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Polizisten im "Bummelstreik"
Mordrate in Baltimore auf Rekordhoch

Die Stadt Baltimore ist in den Schlagzeilen, seit der Afroamerikaner Freddie Gray nach seiner Festnahme starb. Inzwischen wurden sechs Polizisten angeklagt. Die Moral ihrer Kollegen ist deshalb im Keller, sie machen offenbar nur noch Dienst nach Vorschrift - mit deutlichen Auswirkungen auf die Kriminalitätsstatistik.

Von Marcus Pindur | 26.05.2015
    Jugendliche in Baltimore attackieren am 25. April 2015 einen Polizeiwagen.
    Ein Polizist sagt, sein Einsatz bei den Unruhen in Baltimore gehöre zu den Tiefpunkten seiner beruflichen Karriere. (imago stock&people)
    Eine weitere Stadt in den USA muss sich einer Untersuchung des Justizministeriums wegen Polizeibrutalität stellen. Wie die "New York Times" berichtet, kommt jetzt Cleveland, Ohio, in den Fokus der Ermittler aus Washington. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft von Cleveland beschlossen, kein Verfahren gegen einen Polizisten einzuleiten, der zwei unbewaffnete Schwarze in ihrem Auto erschossen hatte. Daraufhin hatte es Proteste empörter Bürger gegeben. Die Polizei von Cleveland wird jetzt von unabhängigen Beobachtern des Justizministeriums unter die Lupe genommen, ähnlich wie dies auch bereits in Baltimore in Maryland geschieht.
    Dort ist unterdessen die Mordrate auf eine Rekordhöhe geschnellt. Allein im Mai hat es 35 Morde in Baltimore gegeben - das ist der höchste Stand seit 16 Jahren. Dies sei auf eine Art Bummelstreik der Polizei zurückzuführen, erklärte ein Polizist anonym gegenüber dem Nachrichtensender CNN.
    "Meiner Ansicht nach ist dies das direkte Resultat davon, dass sich die Polizisten bei der Verbrechensbekämpfung zurückhalten. Sie gehen nicht mehr auf Patrouille und verhalten sich passiv."
    Zwei Drittel mehr Schießereien
    Die Moral der Polizei sei nach der Anklage gegen sechs Polizisten wegen des Todes des 25-jährigen Freddie Gray auf einem Tiefpunkt angelangt. Freddie Gray war am 12. April von der Polizei festgenommen worden. Er wurde in einen Polizeitransporter gezerrt. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich der junge Mann während der Fahrt das Genick brach. Ein Polizist muss sich wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz verantworten. Drei Beamten wird Totschlag vorgeworfen, zwei weiteren Körperverletzung im Amt und grob fahrlässiges Verhalten.
    Seitdem ist die Anzahl der Schießereien um 66 Prozent gestiegen, die Zahl der Morde um 47 Prozent, wie die "Baltimore Sun" berichtet. Die Gewaltkriminalität ist nicht nur beschränkt auf die Problemviertel von West-Baltimore, wo es im April Proteste und Unruhen gegeben hatte. Der städtische Aufsichtsbeamte für die Polizei von Baltimore, Anthony Batts, gab unterdessen zu, dass es ein Problem mit den Beamten in West-Baltimore gebe.
    "Wir machen weiterhin viele Festnahmen, in der ganzen Stadt. Wir haben aber ein Problem mit den Polizisten in West-Baltimore, wo es die Unruhen gegeben hat."
    Festnahmen als Abschreckung
    Der anonyme Polizist will sich nach einem anderen Job umsehen. Sein Einsatz bei den Unruhen gehöre zu den Tiefpunkten seiner beruflichen Karriere, sagt er. Dabei sieht er durchaus, dass das Anliegen der Demonstranten Berechtigung habe.
    "Die Polizei von Baltimore hat eine ganz eigene Mentalität. Sie ist getrieben von der Statistik: Möglichst viele Festnahmen. Sie kümmern sich nicht allzu sehr um Verletzungen der Vorschriften. Die Polizeiführung glaubt, dass viele Festnahmen Verbrechen abschrecken."
    Das amerikanische Justizministerium hatte bereits Anfang Mai angekündigt, dem Verdacht von systematischen Bürgerrechtsverletzungen durch die Polizei in Baltimore nachzugehen. Eine ähnliche Untersuchung hatte nach den tödlichen Polizeischüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown im August 2014 in der Kleinstadt Ferguson eine systematische Benachteiligung und routinemäßige Schikanierung schwarzer Bürgern festgestellt.