige Wind der Ablehnung schlägt ja der FDP nicht nur von den drei anderen Parteien, mit denen verhandelt worden ist, ins Gesicht, sondern auch die meisten Medien sind sehr FDP-kritisch in dieser Hinsicht und sagen, warum habt ihr nicht, warum seid ihr nicht über euren Schatten gesprungen, es war doch schon so viel erledigt. Und die FDP hat tatsächlich in diesem Falle Mut, ja extremen Mut bewiesen, nämlich sich unpopulär zu machen.
    Heinrich: Mut ja. Klug auch?
    Falter: FDP-intern gesehen vermutlich sogar klug, und zwar mit Blick auf die Wähler, warum sie gewählt worden sind, und auf die Kompromisse, die die Wählerschaft honorieren würden und nicht honorieren würden. Die FDP ist doch ziemlich, wenn ich es richtig sehe, in den Verhandlungen an den Rand gedrängt worden. Sie hat nicht sehr viel durchsetzen können, schon gar nichts durchsetzen können sozusagen eins zu eins, und das Verhältnis zwischen CDU und den Grünen war sichtlich besser als das der FDP zu den Grünen und auch zur CDU. Ich glaube, man hat sich etwas isoliert gefühlt, und dann kam eben die Entscheidung: Da machen wir lieber nicht mit, wir wollen 2009 bis 2013 vermeiden, als die FDP ja damals zerdrückt worden ist zwischen CDU und CSU.
    "Ich hätte vielleicht ähnlich entschieden"
    Heinrich: Fünftes Rad am Wagen, haben wir auch schon gehört. Sie schließen sich der Logik der FDP an?
    Falter: Ich kann Verständnis dafür haben, in der Tat. Wenn ich in der Situation gewesen wäre, hätte ich vielleicht ähnlich entschieden.
    Heinrich: Jetzt haben Sie schon die Presse angesprochen. Werfen wir mal einen Blick ins Ausland, nach Österreich. Da schreibt der Standard in Bezug auf Angela Merkel: "Die Chefin hat nicht geliefert." Stimmen Sie zu?
    Falter: Es ist Angela Merkel nicht gelungen, das zu moderieren, was sie vorhatte mit dem Ziel, das sie vorhatte, und insofern ist es eine Niederlage für Angela Merkel, zumindest ein erheblicher Dämpfer, der sich auch schon dadurch äußert, dass in ihrer eigenen Partei die Kritik, die vorher immer nur hinter vorgehaltener Hand geäußert worden ist, nun plötzlich auch lauter geäußert wird. Das heißt, es ist ein Autoritätsverlust von Angela Merkel, der eindeutig zu beobachten ist.
    Heinrich: Aber innerhalb der Union gibt es ja durchaus Zustimmung. Horst Seehofer hat sich ja ganz klar hinter sie gestellt.
    Falter: Ja. Seehofer bleibt in dem Fall nicht viel übrig. Seehofer hat Glück gehabt, dass es nicht zu der Koalitionsabsprache gekommen ist, denn da hätte er nach München reisen müssen und sagen müssen, das und das wollte ich durchsetzen und das und das konnte ich nicht durchsetzen. Das hätte erheblichen Zoff in Bayern gegeben. Jetzt kann er eigentlich etwas erleichterter nach München zurückkehren.
    Heiko Maas im Glashaus mit dünnen Wänden
    Heinrich: Ein Glücksfall für die CSU, über den keiner redet?
    Falter: Ich glaube, ja, das ist in der Tat so, denn die CSU hätte ja doch erhebliche Abstriche machen müssen, Formelkompromisse hinnehmen müssen, gerade in Positionen, die ihr sehr wichtig waren, was den Familiennachzug angeht, was die Obergrenze angeht, und da sind sie jetzt erst einmal befreit davon.
    Heinrich: Von der CSU lassen Sie uns mal auf die SPD springen und ein Zitat herausgreifen von Heiko Maas, SPD-Justizminister: "Dieser parteipolitische Egoismus beschädigt unsere Demokratie." - Ist das heuchlerisch?
    Falter: Es ist zumindest in einem Glashaus gesprochen, dessen Wände sehr dünn sind, denn die SPD hat ja zunächst einmal aus parteiegoistischen Gründen von vornherein abgelehnt, überhaupt nur an eine Große Koalition zu denken, und hat das jetzt gerade heute noch einmal vielfach bestätigt. Wenn man staatspolitisch argumentieren würde, würde man sagen, jetzt kommt eigentlich die Stunde der SPD, und die wäre grandios, weil sie nämlich unglaublich viel durchsetzen könnte in dieser besonderen Situation.
    Heinrich: Sie sagen es: Bei diesem Nein bleiben die Genossen. Halten Sie das für schädlich für die Partei?
    Falter: Nein, für die Partei halte ich es nicht für schädlich. Aber ich halte es nicht für gut fürs Gemeinwohl und für die Regierbarkeit der Bundesrepublik Deutschland.
    Heinrich: Wenn wir beim Gemeinwohl sind - wir haben oft gehört in den vergangenen Wochen diese Aussage: "Verantwortung für Deutschland." Kann man das einem noch glaubhaft erklären?
    Falter: Ja, natürlich kann man das erklären. Die Verantwortung für Deutschland ist natürlich etwas, was ja immer parteipolitisch gefärbt ist, wenn es ausgesprochen wird. Und die FDP würde von sich sagen, wir haben verantwortlich gehandelt, auch für Deutschland. Das wäre nämlich eine Koalition geworden, die in sich sofort zerstritten gewesen wäre, die vermutlich die vier Jahre nicht durchgehalten hätte, die ein böses Klima von Anfang an gehabt hätte, und das wäre verantwortungslos gewesen, wenn wir da reingegangen wären. Das ist immer perspektivabhängig, wenn so gesprochen wird.
    Lindner hat nicht ganz kühl kalkuliert
    Heinrich: Können Sie verstehen, wenn Leute sagen, das war ganz, ganz kühl kalkuliert von Christian Lindner?
    Falter: Ich glaube nicht, dass es ganz, ganz kühl kalkuliert war. Immerhin haben sie ja fast fünf Wochen verhandelt und fünf Wochen sich die Nächte um die Ohren geschlagen. Dass da nichts rausgekommen ist, was sie sich gehofft haben, ich glaube nicht, dass da wirklich ein eiskaltes Kalkül dahinter steckte, sondern es war am Ende wohl die Einsicht, wir setzen uns mit dem, was wir haben wollen, nicht so durch, dass wir vor unsere Wähler hintreten könnten, und deswegen machen wir nicht weiter. So eiskalt waren die Leute nicht, als sie da vor die Presse getreten sind. Das hat man gemerkt. Lindner hat ja die Hand geradezu gezittert, als er da von seinem Blatt vorgelesen hat.
    Heinrich: Also kein mangelndes Verantwortungsbewusstsein?
    Falter: Glaube ich nicht, dass das mangelndes Verantwortungsbewusstsein ist. Sonst müsste man es auch der SPD vorwerfen.
    Heinrich: Unser Ritt geht weiter. Wir werfen mal einen Blick ins Ausland. Die europäischen Staatschefs – da ist durchaus Besorgnis heute geäußert worden. Auch die Wirtschaft warnt vor einer "Hängepartie". Ist das eine Gefahr für unsere Demokratie in Deutschland?
    Falter: Nein, eine Gefahr für die Demokratie ist es ganz und gar nicht. Gott sei Dank ist unser Grundgesetz so angelegt, dass es auf Stabilität hinwirkt. Das heißt mit anderen Worten: Wir haben keine Regierungskrise, keine Staatskrise im klassischen Sinne, sondern wir haben eine geschäftsführende Regierung, die weiter regiert, und solange die SPD-Minister und die CDU-Minister sich einigermaßen vertragen, kann das noch eine ganze Weile so weitergehen, ohne dass bei uns deswegen die Wirtschaft zusammenbricht, oder dass, sagen wir mal, Bayern sich abspaltet vom Bund.
    Steinmeier wird auf Seelenmassage setzen
    Heinrich: Jetzt in den letzten Stunden ist ein Mann in den Mittelpunkt gerückt, und zwar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er hat gesagt: "Haltung überdenken" war ein Zitat. Er ist für einen neuen Anlauf zu der Regierungsbildung. Glauben Sie, das wird noch was?
    Falter: Ja, gut. Er wird versuchen, Seelenmassage zu betreiben. Er muss von sich aus aktiv werden. Das ist die Rolle, die das Grundgesetz ihm nun vorschreibt. Das heißt, der Bundespräsident hat nun das Heft des Handelns in der Hand. Er muss ja am Ende dem Bundestag einen Kandidaten oder eine Kandidatin vorschlagen, die im ersten Wahlgang gewählt wird oder nicht gewählt wird, und dann geht das weiter bis zum dritten Wahlgang.
    Und dann hat er ja noch mal das Heft in der Hand, nämlich bei der Frage, ob er eine mit relativer Mehrheit gewählte Kandidatin oder einen Kandidaten ernennt oder Neuwahlen ausschreibt. Das heißt mit anderen Worten: Das ist jetzt die Stunde von Frank-Walter Steinmeier, des Bundespräsidenten, und der muss tätig werden und er wird wohl auch tätig werden.
    Minderheitsregierung und dann Neuwahlen
    Heinrich: Glauben Sie, dass Neuwahlen kommen?
    Falter: Ich glaube eher, dass eine Minderheitsregierung kommen wird und dann in absehbarer Zeit Neuwahlen. Denn es ist ja zu verlockend tatsächlich, dann als Kanzlerin in diese Neuwahlen hineinzugehen. Man wird vom Bundespräsidenten ernannt als Kanzlerin mit der relativen Mehrheit. Dann regiert man ein bisschen so mit Ach und Krach und dann stellt man irgendwann die Vertrauensfrage. Die geht schief und dann gibt es Neuwahlen. Da ist man aber Kanzler oder Kanzlerin. Das ist natürlich ein ungeheurer Amtsvorsprung, den man dann hat, mit allen Mitteln, die die Regierung da zur Verfügung hat. Meine Idee von dem kommenden Szenario sieht genauso aus: Minderheitsregierung und dann irgendwann Neuwahlen, nach einer Vertrauensabstimmung.
    Heinrich: Irgendwann. Haben Sie einen bestimmten Zeitpunkt im Kopf?
    Falter: Ach Gott, das kann so ein, zwei Jahre gehen. Das wird wahrscheinlich dann passieren, wenn die Umfragen besonders günstig stehen.
    Heinrich: … sagt Professor Jürgen Falter von der Uni Mainz. Herr Falter, vielen Dank für das Gespräch.
    Falter: Gerne.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen