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Polizeigewerkschafter stellt Verfassungsschutz infrage

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert ein Zentralregister für Neonazis. Das sei richtig, aber längst Aufgabe des Verfassungsschutzes, sagt der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Der gebe aber keine Informationen an die Polizei weiter, sondern verfasse nur "nichtssagende Berichte".

Rainer Wendt im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 16.11.2011
    Tobias Armbrüster: Haben deutsche Verfassungsschützer jahrelang ein Auge zugedrückt, wenn es um Neonazis ging und um rechtsextreme Terrorgruppen? Eine Frage, die sich stellen muss, wenn man Revue passieren lässt, welche Details die vergangenen Tage ans Licht befördert haben. Da ist eine Terrorzelle aus Thüringen, die unerkannt in den Untergrund abtauchen konnte, da sind mehrere Morde an Ausländern, bei denen Ermittler jahrelang einen rechtsextremen Hintergrund ausgeschlossen haben. Tatsächlich hat man in diesen Tagen leicht den Eindruck, deutsche Ermittler seien auf dem rechten Auge blind. Werfen wir einen kurzen Blick in die Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahre.

    "Für das Bundesamt für Verfassungsschutz ist die Beobachtung des Rechtsextremismus ein Schwerpunkt der Arbeit. - Verfassungsschutzbericht 2008, Seite 5."

    "In der rechtsextremistischen Szene liegen weiterhin keine Hinweise darauf vor, dass eine ernsthafte Diskussion über die Anwendung terroristischer Gewalt geführt wird. - Verfassungsschutzbericht 2009, Seite 63."

    "Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar. - Verfassungsschutzbericht 2010, Seite 57."

    Armbrüster: Terror von rechts also nicht feststellbar. So weit ein kurzer Blick in die Verfassungsschutzberichte. Am Telefon können wir jetzt mit Rainer Wendt sprechen, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Schönen guten Morgen!

    Rainer Wendt: Guten Morgen! Hallo.

    Armbrüster: Herr Wendt, Bundesinnenminister Friedrich, wir haben es gehört, will jetzt ein eigenes Register für Neonazis, ähnlich wie eine Datei über gefährliche Islamisten, die ja bereits existiert. Ist dieser Vorschlag mehr als politischer Aktionismus?

    Wendt: Nein, das ist schon richtig und sehr notwendig. Aber Beitrag von Frank Cappelan (MP3-Audio) Ihr Kollege Cappelan hat natürlich völlig recht: Das kommt alles sehr spät. Es ist schon jetzt der gesetzliche Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zentralstelle der Verfassungsschutzämter der Länder, diese Informationen alle zusammenzutragen. Das heißt, Bundesinnenminister Friedrich beschreibt die gesetzliche Lage. Es wird dringend nötig, so etwas zu tun, damit wir ein umfassendes Lagebild über den Rechtsextremismus bekommen. Das hat aber keinen Wert an sich, wenn nicht auch die Strafverfolgungsbehörden von diesen Informationen profitieren, denn das ist ja wohl in der Vergangenheit nicht passiert.

    Armbrüster: Wieso hat denn beispielsweise Ihre Polizeigewerkschaft eine solche Forderung nicht schon viel früher erhoben?

    Wendt: Diese Forderung gibt es seit Anfang der 90er-Jahre, auch von der Deutschen Polizeigewerkschaft, die Informationen des Verfassungsschutzes zusammenzutragen und vor allen Dingen den Strafverfolgungsbehörden auch zur Verfügung zu stellen. Aber es hat auch starke politische Kräfte gegeben und es gibt sie nach wie vor, die immer und immer wieder die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz befürwortet und bekräftigt haben und auch dafür gesorgt haben, dass Informationen nicht so fließen, wie sie fließen sollen. Das darf man in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, wie im Übrigen die Tatsache, dass die Polizei jetzt sehr gerne über die Vorratsdatenspeicherung verfügen würde. Es wäre ein leichtes, wenn man die Telefonverbindungen der beteiligten Personen aus dem vergangenen halben Jahr hätte, jetzt herauszufinden, mit welchen Personen sie Kontakt haben. Das müssen sich auch diejenigen fragen lassen, die die Vorratsdatenspeicherung immer wieder verhindern.

    Armbrüster: Herr Wendt, in Fernsehkrimis sehen wir immer wieder, dass Polizisten schlechte Laune kriegen, sobald die Kollegen vom Verfassungsschutz auftauchen. Wie ist das in der Realität? Wie gut ist das Verhältnis zwischen beiden Seiten?

    Wendt: Es gibt keine gute Zusammenarbeit, oder es gibt überhaupt keine Zusammenarbeit. Das ist partiell, da wo man sich persönlich kennt, möglicherweise mal anders, aber es gibt keine Struktur der Zusammenarbeit, und genau daran mangelt es ja, denn die gewaltbereiten Rechtsextremisten werden ja zu politisch motivierten Staatsfeinden hochstilisiert. Das halte ich für falsch. Es sind schlichtweg Kriminelle, es sind Räuber und Mörder, und die muss man auch genauso behandeln, nämlich man muss das aufklären, man muss sie festnehmen und einsperren und man darf sie nicht einfach nur jahrelang beobachten, in irgendwelchen Berichten erfassen, die dann auch keine richtige Aussagekraft haben, sondern man muss sie strafrechtlich verfolgen. Das ist einfach nur handwerkliche Polizeiarbeit, aber genau das gehört an diese Stelle hin, denn es sind keine Politiker, es sind Verbrecher.

    Armbrüster: Was hat denn dann die Polizei für Fehler gemacht bei der Aufklärung dieser zehn Morde in den vergangenen 13 Jahren?

    Wendt: Die Polizei kann immer nur mit den Informationen umgehen, die sie bekommt, und auch nur mit den Instrumenten umgehen, die sie hat. Das heißt, möglicherweise hat die Polizei - und darauf deutet ja vieles hin - nicht die Informationen bekommen, die sie für eine wirksame Strafverfolgung braucht. Das heißt, wenn der Verfassungsschutz einmal im Jahr einen relativ nichtssagenden Bericht veröffentlicht und die Polizei ansonsten nicht mit den ausreichenden Informationen versorgt, dann kann die Polizei in der Tat nur sehr eingeschränkt tätig werden.

    Armbrüster: Aber die Polizei ermittelt doch selbst! Wir lesen zum Beispiel heute in einem Bericht im Kölner Stadtanzeiger, dass die Redaktion dort aufmerksam gemacht hat in den vergangenen Jahren auf zwei sehr große Übereinstimmungen zwischen einem Phantombild und einem bundesweiten Fahndungsfoto eines der Täter. Offenbar ist die Polizei dem nicht nachgegangen. Ist da möglicherweise auch die Polizei etwas zurückhaltend bei solchen Ermittlungen?

    Wendt: Ja das kann durchaus sein, weil man sich sehr auf die Verfassungsschutzbehörden verlässt und verlassen hat. Es ist außerdem so, dass die Polizei im Bereich der verdeckten Ermittlungen ausgesprochen eingeschränkt nur tätig werden kann. Es wäre hier natürlich sehr viel leichter als zum Beispiel bei islamistischen Terrorzellen, in diese rechts- oder auch linksextremistischen Zellen verdeckte Ermittler einzuschleusen, weil das nun mal Deutsche sind und weil wir dort ermitteln könnten. Aber die Möglichkeiten, verdeckte Ermittlungen zu führen, ohne zum Beispiel das Begehen szenetypischer Straftaten vortäuschen zu dürfen - das darf die Polizei nicht -, das ist ausgesprochen eingeschränkt. Das heißt, die Polizei verlässt sich und hat sich in der Vergangenheit viel zu sehr auf den Verfassungsschutz verlassen. Genau das muss sich ändern, das muss man selbstkritisch auch feststellen.

    Armbrüster: Woran liegt denn dieses schlechte Verhältnis zwischen den beiden Seiten?

    Wendt: Das hat etwas zu tun damit, dass auch politisch die Trennung dieser beiden Behörden immer wieder wie eine Monstranz vor uns hergetragen wird. Wir haben als Deutsche Polizeigewerkschaft Anfang der 90er-Jahre bereits gesagt, die Informationen müssen zusammengeführt werden, die beim Verfassungsschutz gewonnen werden, und wir haben das begrüßt, als das gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum hier in Berlin eingerichtet wurde. Damals haben diejenigen ganz, ganz laut protestiert, die jetzt danach rufen, dass man die Informationen von Polizei und Verfassungsschutz zusammenfügen soll. Es haben auch immer diejenigen protestiert, als wir gesagt haben, wir brauchen Vorratsdatenspeicherung, um das zu ermitteln, um das nachzuvollziehen, und jetzt werden von der Polizei rasche Ermittlungsergebnisse erwartet. Die Polizei ist nur so gut, wie die Gesetze und das Handwerkszeug sind, das man ihr zur Verfügung stellt. Das muss man den Kritikern dann auch schon mal sagen.

    Armbrüster: Ist das so, Herr Wendt, dass sich die Verfassungsschützer möglicherweise für etwas Besseres halten und die Polizisten für die soliden Ermittler?

    Wendt: Na ja, zuweilen hat man schon den Eindruck, die fühlen sich sehr, sehr geheim und erzählen sich noch nicht mal untereinander, was sie tun. Das halte ich in einem Rechtsstaat für unwürdig. Man muss sowieso im Anschluss an diese Aufklärung, die jetzt ja betrieben wird - glücklicherweise -, die Frage stellen nach der Existenzberechtigung einer Behörde, die mit fragwürdigen Methoden fragwürdige Erkenntnisse ermittelt und die dann auch noch nicht mal weitergibt, oder nur in nichtssagende Berichte schreibt. Das heißt, wir müssen auch eine Debatte über die Sicherheitsarchitektur an dieser Stelle führen und die Frage stellen, ob wir nicht besser mit klassischer Polizeiarbeit, also mit verdeckten Ermittlern, die mit vernünftigem gesetzlichem Instrumentarium ausgestattet sind, Vollprofis in der Strafverfolgung sind - denn genau darum geht es ja, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr und nicht einfach nur Beobachtung als Selbstzweck. Dieser Diskussion werden wir nicht ausweichen können und die sollten wir auch offen führen, denn der Verfassungsschutz mit seinen über 5000 Mitarbeitern, einem Etat von über 300 Millionen, der ist ja nicht neu, der ist 1923 erfunden worden, als es darum ging, die Weimarer Verfassung zu schützen. Also da ist es durchaus berechtigt, die Frage zu stellen, ob das heute in dieser Form noch so zeitgemäß ist, mit einer so Riesenbehörde eigentlich nur Straftaten zu beobachten.

    Armbrüster: Rainer Wendt war das, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Besten Dank, Herr Wendt, für das Gespräch.

    Wendt: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.