Donnerstag, 25. April 2024

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Polizei-Einsatz im Rotlichtmilieu
"Ein harter Schlag"

Polizei-Gewerkschafter Oliver Malchow sieht in den heutigen Razzien einen gelungenen Schlag gegen Menschenhandel und Ausbeutung im Rotlichtmilieu. Im Dlf sagte er, solche Ermittlungen seien kein Kampf gegen Windmühlen. Allerdings bräuchten sie Personal und einen langen Atem statt den Wunsch nach schnellen Erfolgen.

Oliver Malchow im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 18.04.2018
    Polizisten nehmen während einer Durchsuchung eine Frau in Gewahrsamt
    Mit einer groß angelegten Razzia ging die Bundespolizei in zwölf Bundesländern gegen Organisierte Kriminalität vor. Im Fokus stehen gefälschte Visa, Menschenhandel, Zuhälterei und Zwangsprostitution von Thailänderinnen, wie die Bundespolizei in Stuttgart (picture alliance/ dpa/ Bodo Marks)
    Jörg Münchenberg: Es ist die größte Razzia seit dem Bestehen der Bundespolizei, also seit den 50er-Jahren. Im ganzen Bundesgebiet gab es heute Durchsuchungen. Der Einsatz, so heißt es, richte sich gegen Schleuser, Zwangsprostitution und Ausbeutung. Tausende Polizisten waren demnach beteiligt, darunter auch die Spezialeinheit GSG9. Es soll über 100 Festnahmen gegeben haben. Der Schwerpunkt der Aktion lag offenbar in Nordrhein-Westfalen.
    Am Telefon ist nun Oliver Malchow. Er ist Chef der Gewerkschaft der Polizei. Herr Malchow, ich grüße Sie!
    Oliver Malchow: Ich grüße Sie auch.
    Münchenberg: Wie bewerten Sie diesen heutigen Einsatz? Immerhin ist da von der größten Razzia seit dem Bestehen der Bundespolizei die Rede.
    Malchow: Ich glaube, man kann ihn nur positiv bewerten. Es geht hier um die Verfolgung schwerster Kriminalität. Meine Kollegen im Bereich der Bundespolizei, aber auch die sie Unterstützenden und auch die Staatsanwaltschaft und Gerichte, haben sicherlich schon lange arbeiten müssen, um dann überhaupt diesen erfolgreichen Einsatz gut vorbereiten zu können. Das ist bei der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität immer die Schwierigkeit. Sie müssen Strukturen aufbauen. Das heißt, bevor es überhaupt zu so einer Durchsuchungs- und Festnahmeaktion kommt, vergehen viele Monate vorher intensiver Ermittlungsarbeit.
    Münchenberg: Sie haben es schon gesagt. Wir reden hier über Strukturen der Organisierten Kriminalität. Ist das die Regel, wenn wir über das Rotlicht-Milieu reden?
    Malchow: Ob das die Regel ist, das ist ein bisschen schwierig zu sagen. Wir haben dort natürlich ein hohes Dunkelfeld. Aber die Organisierte Kriminalität bedient sich auch der Prostitution. All das, was am Ende viel Geld einbringt, Macht bedeutet, ist ein lukratives Feld, wo die Organisierte Kriminalität blüht, also auch im Bereich des Rotlichts.
    Bundesweites Problem mit hoher Dunkelziffer
    Münchenberg: Der Einsatz erfolgte bundesweit, heißt es. Der Schwerpunkt aber war offenbar jetzt Nordrhein-Westfalen. Gibt es doch, wenn man auf Deutschland schaut, große Unterschiede bei den Bundesländern?
    Malchow: Nein. Ich glaube, das hat einfach zu tun mit der Tätergruppierung: Wo agiert sie selber? Wohin hat sie Kontakte? Insofern kann man, glaube ich, nicht sagen, dass es bestimmte Auffälligkeiten gibt. Hier war nun mal der Schwerpunkt Nordrhein-Westfalen – nicht, weil es in Nordrhein-Westfalen einfacher ist, solche Deliktstrukturen aufzubauen und dann diese Tätigkeiten zu organisieren. Das ist sicherlich nicht so, sondern das hat zu tun mit den Tätern und deren Aufenthalt.
    Münchenberg: Herr Malchow, es ging bei diesem Einsatz vor allem um Frauen, die illegal aus Thailand eingeschleust worden sind. Ist das eine der größten Gruppen im Rotlicht-Milieu? Es heißt ja immer auch, es würden sehr viele Frauen illegal aus Osteuropa eingeschleust, die dann zur Zwangsprostitution verpflichtet würden.
    Malchow: Wir haben nach dem Lagebild des Bundeskriminalamtes 2016 363 Ermittlungsverfahren gehabt, wo es dann um den Menschenhandel mit dem Zweck der sexuellen Ausbeutung ging. Da ist ein Großteil der Opfer, nämlich 20 Prozent, Deutsche, aber dann auch sehr häufig bulgarische oder rumänische Opfer. Thailand ist da gar nicht groß auffällig. Man muss aber sagen, dass wir es natürlich hier auch mit einer hohen Dunkelziffer zu tun haben, ein Dunkelfeld haben, so dass wir hier von kleinen Zahlen reden und damit die Ausschläge ziemlich groß sind. Aber Thailand ist da bis jetzt nicht besonders auffällig gewesen.
    Münchenberg: Sie sagen, hohe Dunkelziffer. Das heißt, die Zahlen sind eigentlich weitaus höher insgesamt?
    Malchow: Davon kann man eigentlich ausgehen. Organisierte Kriminalität agiert ja im Verborgenen. Es ist im Bereich des Rotlichtes viel Geld zu verdienen. Es geht um Machtstrukturen. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass das nicht nur ein normaler Arbeitsmarkt ist, sondern hier auch schlimmste Kriminalität passiert.
    Internet ermöglicht dezentralere Strukturen
    Münchenberg: Wie hat sich die Szene, würden Sie sagen, in den letzten Jahren verändert? Gibt es da immer mehr illegal Beschäftigte, immer mehr Zwangsprostituierte? Gibt es da einen bestimmten Trend?
    Malchow: Verändert hat sie sich, weil die Anbahnung eine andere geworden ist. Durch die Nutzung von Internet-Portalen besteht natürlich viel eher die Möglichkeit, Geschäfte anzubahnen und dann Prostitution zum Beispiel in Wohnungen zu betreiben. Sie müssen da nicht unbedingt das Bordell haben, und das ist hier wirklich eine deutliche Veränderung. Das macht es auch natürlich in den Ermittlungen viel, viel schwieriger, weil Sie nicht mehr ein auffälliges Objekt in einem Ort haben, oder auch mehrere auffällige Objekte, sondern auch im Verborgenen diese Ausbeutung von Menschen dann vornehmen können.
    Münchenberg: Würden Sie sagen, letztlich sind auch die Ermittler ein Stückchen weit hilflos, weil sich das Ganze immer mehr ins Netz verlagert?
    Malchow: Hilflos hört sich so an, als wenn man gar nichts machen könnte. Wir haben aber hier gesehen, dass auch in diesem Fall Ermittlungen möglich sind. Die Polizei braucht aber immer einen Ermittlungsansatz. Sie kann ja nicht einfach loslegen und mal hinter den Wohnungstüren gucken, was dort so getrieben wird. Insofern braucht sie Ermittlungsansätze. Je anonymer diese stattfinden, umso schwieriger sind natürlich Ermittlungen. Wir haben es insbesondere in diesem Bereich ganz häufig ja mit Opfern zu tun, die aufgrund von Angst einfach auch gar nicht bereit sind, Anzeigen zu erstatten. Insofern sind die Hinweise an die Polizei da immer sehr geringe und deswegen auch gehe ich von einem hohen Dunkelfeld aus.
    Münchenberg: Herr Malchow, was passiert jetzt mit den Frauen, die dort aufgegriffen worden sind? Werden die noch in irgendeiner Form betreut oder am Ende nicht einfach abgeschoben?
    Malchow: Wir hoffen natürlich, dass es eine Betreuung gibt. Man muss ja von Traumatisierungen ausgehen. Nur einfach abzuschieben, wäre, glaube ich, ein bisschen zu einfach. Eine Betreuung ist notwendig. Wie intensiv die jetzt ausgebaut ist, kann ich aber nicht sagen.
    "Wir brauchen dafür Personal, das auch viel Zeit hat"
    Münchenberg: Trotzdem noch mal die Frage. Was bringen solche Einsätze wie heute? Ist das dann lediglich ein Warnschuss, oder kann man tatsächlich da auch wirklich kriminelle Strukturen nachhaltig zerstören?
    Malchow: Zumindest kann man die kriminelle Struktur dieser Gruppierung zerstören, und da wir hier in Strukturen arbeiten, also uns angucken, wer ist eigentlich der Haupttäter, welche Mittäter hat er, wer ist wofür verantwortlich, gibt es weitere Bereiche, in denen diese Gruppe auch agiert. Insofern ist dieses kein Kampf gegen Windmühlen, sondern schon ein harter Schlag. Das ist so und das macht natürlich deutlich, dass auch solche Strukturen aufgedeckt werden können.
    Aber wir brauchen dafür Personal, das auch viel Zeit hat, ermitteln zu können, und wo nicht ein Druck entsteht, wo sofort Erfolge zu verzeichnen sind, denn die haben Sie bei der Aufklärung von Wirtschaftskriminalität oder aber auch Organisierter oder Bandenkriminalität nie sofort, sondern Sie brauchen immer einen großen Vorlauf, weil Sie intensiv ermitteln müssen. Insofern muss man auch Geduld haben und das Personal dafür einsetzen.
    Das hat man in den letzten Jahren etwas vernachlässigt, weil man insbesondere auch diese Ermittler zum Beispiel zur Bekämpfung des Terrorismus mit eingesetzt hat. Insofern gibt es auch Nachholbedarf, denn all das, was durch Organisierte Kriminalität hier erwirtschaftet wird, stellt einen hohen gesellschaftlichen Schaden dar. Und im Bereich der Zwangsprostitution sind das natürlich auch menschliche Tragödien, die da entstehen.
    Münchenberg: Sie sagen, mehr Personal ist notwendig. Können Sie das trotzdem mit einer Zahl benennen, oder ist das eher nur allgemein, dass man sagt, wir sind personell zu schwach aufgestellt?
    Malchow: An einer Zahl kann man das nicht benennen, weil das auch ganz schwierig ist. Wir haben keine großen Zahlen und daraus kann man schlecht ableiten, wie viel Personal benötigt man für die Bearbeitung eines Falles Organisierter Kriminalität. Je umfangreicher die Ermittlungen werden, je größer also auch das Netz ist, was da im Verborgenen aufgedeckt wird, umso mehr Zeit müssen Sie investieren und mehr Personal müssen Sie investieren. Sie können nicht über den Daumen sagen, für ein OK-Verfahren benötige ich fünf Ermittler. Das können Sie so überhaupt gar nicht sagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.