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Polnische Geschichtsunterweisung

Der neue Film des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda rührt an ein noch immer heikles Thema in der Geschichte des Landes: das Massaker von Katyn, bei dem 1939 mehr als 22.000 polnische Offiziere, Intellektuelle und Geistliche starben. Als Polen nach dem Krieg zum Ostblock gehörte, hielt es lange die Lüge aufrecht, die Deutschen seien für das Massaker verantwortlich. Erst 1990 gestand Michail Gorbatschow die sowjetische Alleinschuld an Katyn ein.

Von Thomas Rautenberg | 17.09.2007
    Es sind die letzten Szenen des Films, die sich ganz tief ins Gedächtnis eingegraben haben. In den Wäldern von Katyn werden polnische Offiziere einer nach dem anderen aus dem Wagen gezerrt. Vor einem tiefen Erdloch bleiben die sowjetischen NKWD-Schergen mit ihren Opfern stehen, der Henker setzt seine Pistole am Hinterkopf des zum Tode Verurteilten an. Die Frage, die ein polnischer Major eben noch in sein Tagebuch notiert hatte, wird schon in der nächsten Sekunde ihre Antwort finden:

    " Sie haben uns in irgendeinen Wald gebracht. Was wird aus uns?"

    Über 25.000 Mal bellen die Pistolen der sowjetischen Mörder, und die Spuren von über 25.000 Polen sollten sich für lange Zeit in den Wäldern von Katyn verlieren.

    Fast 70 Jahre nach den Ereignissen von Katyn bringt nun Regisseur Andrzej Wajda mit seinem Film Licht in das dunkelste Kapitel der polnisch-russischen Vergangenheit. Es war nicht der fehlende Mut, sich dieses Themas anzunehmen, erklärt Wajda die langen Jahre des Schweigens:

    " Die polnische Filmschule lebte davon, dass es Schriftsteller gab, die Themen geschaffen haben, die auch für eine filmische Umsetzung geeignet waren. Das Thema Katyn aber hatte keinerlei Widerspieglung in der Literatur. Es war nicht existent. Sonst hätte man den Film schon am ersten Tag der Freiheit drehen können. Das Problem war die vollkommene Abwesenheit dieses Themas in der Literatur."

    Doch zurück zum Film, zurück zu den Opfern von Katyn. Der Kalender zeigt den 17. September 1939. Von Westen her marschieren deutsche Truppen in Polen ein. Und von Osten her näheren sich Stalins Soldaten. Die polnischen Menschen, Soldaten, Offiziere und Zivilisten geraten zwischen die Fronten. Auf einer Brücke versuchen Frauen und Kinder, Alte und Junge in entgegen gesetzte Richtung vor den heranrückenden Armeen zu flüchten. Ein Bild, das Symbolkraft in Wajdas "Katyn" -Film bekommen sollte - die ersten Opfer bei der Besetzung Polens nach dem Hitler-Stalin-Pakt waren nicht allein die polnischen Soldaten, sondern vor allem deren Frauen und Kinder, die von Stund an alles verloren. Ein Blickwinkel, der wohl Wajdas eigener Erfahrung geschuldet ist, schließlich starb auch sein Vater in den Wäldern von Katyn:

    " Die Frage für mich war: Wo ist meine Mutter, wenn ich einen Film über meinen Vater machen würde. Die Mutter war mir doch viel näher. Ich habe sie gesehen, wie sie gehofft hat, als der Name unseres Vaters nicht auf der Katyner Opferliste stand. Wie sie wartete, dass er zurückkommen wird. Ich dachte also, wenn man heute über das Katyner Verbrachen spricht, kann man dann die Katyner Lüge übergehen?"

    Wajda ließ die Lüge nicht aus, die sich immerhin über vier Jahrzehnte durch die damals kommunistische Volksrepublik Polen zog. Aber so dokumentarisch er den organisierten Mord in Szene setze, so oberflächlich bleibt der Film "Katyn" bei der Beschreibung menschlicher Schwächen, die Grundlage jeder Lüge bilden. Wajdas Hauptdarsteller scheinen ohne jeden Makel, ja manchmal sogar einem Heldenepos entnommen. Auch geht er nicht der Frage nach, warum sich polnische Offiziere bereit erklären, als überlebende Zeugen für die vermeintliche Täterschaft der deutschen Wehmacht zu fungieren. Dass Wajdas Film "Katyn" nicht zu einem Plakat wird, verhindern ergreifende Szenen, wie die von dem kleinen Mädchen, das ihren Vater, einen polnischen Major der Reserve sieht, wie er von NKWD-Leuten in den Zug getrieben wird.

    Die Kleine wird ihren Vater nie wieder sehen, denn das Ziel des Zuges sind die Wälder von Katyn. Regisseur Andrzej Wajda will es mit seinem Blick in die Vergangenheit allein nicht bewenden lassen. Zu offenkundig ist der Versuch der nationalkonservativen Politik in Polen, die Geschichte und damit auch Katyn als Wahlkampfthema auszunutzen. Präsident Lech Kaczynski, der seit zwei Jahren beinahe jeden Kontakt mit den russischen Nachbarn vermeidet, hat heute den Weg zu den Gedenkfeierlichkeiten nach Katyn gefunden. Die polnische Politik müsse endlich die richtigen Lehren aus der Vergangenheit ziehen, verband Andrzej Wajda daher einen Appell mit seinem neuen Film:

    " Die polnische Gesellschaft ist mutig, sie ist gehärtet und wie unsere Väter zum Tode, sind wir zur Solidarität bereit. Aber sehr selten finden wir Führungspersönlichkeiten, die fähig sind, etwas aus diesen Tugenden zu machen, damit Polen auf der europäischen Landkarte positiv hervorgehoben wird."