Aus den Feuilletons

Wenn man Deutsche als Kartoffeln beschimpft

Aufgehübscht: Kartoffeln bei einer Lebensmittelmesse in Berlin.
Auch keine Bio-Deutsche, sondern Südamerikanerin: Die Kartoffel © Imago Stock & People
Von Arno Orzessek · 24.07.2018
Der Fußballer Mesut Özil trat aus der Nationalmannschaft zurück und entfachte damit eine Diskussion über gescheiterte Integration und Rassismus - auch in den Feuilletons. Wie in der "Welt", die sich mit Beleidigungen gegen Deutsche wie "Kartoffel" auseinander setzt.
"Özil soll ein Vollidiot sein dürfen", titelt die TAGESZEITUNG eine Bemerkung der Journalistin Seyda Kurt zitierend, die für die TAZ ein Gespräch mit der Reporterin Gülseren Ölcüm führt. Und auch Ölcüm nimmt kein Blatt vor den Mund: "Mich hat die Diskussion um Mesut Özil fassungslos gemacht. Mich nervt, dass jeder meint, nun über Özil richten zu müssen. Egal, ob es um Sexismus oder Rassismus geht - die Leute ticken aus! Viele können nicht stehen lassen, dass ein Fußballspieler sagt, dass er aus der deutschen Nationalmannschaft austritt, weil er rassistisch angefeindet wurde. Man gesteht ihm die Erfahrung nicht zu und versucht sie zu relativieren. Ihm wird vorgeworfen, sich selbst zu einem Opfer zu stilisieren."
Letzteres ist richtig. Die Autorin und Bloggerin Tuba Sarica bezichtigt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG sogar weite Teile der deutsch-türkischen Community, sich in der Opferrolle einzurichten. Saricas Begründung: "Es ist einfacher, das Bild vom 'bösen Deutschen' aufrechtzuerhalten. Damit gibt man die eigene Verantwortung ab. Ich habe als Türkin, die Abitur macht, vielen deutschtürkischen Kindern Nachhilfe gegeben. Viele waren total demotiviert. Sie schoben es auf die deutschen Lehrer. Am Ende aber waren es ihre Eltern, die ihnen eingeredet hatten, dass sie als Deutschtürken sowieso benachteiligt würden. Mein Buch hat deswegen eine Botschaft an meine Landsleute: Ihr lebt in einem Land, in dem ihr eine Chance habt. Ergreift sie! Und übernehmt endlich die Verantwortung für euch!", fordert Tuba Sarica in der SZ.

Deutschland war nie ein Einwanderungsland

Wohingegen der Schriftsteller Zafer Senocak im Berliner TAGESSPIEGEL die, sagen wir, schon seit längerem hier Ansässigen für das größere Problem hält. "Seien wir doch ehrlich: Welcher Türke wächst in Deutschland nicht mit der Überheblichkeit seiner Umgebung auf, wenn es um seine Herkunft geht? Wer sich das gefallen lässt, genießt bei weltoffenen Menschen Ansehen, wer aber aneckt, findet sich sehr schnell in einem imaginären Anatolien wieder, das an deutschen Stammtischen öfters beschworen wird als in türkischen Wohnküchen. Hand aufs Herz: Deutschland war nie ein Einwanderungsland, und es ist aller Mühe zum Trotz auch nie eines geworden. Schon gar nicht für Menschen aus muslimischen Ländern. Und da beginnt der Rassismus", behauptet Safer Zenocak im TAGESSPIEGEL.
Die Tageszeitung DIE WELT begegnet dem Rassismus-Thema subtil-ironisch. Und zwar, indem sie unter dem überlebensgroßen Bild einer ungeschälten Kartoffel und der Überschrift "Deutsche Kartoffel" einen Artikel über Beleidigungen gegen Deutsche veröffentlicht.
"Schämen Sie sich eigentlich für Ihr Weißsein?", fragt die WELT-Autorin Marlen Hobrack. "Und ist Ihnen Ihre deutsche Dreckskultur manchmal unangenehm? Würden Sie lieber als 'Alman', als 'Biodeutscher' oder als 'Kartoffel' bezeichnet werden - oder gar als almanische Biokartoffel? Hauptsache, Sie sind jetzt nicht beleidigt! Weiße Deutsche, die beleidigt reagieren, sind die schlimmsten Almans."

Als Beleidigte besitzen wir eine Identität

Die WELT-Autorin Hobrack reflektiert hier auf eine TAZ-Kolumne der deutsch-iranischen Autorin Hegameh Yaghoobifarah, die regelmäßig über "Almans" ablästert - was Hobrack durchaus erkenntnisfördernd findet. "Wenn man die Kolumne liest und sich als Deutscher ordentlich beleidigt fühlt, wird plötzlich das kollektive Wir aus der Beleidigung geboren, nicht aus einem stolzen Gefühl der Überlegenheit. Also: Wir sind die Beleidigten. Und als solche besitzen wir eine Identität.
Wir Biokartoffeln reagieren letztlich - wie schwarze Lesben, transsexuelle Alleinerziehende und genderfluide Juden - auf Ressentiments und Anfeindungen mit einem beleidigten, empfindlichen, dafür aber umso gewichtigeren 'Wir'. Yaghoobifarah führt uns vor Augen, was zu beschreiben so schwierig ist: Nämlich wie eine rassistische, ausgrenzende Beleidigung wirkt."
Das war’s für heute, liebe Bio- und Importkartoffeln! Das beste, was wir aus uns machen können, ist zweifellos Kartoffelsalat.
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