Freitag, 29. März 2024

Archiv

Polizei zu Flüchtlingen
"Dann fallen andere Einsätze mal hinten runter"

Die steigende Zahl von Flüchtlingen wirkt sich deutlich auf die Arbeit der deutschen Polizei aus. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagte im Interview der Woche des DLF, es gebe eine "klare Priorisierung des Themas". Andere Einsätze wie Großverkehrskontrollen müssten da auch mal entfallen.

Holger Münch im Gespräch mit Rolf Clement | 11.10.2015
    Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts.
    Die deutsche Polizei steht wegen der steigenden Flüchtlingszahlen unter personellem Druck, sagt Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Aktuell geht Münch davon aus, dass die Polizei die Situation unter Kontrolle habe. Aber er warnt: "Wir werden und wollen sicherstellen, dass das Flüchtlingsthema nicht dazu führt, dass man am Ende glaubt, die Polizei könne es nicht beherrschen." Man müsse genau hinschauen, wie stark die Polizei in den einzelnen Ländern belastet sei. Vor allem im Bereich der Erfassung von Flüchtlingen müssten rasch die personellen Kapazitäten erhöht werden.
    Besorgt äußerte sich Münch über die wachsende Zahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte. In diesem Jahr gebe es bereits mehr als 500 solcher Taten. Hier bestehe die Gefahr einer Radikalisierung. Dagegen sieht der Präsident des Bundeskriminalamtes die Innere Sicherheit durch die Flüchtlinge nicht gefährdet.
    Dennoch nehme das BKA die Sorge ernst, dass sich IS-Terroristen unter die Flüchtlinge mischen könnten, um in Deutschland Anschläge zu begehen. Im Moment gebe es etwa 70 Hinweise, denen man nachgehe. Es sei aber nichts Konkretes dabei. Bisher sehe die Polizei etwa in der größten Gruppe der Flüchtlinge, Syrern und Irakern, keinen Anlass für Beunruhigung. Sie seien in Bezug auf Kriminalität unauffällig. Münch betonte, die Polizei konzentriere sich auf besonders auffällige Gruppen, die mit dem Ziel nach Deutschland kämen, Straftaten zu begehen. Als Beispiel nannte er Einwanderer aus Georgien.

    Das Interview in voller Länge:
    Clement: Herr Münch, in diesen Wochen ist das Flüchtlingsthema das, was im Prinzip alles überlagert - ich denke mal, auch Ihre Arbeit. "Wir schaffen das", sagt die Kanzlerin - das ist gleichzeitig eine Herausforderung. Wie stark sehen Sie von dem gesamten Flüchtlingsthema die Innere Sicherheit bedroht?
    Münch: Das lässt sich nicht in einem Satz beantworten; das hat verschiedene Facetten. Zum Einen kümmern wir uns um die Frage, welche Wirkung hat dieser hohe Flüchtlingszustrom auf die rechte Szene? Sie wissen das, Angriffe auf Asylunterkünfte haben stark zugenommen.
    Und auch wenn wir die Quartalszahlen vergleichen: Wir sind jetzt mittlerweile bei den 500 angekommen -, nach wie vor steigend. Das heißt, das Ganze hat eine hohe Wirkung in die rechte Szene. Das hat auch wieder Aufschaukelungswirkungen, das heißt, dass auch andere dagegen halten und wir rechts-links Auseinandersetzungen im Land haben. Das ist eine Facette, um die wir uns kümmern.
    Was uns dabei Sorgen macht, ist natürlich, dass die Täterstrukturen, die wir erkennen, nicht alles alteingesessene Rechte sind, sondern dass wir auch ganz, ganz viele haben, die wir vorher mit politisch motivierter Kriminalität nicht in Verbindung gebracht haben. Und hier sehen wir insgesamt die Gefahr eines Radikalisierungspotenzials, auch weil die rechten Gruppierungen das natürlich als Propaganda auch nutzen, als Hintergrund ihrer Propaganda.
    Das heißt, da müssen wir sehr aufmerksam sein und wir müssen auch ermitteln: Gibt es Strukturen, die sich möglicherweise bilden? Da sind wir sehr, sehr wachsam. Wir nutzen unsere gemeinsamen Zentren mit den Ländern. Und das ist etwas, das ist ja eine der Lehren aus dem NSU, sehr, sehr früh und sehr, sehr geschlossen an diese Themen herangehen. Zum Beispiel besprechen wir all diese Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte: Erkennen wir Muster? Ist es doch mehr als Einzeltäter?
    Momentan haben wir darauf aber keine Hinweise auf überregionale Steuerung. Das zweite Thema ist sicherlich die Frage: Was bedeutet das auch für den Terrorismus? Es gibt immer wieder Hinweise auf IS-Zusammenhänge bei Flüchtlingen - wir haben davon über 70 mittlerweile. Wir gehen dem natürlich sehr geschlossen nach und müssen sagen: Im Moment haben wir noch keinen konkreten Hinweis, dass das so sei.
    "Terroristen müssen keine Flüchtlingsströme nutzen"
    Wir gehen auch davon aus, dass wenn eine ausländische terroristische Vereinigung einen Anschlag in Deutschland plant und hierher sich begeben will, dass sie dafür keine Flüchtlingsströme nutzen müssen. Aber doch, wir gehen jedem Hinweis nach, von ausländischen Diensten oder auch von anderen Flüchtlingen, wie auch immer uns der erreicht.
    Was uns aber Sorgen macht, das sind vor allem die Bestrebungen der Salafisten, die Werbeversuche. Die haben zunächst erst einmal auch eine abschreckende Wirkung auf Flüchtlinge aus Syrien und Irak. Die sind gerade vor diesen Personen geflohen und treffen dann Ähnliche hier wieder an. Dann führt das dazu, dass man natürlich auch erkennt: Das stößt nicht auf fruchtbaren Boden. Aber wir haben viele, viele junge, männliche Flüchtlinge, viele auch unbegleitete Minderjährige, und das sehen wir als Risikopotenzial, da müssen wir sehr, sehr wachsam sein. Und wir brauchen da auch starke Präventionsaktivitäten, nicht nur von der Polizei.
    Clement: Es gibt gerade bei diesen unbegleiteten jungen männlichen Flüchtlingen eine ganze Menge, die einfach verschwinden. Da gibt es Hinweise, zumindest ein Fall, der durch die Presse gegangen ist, ist die Heeresoffizierschule in Dresden, wo eines Abends 270 da waren, am nächsten Morgen noch deutlich unter 100 - man weiß nicht, wo die sind. Haben Sie eine Idee, wo die hingehen? Entwickelt sich da ein neuer - ja - organisierter Bodensatz an Kriminalität aus diesem Spektrum? Wissen Sie, was mit denen ist?
    Münch: Nun, bei den unbegleiteten Minderjährigen ist es so, dass viele von denen als Straßenkinder großgeworden sind, sie gelernt haben, sich durchzuschlagen, die auch vernetzt sind und dann auch einfach weitergehen und Personen suchen, mit denen sie dann in Kontakt treten wollen. Das heißt, das Erreichen einer Unterkunft ist dann für die nicht Schluss, sondern sie haben bestimmte Ziele und bewegen sich.
    Das haben wir auch schon vorher erlebt. Natürlich merkt man das jetzt in größerem Umfang, wenn die Zahlen zunehmen. Das alleine ist kein Hinweis darauf, dass sich da etwas Kriminelles entwickelt. Wir haben aber innerhalb der Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sehr, sehr auffällige Personen. Die kommen insbesondere aus Nordafrika. Das sind eben solche - ich sage es mal - Straßenkinder, die gelernt haben, von Tag zu Tag irgendwie sich durchzuschlagen und das auch mithilfe von Kriminalität. Die beschäftigen uns sehr, sehr stark - also die Polizeien der Länder insbesondere.
    Das ist auch ein Punkt, den wir auch übergreifend diskutieren: Was sind da die richtigen Strategien? Und das betrifft nicht nur die polizeiliche Handhabe, sondern auch die Frage: Kann man diese Personen in einer Form einfangen und auf einen Weg bringen, dass sie weniger auffällig sind?
    "Europäische Ermittlungen gegen Schleuser"
    Clement: Die Schlepper, die werden Sie sicherlich auch beschäftigen. Wie viele haben Sie von denen schon? Gibt es da Zahlen? Können Sie uns beschreiben, gibt es da inzwischen Strukturen, wo die sich absprechen, wo die miteinander arbeiten, vielleicht sogar auch, dass da - ja - so eine Art Schlepperkonzerne entstehen?
    Münch: Das ist eine sehr dynamische Entwicklung. Grundsätzlich kann man sagen, wir haben in diesem Jahr einen extrem starken Anstieg. Mal sehen, wohin er führen wird, was die Zahl der festgenommenen Schleuser angeht. Sie müssen immer gucken, auf welcher Route spielt sich das Ganze ab.
    Wenn wir die Route haben Nordafrika-Libyen mit dem Schiff in Richtung Europa, dann haben wir dort gesehen, auch in den Erkenntnissen, die wir international austauschen, dass dahinter schon sehr gut organisierte Strukturen stehen. Das ist jetzt anders über die Balkanroute, hier sehen wir lose Netzwerke. Und am Ende für die letztendliche Einreise nach Deutschland, da brauchen sie gar keinen Schleuser mehr, da nutzen sie öffentliche Verkehrsmittel, kommen mit dem Zug oder wie auch immer.
    Das heißt, hier haben wir ganz andere Strukturen. Aber was wir momentan hier in Deutschland, insbesondere ja die Bundespolizei, feststellen und auch festnehmen, das sind Einzeltäter, würde ich mal sagen, die am Ende dieser Kette versuchen, ihr Geld zu verdienen.
    Forensiker untersuchen von außen einen Lkw, in dem zahlreiche tote Flüchtlinge liegen.
    In Österreich hatte die Polizei im Sommer in einem Kühl-LKW etliche tote Flüchtlinge entdeckt. (picture alliance / EPA / Herbert P. Oczeret)
    Was wir jetzt tun, gemeinsam mit der Bundespolizei, die da sehr stark im Ermittlungsbereich ist, ist an die Strukturen in Europa besser ran zu kommen. Wir beteiligen uns da an entsprechenden Europol-Projekten. Wir setzen unsere Stärken ein, wie Finanzermittlung und auch weitere Informationsquellen nutzen und internationale Verbindungen, die Bundespolizei und auch die Länder, ihre Erkenntnisquellen aus den Verfahren.
    Weil wir am Ende an diese Strukturen heran wollen, insbesondere für diese - ja - schrecklichen und rücksichtslosen Täter, die dann auch bereit sind, eine große Anzahl von Menschen - siehe Österreich - in einen Kühltransporter zu sperren und ersticken zu lassen.
    Insofern müssen wir an diese Strukturen herankommen, die wir da vermuten und bisher erkennen können - die sind dann eher im Balkan, in Richtung Türkei. Und da sind wir sehr stark auf eine internationale Kooperation angewiesen.
    Clement: Arbeiten denn die Balkanländer mit Ihnen da auch zusammen? Die Sicherheitsbehörden der Balkanländer?
    Münch: Ja, das tun sie. Wie gesagt, wir müssen aber auch immer bei dieser internationalen Zusammenarbeit sehr konkrete Erkenntnisse haben, nur dann sind wir erfolgreich. Wir sehen das auch in anderen Deliktsbereichen: Immer dann, wenn wir konkrete Hinweise haben, funktioniert auch die Zusammenarbeit. Also insofern ist es wichtig, diese internationalen Kenntnisse zusammen zu führen. Deshalb hat auch Europol hier eine starke Rolle.
    Clement: Aber dass sozusagen dort alle Erkenntnisse anfangen, wo Sie sagen: Passt auf, das geht aber von euch aus! - dieser Weg wird seltener beschritten?
    Münch: Ja, das passiert natürlich auch, aber in diesem aktuellen Fall geht es insbesondere über die Aufgegriffenen und die Personen, die man feststellt an den Grenzen. Und insofern muss man dann über Rückschlüsse und auch über das Feststellen von Beziehungen zwischen Fällen und Personenidentitäten an die Strukturen kommen.
    Und das ist eine Domäne, da sind wir sehr, sehr gut in solchen Analyse- und Auswertefähigkeiten, aber eben auch Europol. Und dort, auf der Ebene, versuchen wir die Dinge dann zusammen zu führen.
    "Syrer und Iraker in Bezug auf Kriminalität kaum auffällig"
    Clement: Nun ist so eine Flüchtlingsgruppe ja keine homogene Gruppe. Gibt es denn bei denen auch welche, die Ihnen zum Beispiel Hinweise geben: Also da läuft das so und so ab und so weiter? Also kriegen Sie aus den Flüchtlingen selber Hinweise auf Fehlentwicklungen in dieser Gruppe?
    Münch: Allgemein können wir sagen, dass es Gruppen gibt unter den Flüchtlingen, die uns wenig Sorgen machen in Bezug auf Kriminalität, eher unauffällig sind. Ganz vorne würde ich da erwähnen wollen Syrien und Irak, also momentan die Hauptbetroffenen in diesem Flüchtlingsstrom.
    Da sehen wir, wenn wir auswerten, wer tritt bei uns als Tatverdächtiger in Erscheinung, eigentlich keine großen Auffälligkeiten. Und dann gibt es andere, wo das ganz anders aussieht. Eine Gruppe haben wir vorhin schon erwähnt, die jungen, unbegleiteten aus dem Maghreb.
    Wir sehen aber auch, dass einige, möglicherweise auch organisierte Strukturen, versuchen, diese Flüchtlingsthema zu nutzen, um dann darin auch Kriminalität besser organisieren zu können. Ich will ein Beispiel nennen: Wir haben in den letzten fünf Jahren eine Versechsfachung der Asylanträge von Georgien, wo die Anerkennungsquote bei null liegt. Das Ziel ist hier, sich einige Zeit in Deutschland aufhalten zu können und in dieser Zeit Straftaten zu begehen.
    Wir haben über 6.000 Straftäter festgestellt über die Länder hinweg Verbindungen und auch ins Ausland. Und wir sind dabei, diese Strukturen gemeinsam mit den Ländern und auch mit internationalen Partnern zu zerschlagen. Und das ist etwas, da müssen wir drauf, weil solche Effekte natürlich auch die Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung sehr stark beeinflussen. Das heißt, wir müssen uns konzentrieren auf besonders auffällige Gruppen und innerhalb dieser auffälligen Gruppen die Strukturen erkennen und bekämpfen.
    Clement: Da muss Ihnen als Polizist doch der Hut hoch gehen, wenn Sie sagen: Die kommen hier rein und können sich hier eine Weile aufhalten; Anerkennungschance = null. Kann man die nicht gleich von vorne herein draußen lassen?
    Münch: Nun, es ist ja so, dass wir in solch einem Bereich dann auch mit dem BAMF Absprachen treffen, Priorisierungsabsprachen treffen. Das muss natürlich alles im Rahmen dieser jetzt sehr, sehr großen Belastung funktionieren. Aber solche Erkenntnisse führen dazu, dass dann auch Verfahren verkürzt werden. Und das ist auch eine der Maßnahmen, die wir treffen, um da schnell erfolgreich zu sein.
    "Hohe Belegung in Massenunterkünften problematisch"
    Clement: Wir stellen jetzt fest, dass es in den Flüchtlingslagern Auseinandersetzungen unter verschiedenen Ethnien gibt, verschiedenster Ursachen. Ich meine jetzt nicht die Tatsache: "Essensausgabe: Ich will eher ran!", sondern religiöse Ursache, ethnische Ursache. Ist es da nicht sinnvoller, aus Ihrer Sicht, die von vorne herein getrennt unterzubringen?
    Münch: Ich habe mich in dieser Frage in der letzten Woche mit mehreren meiner Kollegen in den Ländern abgestimmt, um dann auch nochmal deren Sicht abzuholen, die ja viel näher dran sind. Da kam ganz überwiegen ein klares "Nein!". Die Hauptursache ist aus Sicht unserer Kollegen, die ganz vorne dran sind und diese Konflikte auch bearbeiten, die hohe Dichte in den Massenunterkünften - so will ich es mal nennen.
    Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass wir eine Verfahrensbeschleunigung bekommen und eine schnellere Dezentralisierung. Umgekehrt können wir sagen: In kleineren Unterkünften, dezentralen Unterkünften, haben wir kaum Auffälligkeiten. Also diese Dichte schürt Konflikte, dann auch noch bei unterschiedlichen Kulturen, das ist, glaube ich, auch erstmal verständlich. Würden wir differenzieren, einmal ist das kaum praktikabel.
    Zum Zweiten würde man dann auch wieder unterschiedliche Unterkünfte haben, möglicherweise wieder neue Konflikte, wenn sich der eine benachteiligt fühlt. Und das sehen wir eher als ein zusätzliches Problem. Insofern: Hauptziel muss es sein, Verfahren zu beschleunigen, Aufenthaltsdauer in solchen Unterkünften zu begrenzen, um möglichst schnell in stabilere Strukturen zu kommen.
    Clement: Es gibt Fälle - ich weiß nicht, ob es Einzelfälle sind oder ob es viele Fälle sind, über die berichtet worden ist -, dass Frauen in diesen Flüchtlingslagern manchmal schlecht behandelt bis misshandelt werden. Wie beurteilen Sie das?
    Münch: Nun, im Grundsatz muss ich sagen, dass wir noch kein umfassendes Lagebild haben, sondern gerade daran arbeiten. Das haben wir jetzt auch auf Basis dieser dynamischen Entwicklung mit den Ländern verabredet. Wir haben ein sehr gutes und geschlossenes Lagebild für die Republik in dem Bereich Islamismus und "rechts" und "rechts-links", was wir schon angesprochen haben.
    Im Bereich der Allgemeinkriminalität - hier eigentlich die Domäne der Länder - gibt es üblicherweise keinen Grund, solche Informationen gebündelt zusammen zu fassen außerhalb von Jahresstatistiken. Und deshalb haben wir verabredet, ein solches Lagebild möglichst schnell hinzubekommen, um eben auch solchen Meldungen mit klaren Daten entgegen zu wirken.
    Was ich sagen kann, ist - aus den Rückmeldungen, die ich bekomme: Es gibt solche Fälle, die ich als Einzelfälle bezeichnen würde, aus den Rückmeldungen der Länder. Insbesondere aus Hessen wissen wir das, die auch das sehr stark gebündelt haben und auch eine gute Übersicht haben. Ansonsten sind das Einzelfälle und keine systematischen Phänomene, die bei uns ankommen. Aber wie gesagt, wir sind dabei, ein umfassendes Lagebild zu erstellen, um, sollten sich solche Entwicklungen abzeichnen, dann darauf auch reagieren zu können.
    "Manchmal fühlt man sich wie beim Synchronschach"
    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk, der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch. Herr Münch, wir haben jetzt fast eine Viertelstunde lang über den Flüchtlingskomplex gesprochen, der natürlich zurzeit alles überlagert, wahrscheinlich auch Ihre Arbeit. Was passiert mit all den anderen Dingen, die Sie sonst auf dem Schreibtisch haben?
    Münch: Die sind ja nicht weg. Und manchmal fühlt man sich hier wie beim Synchronschach, weil man ja nebenbei auch noch andere Themen bedienen muss. Wir haben ja schon angesprochen das Thema des internationalen Terrorismus. Wir sind nach wie vor im Zielspektrum und wir haben eine ernstzunehmende Bedrohungslage.
    Wir sind bei 400 Gefährdern in etwa in Deutschland und stehen hier vor großen Herausforderungen, wie wir das Ganze trotz dieser Belastung auch weiterhin bewerkstelligen können. Dazu haben wir aber auch sehr, sehr gute Verfahren.
    Das zweite große Thema ist sicherlich die organisierte Kriminalität. Wir sehen zum Beispiel im Bereich der Alltagskriminaltat - nehmen wir den Wohnungseinbruch - immer mehr internationale Täter.
    Also, wenn wir uns anschauen, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat, dann haben wir bei den ausländischen Tatverdächtigen einen Anstieg von 60 Prozent in fünf Jahren. Das deutet hin auf Strukturen. Und wir stehen natürlich auch vor der großen Herausforderung "Cybercrime" - der technische Wandel schlägt doch durch in der Nationalität. Das sind so die großen Linien und darauf stellen wir uns auch insgesamt ein.
    Hände tippen auf einer Computertastatur.
    Hacker bereiten der Polizei Probleme - zum Beispiel mit einem Angriff auf den Bundestag in diesem Jahr. (imago/STPP)
    Das BKA ist dabei, auch die Strategien fortzuentwickeln, auch die Organisation anzupassen im Hinblick auf diese Anforderungen. Lassen Sie mich da vielleicht ein paar Punkte nennen. Nummer 1: Wir müssen den Mut haben - Polizeien in Bund und Ländern - uns auch zu spezialisieren - wir können nicht mehr jeder uns auf alles einlassen.
    Das BKA ist sicherlich das Kompetenzzentrum in Deutschland, aber wir haben eben auch Länder, die in einigen Bereichen sehr stark sind. Was wir gerade tun, ist also von einem Verbund der Polizeien, die alle die gleichen Aufgaben haben, uns weiter zu entwickeln, zu einer gegenseitigen Unterstützung in Kompetenzverbünden. Das müssen wir als Rolle annehmen und das auch stärker, wenn Sie so wollen, managen.
    Ein zweites Thema ist: Wenn es immer internationaler wird, dann müssen wir die Strategien weiterentwickeln, dann hilft nicht mehr nur die lokale und regionale Betrachtung. Und hier geht es darum, dass wir sehr schnell auch länderübergreifende Strukturen erkennen und das auch in so etwas wie Projektansätzen besser bekämpfen.
    Insofern haben wir unsere Bekämpfungsansätze im Bereich der organisierten Kriminalität auch angepasst. Und das funktioniert nach ersten Erkenntnissen sehr, sehr gut. Wir müssen insgesamt auch schneller und anpassungsfähiger werden und das betrifft auch das Informationsmanagement. Wenn Europa und die Welt immer mehr zusammenwachsen, dann müssen wir auch die Polizeien in Deutschland daran teilhaben lassen.
    Das bedeutet auch, dass wir so Systeme, europäische Informationssysteme, viel mehr an die Polizeien heranbringen. Wir müssen insgesamt auch Antworten finden, auf diese großen technischen Herausforderungen und dazu Standardprodukte entwickeln und den Polizeien zur Verfügung stellen. Das vielleicht mal so als Schlaglicht, was wir uns auch strategisch alles auf die Fahnen geschrieben haben und auch durchhalten wollen, trotz dieser aktuell großen Herausforderung.
    "Polizeiarbeit braucht Spezialisten"
    Clement: Das hört sich an, als würden Sie auf kooperativem Wege Polizeiarbeit stärker zentralisieren.
    Münch: Nein, zentralisieren ist das falsche Wort. Unsere Täter arbeiten immer mehr in Netzwerken und das müssen wir auch tun. Ich habe vor zwei Wochen James Comey, den Direktor des FBI, gesprochen und er hat, finde ich, ein sehr sympathisches Bild dafür gehabt. Er hat gesagt: Wir bewegen uns auf der Welt teilweise noch, wie die Knabenmannschaft im Fußball - jeder rennt dem Ball hinterher - und wir müssen auf Champions-League-Niveau arbeiten.
    Das heißt Spezialisten auf ihren Funktionen arbeiten gut zusammen. Und das ist die Entwicklung, die wir machen wollen. Und hier wollen wir natürlich in bestimmten Themenfeldern voran marschieren. Wir haben eine starke Rolle in Deutschland, aber wir wollen nicht alles zentralisieren, sondern im intelligenten Verbünden arbeiten.
    Clement: Sie haben gesagt, im Zusammenhang mit Wohnungseinbrüchen und ähnlichen Straftaten, 60 Prozent Ausländertäter. Kommen die in der Hauptsache aus EU-Staaten oder kommen die von außen rein?
    Münch: Also ich habe ja eine Gruppe schon genannt, das sind die Georgier. Wir sehen auch aus anderen Oststaaten eine hohe Tatbeteiligung, und dahinter vermuten wir auch die ein oder andere organisierte Struktur. Und das ist etwas, um das wir uns sehr stark kümmern.
    Ich bin jetzt kein Freund davon, sofort mit dem Thema "Grenzsicherung" zu kontern. Ich glaube, wir müssen sehen, wie wir in diesem freieren Europa polizeiliche Zusammenarbeit verbessern. Und das tun wir zum Beispiel so, dass wir mit den Georgiern einen direkten Austausch haben.
    Wir haben hier Verbindungsbeamte, das Gleiche machen wir auf der Seite. Wir stimmen unsere Strategien ab. Wir nutzen Europol-Instrumente, wie gemeinsame Ermittlungsgruppen - Joint Investigation Teams.
    All das sind die Instrumente, die wir dagegen halten müssen. Also ich würde nicht sagen, die Antwort liegt in Kleinstaaterei, sondern sie liegt, wie gesagt, in einer guten Netzwerkarbeit der Polizei.
    "Auch Zusammenarbeit beim Thema Cybercrime"
    Clement: Und welche Rolle spielen da russische Täter?
    Münch: Eher gering. Russische Täter spielen eine Rolle im Bereich "Cybercrime" - also da, wo sie die Grenze eigentlich nicht übertreten müssen, sondern wo sie das machen können, ohne ihr Zimmer zu verlassen. Ich möchte Ihnen vielleicht nochmal einen spektakulären Fall der jüngsten Zeiten nennen, der das vielleicht auch mal deutlich macht, warum wir so zusammenarbeiten müssen.
    Vor Kurzem ist einer der Top-Täter im Bereich "Cybercrime", kommend aus der Republik Moldau, auf Zypern festgenommen worden, mit einem Haftbefehl des FBI, der wiederum auf Erkenntnissen aus Ermittlungsverfahren des BKA fußte. Das ist für mich ein Beispiel von moderner Polizeiarbeit.
    Clement: Und davon könnten Sie unzählige erzählen oder nur das eine?
    Münch: Nein, davon kann ich mehrere erzählen. Ich kann Ihnen auch von dem Zerschlagen von Bot-Netzen erzählen, wo wir mit anderen Polizeien gemeinsam europaweit und darüber hinaus zusammenarbeiten oder auch im Bereich Kinderpornografie.
    Wenn wir auf Basis von Erkenntnissen der australischen Behörden in Europa gemeinsam gegen die Täter vorgehen, das ist im Zeitalter von Digitalisierung, Globalisierung Polizeiarbeit, die wir weiter voranbringen müssen.
    Clement: Also kann man sagen, dass völlig unabhängig von irgendwelchen politischen Irritationen die Arbeit auf dieser Ebene ganz gut funktioniert in Europa?
    Münch: Ja, in Europa funktioniert sie sehr, sehr gut. Und sie funktioniert auch zunehmend aber auch mit anderen Staaten gut. Das muss sie auch, weil wir überall die gleichen Phänomene beobachten: Täter und Tatort fallen eben in dieser neuen, digitalen Welt immer mehr auseinander und dann können wir nur gemeinsam arbeiten, weil die Spuren dann möglicherweise auch in anderen Staaten zu suchen sind, die wir für die Verfahren brauchen. Und das fördert internationale Zusammenarbeit; das muss es aber auch.
    "Wir sind im internationalen Vergleich gut aufgestellt"
    Clement: Ist das BKA in der Bekämpfung der Cyberkriminalität gut genug, ausreichend aufgestellt? Haben Sie da noch Wünsche?
    Münch: Gut genug ist man da nie. Die Entwicklung ist so dynamisch, dass wir ständig aufgerufen sind, besser zu werden. Wir sind im internationalen Vergleich gut aufgestellt - das sagen uns unsere internationalen Partner, die gerne mit uns zusammenarbeiten.
    Aber wir sagen auch, wir müssen auch im Hinblick auf die großen Herausforderungen noch viel, viel besser werden. Wir entwickeln eine Strategie, wie wir die Cyberfähigkeit des Amtes insgesamt erhöhen. Also auch unsere Prozesse intern müssen schneller, automatisierter werden, digitaler werden, dort, wo wir noch mit Papier arbeiten. Wir müssen eben auch, was die Zusammenarbeit in der Republik, in Deutschland angeht, noch enger auch mit den Ländern arbeiten und unsere Kompetenzen dann auch zur Verfügung stellen.
    Also mal ein Beispiel: Wenn sie über Kryptokompetenz reden, dann müssen das am Ende eben nicht alle 16 Polizeien können, sondern wir müssen dann auch dann dafür sorgen, dass die Polizeien in Deutschland von unserer Kompetenz profitieren. Und da haben wir noch ein gewaltiges Stück Arbeit in den nächsten Jahren.
    Clement: Brauchen Sie da mehr Technik? Brauchen Sie da mehr Manpower? Brauchen Sie politische Unterstützung? Woran hapert es?
    Münch: Sie haben die drei Dinge genannt. Natürlich brauchen wir auch immer wieder neue Technik, sie müssen ja Schritt halten mit der technischen Entwicklung. Wenn Sie nur mal schauen, dass jeden Tag x neue Protokolle in Umlauf kommen und wenn Sie dann beispielweise Kommunikation mitbekommen wollen, dann müssen Sie auch immer wieder auch Ihre Systeme darauf einstellen, dass sie die Protokolle auch wieder decodieren können, als ein Beispiel.
    Beamte der Bundespolizei sprechen am Hauptbahnhof in Stuttgart mit neuankommenden Flüchtlingen.
    Beamte der Bundespolizei kümmern sich um neuankommende Flüchtlinge. (picture alliance / dpa / Wolfram Kastl)
    Das heißt, unser Aufwand wird in diesem Feld immer größer. Er wird auch deshalb immer größer, weil die Speicherkapazitäten zunehmen und weil eben Anonymisierung und Kryptierung ein großes Thema sind. Das heißt: Wir brauchen Technikoffensive, wir brauchen auch sehr, sehr gute Leute in Spezialbereichen, aber eben auch gut Ausgebildete. Das kostet auch Geld.
    Ich glaube, dass wir hier auch im BKA ein Schwerpunkt sein müssen für die Polizei in Deutschland und das kostet auch Personal. Und wir werden aber da schrittweise diese Dinge weiterentwickeln und dann auch die entsprechende Diskussion auch führen, ob wir diese Strategien und mit welchen Ressourcenaufwand wir sie im BKA umsetzen.
    "Große Hürden gemeinsam nehmen"
    Clement: Die Zusammenarbeit unter den Ländern ist ja auch sehr häufig ein Problem - gerade im Polizeibereich - gewesen in den vergangenen Jahren. Haben Sie das Gefühl, dass man da dazu lernt, dass auch von der politischen Seite her diese Kooperation eher befördert wird?
    Münch: Ich habe das Gefühl, dass gerade in dem Bereich Cyberfähigkeit/ Cybercrime wir jetzt sehr schnell dazulernen und merken, dass wir nur gemeinsam solche Dinge angehen können und nicht einmal Deutschland groß genug ist dafür und dass dort die Kooperationsbereitschaft auch immer mehr wächst.
    Da gibt es aber auch andere Hürden und Hemmnisse, die wir nehmen müssen. Wenn wir zum Beispiel über gemeinsame Systeme nachdenken, technische Systeme, dann haben wir häufig ganz unterschiedliche Beschaffungszyklen in den Ländern und das ist auch wieder ein Problem.
    So etwas wieder gleich zu schalten und nicht nur für eine fachliche Übereinstimmung, sondern eine politische und Haushaltsübereinstimmung auch zu sorgen, da müssen wir schön große Hürden gemeinsam nehmen. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, dass es an der Bereitschaft hapert, es ist halt auch viel Arbeit, die da vor uns liegt.
    Clement: Sie haben eine Fülle von Aufgaben genannt, die Sie jetzt haben. Das aktuelle Thema ist jetzt draufgekommen, mit den gesamten Flüchtlingsströmen. Ich könnte mir schon vorstellen, dass es da im Moment besonders knapst an allen Ecken und Enden. Haben Sie irgendwelche Wünsche an die Politik, die Sie jetzt kurzfristig erfüllen muss?
    Münch: Nun, wir sind ja direkt auch Teil des Themas "Erfassung von Flüchtlingen". Weil zur Erfassung von Flüchtlingen gehört auch die erkennungsdienstliche Behandlung, dass man eben auch sehen kann, ob sich ein Flüchtling an mehreren Stellen anmeldet oder eben nur an einer - wie es ja sein soll.
    All das, diese ganzen Fingerabdrucksysteme, laufen über das BKA. Und wir sind hier momentan aufgefordert, sehr schnell unsere Kapazitäten zu erhöhen, damit wir nicht zum Flaschenhals werden in diesem Gesamtthema. Das ist aber etwas, was wir auch diskutieren, diesen zusätzlichen Ressourcenaufwand, wie wir den stemmen.
    In den Ländern müssen wir sehen, gibt es einen sehr, sehr hohen Aufwand gerade im Einsatzbereich, der jetzt zu leisten ist. Wir werden das und wollen sicherstellen, dass das Flüchtlingsthema nicht dazu führt, dass man am Ende glaubt, die Polizei könne es nicht beherrschen. Das heißt, es gibt eine klare Priorisierung des Themas und dann fallen eben auch andere Einsätze mal hinten runter, sodass man Großverkehrskontrollen, wie jetzt den Blitzmarathon, dann auch absagt.
    Das ist natürlich ein Thema, das wir auf Dauer nicht durchhalten können. Also hier, glaube ich, muss man auch hinschauen: Wie stark belastet sind auch die Landespolizeien mittlerweile.
    "Polizei ist in der Lage mit dem Thema Flüchtlinge umzugehen"
    Clement: Also doch eine Auswirkung der aktuellen Lage auch auf die Innere Sicherheit?
    Münch: Ja, natürlich muss man solche Herausforderungen priorisieren. Aber ich glaube, momentan kann man sagen: Polizei ist in Deutschland in der Lage mit dem Thema umzugehen, aber wir müssen uns auch mittel- und langfristig darauf einstellen.
    Das tun wir im Übrigen auch, wir haben eine gemeinsame Projektgruppe, länderübergreifend, die sich mit den Auswirkungen beschäftigt, sodass wir uns auch organisatorisch, strategisch darauf einstellen und das besprechen wir im Übrigen auch international.
    Wir haben eine gemeinsame Konferenz hier verabredet mit den Staaten, die hauptbetroffen sind und wollen natürlich durch den Austausch auch lernen: Gibt es Fragen, die wir noch nicht gestellt haben? Gibt es Antworten, die wir noch nicht gefunden haben? Also wir werden hier uns mit Schweden, mit Dänemark, mit Österreich austauschen, um dann auch hier Antworten zu finden: Wie müssen wir Polizeiarbeit verändern, damit wir auch in Zukunft den Herausforderungen gewachsen sind?
    Clement: Herr Münch, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Münch: Gern geschehen.