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Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen
"Sicherheit kann nicht davon abhängig sein, wer dafür zahlt"

Das Bundesland Bremen will, dass sich die Bundesliga bei Risikopartien an den Polizeikosten beteiligt. Boris Pistorius, SPD-Innenminister Niedersachsens, hält das für falsch. "Wenn ein Veranstalter eine Veranstaltung durchführt, wie kann man ihn dafür haftbar machen für das, was auf den Wegen zu seiner Veranstaltung passiert", fragte Pistorius im DLF.

Boris Pistorius im Gespräch mit Sarah Zerback | 17.05.2017
    Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD).
    Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). (dpa-news / Holger Hellmann)
    Sarah Zerback: Wer zahlt für die Sicherheit bei Fußballspielen? - Darüber spreche ich jetzt mit Boris Pistorius (SPD), als Innenminister von Niedersachsen auch zuständig für den Sport dort. Guten Morgen, Herr Pistorius.
    Boris Pistorius: Guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: 425.718,11 Euro hat der fragliche Polizeieinsatz dort in Bremen gekostet, um den es heute geht - an nur einem Wochenende. Was spricht dagegen, dass sich die Liga an dieser Rechnung beteiligt?
    Pistorius: Zunächst mal spricht dagegen, dass wir in Deutschland eine klare Regelung haben. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und wird im Wesentlichen ausgeführt durch die jeweiligen Polizeien der Länder und des Bundes. Die haben die Aufgabe, im öffentlichen Raum für Sicherheit und für Ordnung zu sorgen.
    Zerback: Aber das bleibt ja so. Sicherheit und Ordnung bleiben ja staatliche Aufgaben. Es geht ja nur darum, wer die Rechnung zahlt.
    Pistorius: Aber genau das ist ja der Punkt. Darauf wollte ich ja gerade hinauskommen. Öffentliche Sicherheit und Ordnung herzustellen, kann nicht davon abhängig sein, wer dafür bezahlt und wer nicht. Was passiert denn in anderen Fällen, in denen nicht bezahlt werden soll künftig? Für mich ist die entscheidende Frage hier etwas anderes. Wenn ein Veranstalter eine Veranstaltung durchführt, wie kann man ihn dafür haftbar machen für das, was auf den Wegen zu seiner Veranstaltung passiert? Mit welcher Begründung will man das eigentlich tun?
    In den Stadien haben wir gemeinsam mit DFL und DSB in den letzten Jahren sehr viel erreicht, was Fanprojekte angeht, was Befriedung und Sicherheitstechnik angeht. Aber wenn gewaltbereite Anhänger von Vereinen auf den Wegen, teilweise zehn, 20 oder 100 Kilometer weg von den Veranstaltungsorten, von den Spielorten, randalieren und Straftaten begehen, mit welcher Begründung will ich dafür die Veranstalter in Haftung nehmen?
    "Das kann nicht der richtige Ansatz sein"
    Zerback: Vielleicht mit der Begründung, dass das fast jedes Wochenende vorkommt und immer wieder bei Fußballspielen.
    Pistorius: Ja, das stimmt. Aber erstens ist das keine aus meiner Sicht juristisch tragbare Begründung, weil es immer wieder vorkommt. Es muss ja klar sein, dass es dafür eine verlässliche rechtliche Grundlage gibt, die auch trägt und die dann uns auch klar machen muss, dass es dann auch andere Veranstaltungen treffen muss.
    Heute reden wir über Hochrisikospiele. Irgendwann werden wir noch teurere Polizei haben oder noch mehr Einsätze leisten müssen, aus anderen Gründen, und dann stufen wir das herab und sagen, wir sprechen nicht mehr von Hochrisikospielen, sondern von Risikospielen.
    Das kann nicht der richtige Ansatz sein. Wir müssen hin dazu kommen, dass diese Straftaten verhindert werden, dass es Reiseverbote gibt für gewaltbereite Anhänger von Vereinen. Das ist der richtige Weg. Aber die Vereine haftbar zu machen für das, was auf dem Weg passiert, und wir dürfen ja nicht vergessen, DFL und auch viele Vereine …
    DFL und Vereine zahlen auch Steuern
    Zerback: Sie haben jetzt ganz viele Punkte genannt, die wichtig sind, Herr Pistorius. Da müssen wir mal ganz kurz vielleicht rein, weil Sie haben gesagt, eine rechtliche Grundlage, die gibt es dafür bisher nicht. Dafür ist die Politik ja da, die kann ja geschaffen werden.
    Pistorius: Aber das ist eben nicht ganz so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Eine rechtliche Grundlage heißt ja, dass wir eine finden müssen, die das Gewaltmonopol des Staates definiert und jenseits dessen, was durch Steuern finanziert werden muss und finanziert wird, von den Veranstaltern bezahlt werden muss, obwohl die Gewalt zwar einen inhaltlichen Zusammenhang zu den Veranstaltungen hat, aber zum Teil ganz woanders stattfindet. Das ist schwer zu begründen und ich bin sehr gespannt, wie das Verwaltungsgericht damit umgehen wird. Das ist das eine.
    Und das andere, wir dürfen auch nicht vergessen: DFL und auch die Vereine zahlen doch auf ihre zugegebenermaßen hohen Umsätze und Gewinne vor allem ihre Steuern, so wie jeder andere auch. Sie zahlen Steuern, ich zahle Steuern, also haben wir einen Anspruch darauf, dass die Polizei ihre Arbeit macht, und zwar unabhängig davon, wer welche Veranstaltung durchführt.
    Zerback: Vor allen Dingen zahlen wir alle Steuern, egal ob wir nun fußballinteressiert sind oder nicht, und da profitiert dann der Fußball von. Aber was sagen Sie denn zum Beispiel der fußballuninteressierten Mutter, die dann für ihr Kind keinen Kitaplatz findet, weil dazu es dann an Geld fehlt, das an den Sport fließt?
    Pistorius: Erstens sind das völlig andere Töpfe, über die wir reden. Das eine sind kommunale Kassen und das andere ist der Landeshaushalt. Aber unabhängig mal davon: Es gibt viele öffentliche Bereiche, Bereiche im öffentlichen Leben, die von Steuern, von Steuern von allen für alle finanziert werden, obwohl nicht alle alles in Anspruch nehmen. Das liegt in der Natur der Sache. Die andere Variante wären Gebühren. Dann müssten wir unseren Staat gebührenfinanzieren, das geht aber auch nicht. Steuern werden von allen bezahlt, für alle Leistungen, die der Staat zu erbringen hat, auch wenn sie nicht von allen in Anspruch genommen werden. Das ist das Prinzip.
    "Situation in den Stadien ist besser geworden"
    Zerback: Jetzt haben Sie vorhin schon gesagt, es wird viel getan, um die Fans zu disziplinieren. Da gibt es viel Präventionsarbeit. Aber da muss man ja sagen, beim Blick auf fast jedes Wochenende, wenn ein Fußballspiel stattfindet in Deutschland, es funktioniert doch nicht.
    Pistorius: Das kann man so nicht sagen. Wie ich vorhin schon gesagt habe, ist die Situation in den Stadien in den letzten Jahren besser geworden. Wir haben immer noch Probleme mit der furchtbaren Pyrotechnik, aber in den Stadien selber ist es deutlich friedlicher geworden als noch vor fünf oder vor zehn Jahren. Und auch auf den Reisewegen hat sich was getan. Wir greifen immer härter durch gegen diejenigen, von denen wir wissen, dass sie vermutlich Gewalt ausüben. Wir sprechen Betretungsverbote aus und machen Meldeauflagen. Das tun wir schon. Aber da ist noch mehr Luft nach oben und da bin ich dafür, dass wir das konsequent tun. Das muss das Ziel sein.
    Zerback: Müssen Sie sich dann nicht auch trauen, den König Fußball in die Pflicht zu nehmen?
    Pistorius: Ich habe überhaupt gar kein Problem damit, den König Fußball in die Pflicht zu nehmen, und wir tun das ja auch. Der DFB und die DFL stecken inzwischen jedes Jahr zweistellige Millionenbeträge in Fanarbeit. Es ist also keineswegs so, dass da nichts geschehen wäre. Aber ich bleibe dabei: Die Sicherheit im öffentlichen Raum muss Polizei gewährleisten, und zwar in jedem Moment, und zwar unabhängig davon, wohin diejenigen, die die öffentliche Sicherheit gefährden, gerade unterwegs sind.
    Stellen Sie sich mal vor, das macht Schule; müssen wir bei Demonstrationen, wo gewalttätige Demonstranten auf dem Weg zur Demo etwas anstellen, dem Veranstalter der Demonstration auch eine Rechnung stellen? Oder bei großen privaten Gartenfesten oder Ähnlichem, wenn dort was passiert durch die Leute, die hinzukommen?
    Polizei steht vor Spielbeginn am Weserstadion
    Polizei steht vor Spielbeginn am Weserstadion (picture alliance / dpa, Carmen Jaspersen)
    Zerback: Ob die Dimensionen da vergleichbar sind, wenn wir uns anschauen, was das den Staat jedes Jahr kostet? 1,2 Millionen Euro pro Saison.
    Pistorius: Frau Zerback, der richtige Ansatz ist ja nicht die Höhe der Summe, sondern das Prinzip, was wir damit aufgeben, und darüber müssen dann Gerichte entscheiden. Wir warten das mal ab. Es muss klar sein, dass das ein Einstieg ist in eine komplette Veränderung unserer Finanzierung der öffentlichen Sicherheit. Wenn das einmal passiert, wird es Schule machen.
    Zerback: Der Bund der Steuerzahler spricht da jedenfalls von einem großen Missverhältnis, um das auch noch mal gesagt zu haben. Was ist denn jetzt Ihr Ansatz, um da in Zukunft bessere Ergebnisse zu erzielen, um rund um den Fußball alles friedlicher zu machen? Was muss da noch passieren?
    Pistorius: Das habe ich ja eben schon gesagt. Wir müssen weiter in den Stadien dafür sorgen, wir müssen die Fanprojekte weiter stärken und wir müssen vor allen Dingen eine noch stärkere Verfolgung hinbekommen …
    Zerback: Nicht im Stadion, sondern rund um das Stadion.
    Pistorius: Im Stadion ist das sowieso klar. Und rund ums Stadion? Noch mal, der Punkt ist doch der: Wenn eine Veranstaltung irgendwo stattfindet, können Sie doch den Veranstalter nicht ernsthaft dafür verantwortlich machen, was die Besucher der Veranstaltung woanders treiben. Da fehlt jede Verursachung. Da gibt es nur noch eine Verursachung für die stattfindende Veranstaltung, aber das ist auch schon die einzige Ursache, die der Veranstalter setzt. Er ist weder für die Rivalitäten verantwortlich, noch für die Kriminalität derjenigen, die sich da auf den Weg machen.
    Deswegen ist unsere Aufgabe als Polizei, jeden Schritt zu nutzen, jede Möglichkeit wahrzunehmen, diesen kriminellen Randalierern auf den Füßen zu stehen, immer wieder zu sagen, dass das nicht geht, dass wir sie bestrafen, dass wir ihnen verbieten, irgendwo hinzufahren. Wir müssen unsere polizeilichen Möglichkeiten nutzen. Und wenn das am Ende alles nicht hilft, dann müssen wir auch darüber mit den Vereinen und den Ligen sprechen, wie wir personalisiertes Ticketing hinkriegen in den Stadien, wenn es wieder schlimmer werden sollte, damit wir die Leute auch schon vor dem Verkauf gewissermaßen auf dem Schirm haben.
    Spiele verbieten - oder verlegen
    Zerback: Ihr Ansatz war ja in der Vergangenheit auch zu sagen, wenn der Staat die Sicherheit nicht garantieren kann, dann muss er Spiele verbieten. Das klingt jetzt in meinen Ohren aber auch schwer nach Kapitulation?
    Pistorius: Nein. Das war für mich mehr eine Schlussfolgerung aus dem, was Bremen jetzt auf den Weg gebracht hat. Ich bin überhaupt nicht der Auffassung, dass wir das tun sollten. Das ist nur die letzte, die Ultima Ratio, wenn Sie so wollen, dann wenn alles andere nicht mehr funktioniert. Wir bemühen uns ja zum Beispiel auch immer wieder und oft erfolgreich, Spiele dann zu verlegen, wenn es schwierig wird, weil andere Polizeieinsätze anstehen. Aber auch da kriegen wir in vielen Fällen mit DFL und DFB immer gute Kompromisse hin, beispielsweise am ersten Maiwochenende, oder an anderen, weil dann schon viele Polizeikräfte gebunden sind. Das funktioniert ja schon.
    Zerback: Bremen, das ja heute diesen Gerichtsstreit austragen wird, da wird ein erstes Urteil erwartet. Aber da werden auch weitere Instanzen folgen, es wird durch weitere Instanzen gehen. Auch das hat die DFL ja schon angekündigt. Wenn die nun in Bremen gewinnen, dann ist es ja so, dann könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden. Dann profitieren alle. Bleiben Sie dann bei Ihrer Meinung, oder ändern Sie die dann?
    Pistorius: Erstens glaube ich nicht, wie Sie schon gesagt haben, dass es bei einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen bliebe. Dann geht es sicherlich durch die Instanzen. Das heißt, wir reden über mindestens zwei, drei Jahre, bis eine endgültige Entscheidung gefallen ist. Ich sehe im Augenblick keine juristische Argumentation, die es mir erlauben würde, meine Meinung zu ändern. Und politisch bleibe ich dabei: Wir müssen ehrlich sein.
    Die Veranstaltung ist die Veranstaltung, aber das, was Kriminelle auf dem Weg dorthin machen, kann man nicht dem Veranstalter anlasten. Wenn das Verwaltungsgericht Bremen oder die letzte Instanz dann entscheidet, dass die Bremer Recht haben mit ihrem Vorstoß, dann wird das sicherlich zu einer öffentlichen Diskussion führen. Aber ich sehe wie gesagt im Augenblick noch nicht die Argumentation, die mich davon überzeugt, das dann auch zu machen.
    Zerback: Und Ihrem SPD-Parteikollegen wollen Sie da auch nicht den Rücken stärken?
    Pistorius: Bremen ist ein eigenes Bundesland. Wenn die diesen Vorstoß machen, dann ist das eine ganz normale Angelegenheit. Auch wir machen Vorstöße in anderen Bereichen. Ich teile die Auffassung nicht, aber ich akzeptiere, dass Bremen das tut.
    Zerback: … sagt Boris Pistorius von der SPD. Innenminister ist er von Niedersachsen. Besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Pistorius.
    Pistorius: Sehr gerne, Frau Zerback.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.