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Politologin: Europa muss zwischen Israel und Palästina vermitteln

Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina sind nach der UNO-Initiative von Mahmud Abbas schwieriger geworden, sagt die Politikwissenschaftlerin Muriel Asseburg. Sie sieht auch die Europäer in der Pflicht, entsprechende Initiativen zu starten.

Muriel Asseburg im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.09.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Außenminister Guido Westerwelle hat also Palästinenser wie Israelis aufgefordert, schnellstmöglich an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Halten Sie es für realistisch, dass es schon in Kürze zu solchen Verhandlungen kommt? Das hat mein Kollege Martin Zagatta Muriel Asseburg gefragt. Sie ist Leiterin der Forschungsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Muriel Asseburg: Also für den palästinensischen Präsidenten wird das jetzt sehr schwierig werden, weil er angekündigt hat, nach seiner Rückkehr aus New York, dass er nicht verhandeln wird, wenn es keinen Siedlungsstopp gibt und wenn nicht klar ist, dass man auf der Basis der Grenzen von 1967 in die Gespräche einsteigt. Auf der anderen Seite wird es aber einen ganz enormen internationalen Druck auf beide Konfliktparteien geben, jetzt doch an den Verhandlungstisch zurückzukehren, und deshalb kann es schon sein, dass es relativ bald, also im Laufe eines Monats, wie vom Quartett angedacht, zu Verhandlungen kommt. Die große Frage ist: Kommt es denn zu Verhandlungen, die irgendeine Art von Bedeutung haben?

    Martin Zagatta: Sehen Sie da irgendwo eine Kompromissmöglichkeit?

    Asseburg: Momentan nicht. Die Reden von Mahmud Abbas und von Premier Netanjahu haben sehr deutlich gemacht, wie weit die beiden Seiten derzeit auseinander sind, und auf der Basis dieser beiden Reden gibt es keinen Kompromiss. Das Problem ist, dass auch die internationale Gemeinschaft keinen Hinweis darauf gegeben hat, wie sie mit den beiden Positionen jetzt umgehen will. Sie hat zwar einen Fahrplan vorgelegt, Benchmarks, Zeitlinien festgelegt, innerhalb derer verhandelt werden soll, aber sie hat das Fahrziel nicht klar gemacht. Sie hat also nicht Parameter benannt, wie eine Konfliktregelung konkret aussehen könnte, und sie hat auch nicht klar gemacht, welche Maßnahmen man denn ergreifen möchte, um die Blockaden zwischen den beiden Parteien zu überwinden.

    Zagatta: Das Nahostquartett ist in der Vergangenheit gescheitert, die USA haben sich auf ein Veto im Sicherheitsrat schon festgelegt. Wer kann jetzt überhaupt noch ernsthaft vermitteln bei solchen Verhandlungen?

    Asseburg: Ja das Problem ist, dass man tatsächlich an den USA nicht wirklich vorbei kommt bei den Verhandlungen, denn die USA sind die einzigen, die tatsächlich beiden Seiten letztlich Sicherheitsgarantien geben können. Allerdings, das wissen wir auch: Die Amerikaner befinden sich schon jetzt im Vorwahlkampf und das heißt auch, dass bis zu den Wahlen in den USA im nächsten Jahr letztlich die Amerikaner als Vermittler ausfallen, wenn man denn einen Vermittler so verstehen will, dass er versucht, die Interessen beider Seiten gleichberechtigt zu sehen und zwischen diesen zu vermitteln. Das heißt letztlich auch, dass die Europäer an der Reihe sind, hier wesentlich aktiver als bislang Initiativen zu starten, und das werden wir abwarten müssen, ob ihnen das gelingen kann.

    Zagatta: Da fällt es ja meistens schwer, innerhalb der Europäischen Union sich überhaupt auf eine einheitliche Position zu einigen. Kann da eine Initiative jetzt sehr viel bringen, wenn Deutschland und Frankreich unterschiedliche Meinungen vertreten, oder ist das in diesem Fall aus Ihrer Sicht nicht der Fall?

    Asseburg: Wenn man sich die Rede von Präsident Sarkozy vor der Generalversammlung angehört hat, dann sieht man, dass die Positionen Deutschlands und Frankreichs schon gar nicht mehr so weit auseinander sind, wie das ursprünglich scheinen mochte. Das heißt, dass die Franzosen sehr stark abgewichen sind von ihrer ursprünglichen Haltung, wo sie ja sehr klar gesagt haben, sie werden eine Anerkennung des palästinensischen Staates unterstützen. Man hat sich tatsächlich bemüht, jetzt davon weg zu kommen, weil alle Europäer letztlich in einer Sache an einem Strang ziehen, und das ist zu vermeiden, dass es zu einer Art von Abstimmung im Sicherheitsrat kommt, wo die USA ihr Veto einlegen müssten, und natürlich haben auch die Europäer kein Interesse an so einer Art von Abstimmung, wo noch einmal mehr deutlich werden wird, dass die EU gespalten ist in dieser Frage.

    Zagatta: Wie könnte eine solche Abstimmung vermieden werden, eine Lösung ist unwahrscheinlich, etwa vielleicht dadurch, dass die Palästinenser dann einen Beobachterstatus akzeptieren, oder wie stellen Sie sich das vor, dass man eine solche Abstimmung im Sicherheitsrat noch verhindern kann?

    Asseburg: Das war der Vorschlag, den auch der französische Präsident noch einmal ventiliert hat, zu sagen, die Palästinenser sollen doch in der Generalversammlung um die Aufwertung ihres Status bitten, und das ist sicher etwas, was sie ohne Probleme gewährt werden bekommen. Das heißt, sie würden dann zu einem Nicht-Mitgliedsstaat und permanenten Beobachter aufgewertet, hätten mehr Rechte innerhalb der Vereinten Nationen. Die Palästinenser haben selbst aber auch sehr klar gemacht, das ist das, was sie momentan nicht ausschließen, aber auch nicht prioritär anstreben, und deshalb hat ja auch der palästinensische Präsident den Antrag auf Vollmitgliedschaft schon vor seiner Rede eingereicht, um das ganz deutlich zu machen, dass er hier nicht mehr einknicken wird.

    Zagatta: Wie sehen Sie die Verhandlungsposition der Palästinenser überhaupt? Präsident Abbas kann ja nicht für die radikal-islamistische Hamas sprechen, die den Gazastreifen beherrscht und die das Existenzrecht Israels immer noch nicht anerkennt. Können die Palästinenser unter diesen Umständen überhaupt ein ernsthafter Verhandlungspartner sein?

    Asseburg: Das war ein großes Interesse von Mahmud Abbas bei dem Versöhnungsabkommen, das die palästinensischen Fraktionen ja Anfang Mai diesen Jahres abgeschlossen haben, dass er hier noch einmal die Zustimmung der Hamas bekommt, und das ist geschehen, dass er derjenige ist, der für die Palästinenser verhandelt. Die Bedingung, die Hamas damit tatsächlich verbunden hat, ist, zu sagen, dass ein solches Abkommen letztlich durch ein Referendum der Palästinenser angenommen werden muss. Das heißt, sie haben ihm einmal mehr ihre Zustimmung für solche Verhandlungen zumindest pro forma erteilt.

    Heckmann: Muriel Asseburg war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Gespräch führte mein Kollege Martin Zagatta.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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