Donnerstag, 18. April 2024

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Polnischer Botschafter zu Justizreform
"Ich würde eine Nachbesserung nicht ausschließen"

Der polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, schließt Korrekturen bei der umstrittenen Justizreform in seinem Land nicht aus. Es müsse aber fundierte Gespräche zwischen Juristen aus Polen und der EU-Kommission geben, so der Botschafter im Dlf. Den Besuch von Premierminister Morawiecki in Brüssel verstehe er "als eine Bitte um Dialog".

Andrzej Przyłębski im Gespräch mit Sabine Adler | 14.01.2018
    Andrzej Przyłębski, Botschafter der Republik Polen
    "Ich sehe Bereitschaft in der deutschen Regierung, der deutschen Politiker, uns so ein bisschen besser, ernsthafter zu betrachten", sagte der polnische Botschafter Andrzej Przyłębski im Dlf-Interview der Woche (Botschaft der Republik Polen, Dariusz Pawłoś)
    Sabine Adler: Sehr geehrter Herr Botschafter, Sie sind von Haus aus Philosoph, haben Kant, Hegel, und Heidegger studiert. Sind Sie da eher positiv eingestellt im Verhältnis zu Deutschland oder vielleicht auch eher kritisch?
    Andrzej Przyłębski: Eher positiv, würde ich sagen, weil ich Anhänger dieser philosophischen Linie bin und lebte lange Zeit in Deutschland. Hatte vor allem Kontakt zu akademischen Gremien, aber war auch fünf Jahre lang Diplomat. Zunächst in Bonn drei Jahre und zwei Jahre in Berlin. Das heißt, diese Welt kenne ich auch ein bisschen. Und ich hatte das Angebot angenommen, als ich angerufen wurde, ob ich die Regierung vertreten könnte, auch aus philosophischen Gründen, würde ich sagen, weil ich dachte, Deutschland ist ein Land der Philosophen – Dichter und Philosophen. Da spielt Argumentation eine große Rolle und ich würde mich vielleicht mit guten Argumenten durchsetzen können.
    "Sobald PiS-Regierung an die Macht kam, wurde sie kritisiert"
    Adler: Das werden wir gleich mal sehen.
    Przyłębski: Ja.
    Adler: Herr Botschafter, immer, wenn die Partei "Recht und Gerechtigkeit" in Warschau die Regierung übernimmt – das hat sie jetzt getan, zum zweiten Mal seit 2015 –, immer dann wird das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau ein gespanntes, gibt es, ja, sagen wir mal vorsichtig, nicht nur positive Töne aus Warschau in Richtung Berlin. Was hat Berlin dieses Mal falsch gemacht, dass die Regierung wieder so verärgert ist über Deutschland?
    Przyłębski: Das hängt nicht so sehr mit Deutschland, das hängt damit zusammen, dass wir mit den Ergebnissen der Wende in Polen nicht zufrieden - also, ich meine "wir", PiS-Partei - nicht zufrieden sind. Es gab bei uns diesen Runden Tisch für Erledigung des Erbes des Kommunismus sozusagen. In Polen war das ein fauler Kompromiss – mit Kommunisten. Das heißt, zum Runden Tisch wurde nur ein Teil von Soldidarność-Bewegungen zugelassen. Und das Ergebnis war ein solches, dass wir quasi parasitär Kommunisten in verschiedenen Organisationen, verschiedenen Institutionen hatten. Die haben auch viele Banken und ähnliche Sachen übernommen und haben quasi die Bedingungen diktiert für die Zeiten, die nachher waren.
    Adler: Ganz kurz noch.
    Przyłębski: Ja.
    Adler: Habe ich das richtig verstanden, "parasitär übernommen"?
    Przyłębski: Ja, in dem Sinne, dass sie sich nicht so streng an die Wirtschaft gehalten haben. Sie haben die Wirtschaft belastet durch Beziehungen, verschiedene Machenschaften. Und die Entwicklung Polens war langsamer als die Entwicklung zum Beispiel von Tschechien oder Slowakei oder Ungarn. Das haben sie ein paar Jahre später festgestellt und wollten zurück zu originärem Solidarność-Projekt. Das heißt, dass die ganze Gesellschaft von der neuen wirtschaftlichen, politischen Lage profitiert, und dass es nicht zur Spaltung kommt, wo es so eine reiche Schicht und eine sehr arme Schicht gibt von Leuten, die sozusagen zwölf Stunden am Tag arbeiten und die sich keine Wohnung leisten können, keine Familie gründen können usw. Insofern …
    Adler: Und was hat das alles mit Deutschland zu tun?
    Przyłębski: Ja, eigentlich nichts. Nur Deutschland, für Deutschland waren diese Regierungen – am Ende mit Frau Kopacz oder mit Herrn Tusk – sehr, sagen wir, positiv waren sie unterstützt von Deutschland, auch von westlichem Europa. Und sobald eine Regierung wie die PiS-Regierung an die Macht gekommen ist, wurde sie kritisiert als Kurswechsel usw. von der guten europäischen Richtung. Und deshalb, als diese Kritik aus Deutschland kam, kommt es zum Ressentiment gegenüber Deutschland. Ja. Das ist nicht so, dass man am Anfang gegen Deutschland ist. PiS-Regierung will eigentlich so einen effektiven Staat aufbauen, wie es der deutsche Staat ist. Ja. Der Staat soll endlich die Bevölkerung betreuen – in verschiedenen Formen, Sicherheit usw., wie es der deutsche Staat ist.
    Adler: Aber welche Äußerungen waren es, die Ihnen vielleicht in Erinnerung sind vonseiten der Bundeskanzlerin, von Angela Merkel, in Bezug auf die neue polnische Regierung, wo Sie gesagt haben, die neue polnische Regierung wird schon von vornherein von der Bundesregierung kritisiert? Was waren das für Äußerungen?
    Przyłębski: Am Anfang waren das vielleicht nicht so sehr die Aussagen der Politiker. Politiker haben gesagt: "Wir ziehen uns zurück." Aber die Europäische Kommission hat angefangen anzugreifen. Und man interpretiert – richtig oder falsch –, dass Berlin großen Einfluss auf Brüssel hat. Das ist das eine. Das Zweite war: deutsche Medien. Die haben von Anfang an diese Regierung als national, katholisch und populistisch. Diese drei Wörter waren führend, würde ich sagen, in Pressemitteilungen.
    Adler: Also, national …
    Przyłębski: Nationalistisch sogar, ja, nicht nur… Nationalistisch. Ja.
    Adler: "Katholisch" ist auch kein Schimpfwort. Also …
    Przyłębski: Aber das wurde quasi als Schimpfworte … katholisch als nicht fortschrittlich genug. Nationalistisch – ‚wir leben in einem postnationalen Zeitalter und die Polen wollen zurück zum Nationalen‘ usw.
    "Wir werden selbst beobachten, ohne Europäische Kommission, wo eventuell Fehler sind"
    Adler: Herr Botschafter, wenn ich mich recht erinnere, entzündete sich die erste Kritik an der Justizreform an der Veränderung der Berufung von drei Verfassungsrichtern, die eigentlich schon benannt waren. Damit begann die Justizreform. Und das war eine Kritik, die nicht von Deutschland initiiert wurde, transportiert, exportiert wurde nach Polen, sondern die innerhalb der polnischen Gesellschaft ja ganz genauso geäußert wurde. Das heißt also, es ist eine Kritik an der Justizreform vor allem, die sowohl innenpolitisch die Menschen auf die Straße gebracht hat, aber auch von der Europäischen Union kritisiert wurde. Wir erinnern uns an die Venedig-Kommission, die geprüft hat, wie weit diese Reform mit den Standards übereinstimmt. Und sie ist dazu gekommen, dass sie nicht übereinstimmt. Das heißt also, ist Kritik sozusagen immer schon Gegnerschaft? Wird das als Gegnerschaft in der PiS-Regierung aufgefasst?
    Przyłębski: Ich würde das ein bisschen anders sehen. Nämlich die Justizreform hat mit der Zusammenführung von zwei Ämtern angefangen, noch vor dieser Sache mit dem Verfassungsgericht, nämlich des Generalstaatsanwaltes und des Justizministers.
    Adler: Des Justizministers.
    Przyłębski: Das war verbunden in der Zeit, als wir der EU beigetreten sind. Und das wurde akzeptiert. Dann mit der PO, mit der Tusk-Regierung wurde das getrennt. Das war ein Experiment, das nicht gelungen war. Wir haben vielleicht keine Zeit, um das zu erklären. Und man hat sich entschlossen, diese Sache zurückzuführen. Und das ist effektiv. Aber das wurde kritisiert als Verletzung der Gewaltenteilung. Dann kam Verfassungsgericht. Aber das war am Anfang noch keine Reform. Das war die Wahl der fünf neuen Richter, zunächst fünf, auf Vorrat sozusagen. Von dem Parlament, das bald aufgelöst werden sollte, weil die Wahlen kommen sollten. Und das war gegen alle Regeln. Und dann gab es einen Versuch, drei von diesen fünf zu retten. Versuch der Tusk-Partei sozusagen, damit das Verfassungsgericht noch lange Zeit das Übergewicht der Richter hatte. Dazu muss ich sagen, das Verfassungsgericht hat in Polen quasi als eine dritte Kammer funktioniert – bis zu diesem Zeitpunkt. Und die wussten das. Und die wollten das. Mit dem Verfassungsgericht können sie auch die Reformen von PiS-Regierung blockieren. Und deshalb musste das irgendwie gebrochen werden. Und erst danach gab es ein neues Gesetz über Verfassungsgericht.
    Adler: Herr Botschafter …
    Przyłębski: Damit das Verfassungsgericht zur ursprünglichen Rolle kommt und nicht als dritte Kammer im Parlament, nicht offiziell.
    Adler: Herr Botschafter, wir haben ganz viel über die Justizreform berichtet. Sie war immer wieder Thema. Die Kritik daran ist nicht verstummt, auch jetzt zwei Jahre später eigentlich nicht. Das Problem ist nicht gelöst. Es gibt sogar ein Verfahren jetzt in der Europäischen Union. Wird es mit dem neuen Premierminister Mateusz Morawiecki ein Einlenken geben? Wird es da eine Nachbesserung geben? Ist das das, was Sie erwarten?
    Przyłębski: Vielleicht. Ich würde das nicht ausschließen. Aber in dieser Form, dass es zunächst zu einem wirklich – sagen wir – wissenschaftlich fundierten Dialog kommt zwischen – sagen wir – Europäischer Kommission und Juristen in dieser Kommission und unseren Juristen. Und sie werden argumentativ, sagen wir, diese Grundsätze oder Prinzipien, die wir verletzen, zunächst feststellen als geltende. Und dann zeigen sie uns, wo wir sie verletzen. Dann wären wir bereit, wahrscheinlich Korrekturen in unseren Gesetzen vorzunehmen. Aber diese Gesetze funktionieren schon jetzt. Und wir werden selbst beobachten, ohne Europäische Kommission, wo eventuell Fehler sind, damit wir sie korrigieren. Jedenfalls in diesem Moment sehen wir keine Verletzungen, sowohl der Grundverfassung, der polnischen Grundverfassung, wie auch der europäischen Werte. Also, das ist immer ausgegeben als Verletzung der Werte. Und sie wissen, was Werte sind.
    Adler: Verstehe ich Sie richtig, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Warschau durchaus bereit ist, im Dialog mit Brüssel jetzt über die Justizreform noch mal ins Gespräch zu kommen?
    Przyłębski: Ich interpretiere den Besuch von Premierminister Morawiecki in Brüssel als eine Bitte um echten Dialog. Aber es kann nicht so sein, dass unsere Antwort auf die Vorwürfe von Brüssel in zwei Stunden erledigt wird. Wenn wir ein Papier mit 20 Seiten liefern, dann kann man nach zwei Stunden nicht sagen, das ist nichts. Dann müssten wenigstens zwei Wochen studiert werden. Und wir sind nicht so positiv zur Europäischen Kommission, auch zur Venedig-Kommission eingestellt, wie es Deutschland ist. Unserer Meinung nach sind diese Reformen ein Mix, eine Mischung aus verschiedenen Lösungen, die in Westeuropa. Es gab …
    "Wir unterscheiden Flüchtlinge von wirtschaftlichen Immigranten"
    Adler: Jetzt würde ich gerne doch den Schritt wegmachen von der Justizreform. Sie hören das Interview der Woche des Deutschlandfunks mit dem polnischen Botschafter in Berlin, Andrzej Przyłębski. Herr Botschafter, ein anderes Thema, einen anderen Streitpunkt mit Brüssel gibt es immer noch. Es geht um die Flüchtlingsfrage. Der europäische Gerichtshof wird sich mit der Entscheidung Warschaus, aber auch Tschechiens, also Polens, Tschechiens und Ungarns befassen, die zugewiesenen Quoten von Flüchtlingen nicht aufzunehmen. Ist da Bewegung zu erwarten mit der neuen Regierung?
    Przyłębski: Wir haben eine ziemlich klare Linie. Zunächst oder zu allererst unterscheiden wir Flüchtlinge von wirtschaftlichen Immigranten. Das wird in Deutschland fast nie gemacht, obwohl der Präsident Steinmeier in Mainz das so quasi laut, zum ersten Mal, glaube ich, festgestellt hat. Und wir sind bereit, echte Flüchtlinge aufzunehmen. Und wir nehmen sie auch auf. Und da …
    Adler: Ist uns was entgangen?
    Przyłębski: Nein. Aber ich meine, es gibt eine Grenze, Schengen-Grenze zum Osten, zu Weißrussland, zur Ukraine und es kommen auch Flüchtlinge von dort – Tschetschenien, Ukrainer aus dem Kriegsgebiet. Und die werden in Häuser, in Lager an der Grenze gebracht. Und das heißt, diese Flüchtlinge, die echte, der Definition nach echte Flüchtlinge sind. Weil Flüchtling ist man im ersten Land hinter der Grenze, wo dann ein Krieg oder was Ähnliches passiert. Und wir sind nicht so bereit, Flüchtlinge, die hier massenhaft eben aus Syrien oder Nordafrika nach Deutschland kommen … Und die wollen auch nach Deutschland.
    Adler: Also, jetzt müssen wir zwei Sachen sortieren. Sie sagen, Sie sind bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, aber de facto nimmt Polen keine Flüchtlinge auf. Also, wie wird die neue Haltung sein?
    Przyłębski: Nein, wir haben Flüchtlinge. Wir haben Anträge jetzt, als Premier Morawiecki …
    Adler: 5.000 insgesamt – 5.000 Anträge, wenn ich das richtig sehe.
    Przyłębski: Ja. Aber das ist ziemlich viel. Ja? Oder?
    Adler: Gut, das ist immer eine Frage, wie man draufschaut.
    Przyłębski: Ja, aber grund …
    Adler: Also, noch mal zurück.
    Przyłębski: Ja.
    Adler: Also, es gibt den Europäischen Gerichtshof. Es wird diese Grundsatzentscheidung bewertet werden, ob diese Weigerung, Flüchtlinge per Quote aufzunehmen, rechtmäßig ist, ob Polen, Ungarn und Tschechien damit durchkommen. Die Regierung in Warschau hat sich ja wahrscheinlich irgendeinen Plan B überlegt. Wie könnte der aussehen?
    Przyłębski: Dass wir einen anderen Weg des Umgangs mit dem Problem bevorzugen, nämlich Hilfe vor Ort. Weil wir auch feststellen, dass der Krieg in Syrien langsam zu Ende geht. Viele von diesen Leuten konnten zurückkommen. Viele Spezialisten aus diesem Land sind jetzt in Deutschland und werden in Deutschland wahrscheinlich bleiben. Sogenannter "brain drain", dass es dort in Krankenhäusern ein oder zwei Ärzte gibt und die anderen sind in Deutschland.
    Adler: Deutschland holt die Flüchtlinge ja nicht.
    Przyłębski: Ja, aber das ist große Anziehungskraft, dass die … vor zwei Jahren …
    Adler: Noch mal zurück.
    Przyłębski: Ja.
    "Wir haben keine Erfahrung mit Terroristen aus islamischen Regionen umzugehen"
    Adler: Was macht Polen? Das war die Frage.
    Przyłębski: Ja. Polen zahlt Geld für den Wiederaufbau des Landes. Das ist immer mehr. Das ist jetzt, glaube ich, fünfmal so viel wie die PO-Regierung gegeben hat. Das wird immer mehr. Polen hat Missionen, vor allem katholische oder kirchliche Missionen mit Leuten, die vor Ort helfen. Sie bauen Schulen auf – auch mit der Hilfe von Deutschland. Also, es gibt gemeinsame Projekte.
    Adler: Es gibt ein Projekt, ein gemeinsames Projekt, ja.
    Przyłębski: Gut, aber das ist der Weg, dass diese Leute zurückkehren, und dass sie nicht hier irgendwelche Lücken in Arbeitskräften …
    Adler: Jetzt reden wir über die Rückkehr. Da ist das Problem ja quasi schon gelöst. Es geht auch, Sie haben es vorhin gesagt oder gerade eben gesagt, auch um Ursachenbekämpfung für Fluchtwellen. Also, warum wollen Menschen ihre Länder verlassen? Was tut Polen da und wo tut es was?
    Przyłębski: Ja, Polen will sich engagieren in Afrika zum Beispiel. Wir haben festgestellt, dass die Initiativen von Frau Merkel … Weil Afrika ist wahrscheinlich jetzt die größte Quelle.
    Adler: Das ist richtig, aber dass sie wollen, haben schon viele erklärt.
    Przyłębski: Ja, aber wir warten auf Deutschland, auf die Initiative. Wir werden uns gern anschließen. Unsere Möglichkeiten sind viel kleiner. Und wir waren auch keine Kolonialmacht. Also, in dem Sinne …
    Adler: Die war Deutschland nun auch nicht in Afrika, jedenfalls nur sehr begrenzt.
    Przyłębski: Begrenzt war es auch, ja. Und Namibia ist ein sehr schlechtes Beispiel, wie Sie wissen, für diese Kolonisierung.
    Adler: Nun ist das ausgerechnet nicht das Land, aus dem die Flüchtlinge kommen. Aber …
    Przyłębski: Ja, aber wie Sie wissen, die größte Gefahr ist eigentlich aus Afrika, und zwar nicht aus Kriegsgebieten, sondern aus Hoffnungslosigkeit der jungen Menschen.
    Adler: Völlig richtig.
    Przyłębski: Ja. Und da müssen wir Europäer, vielleicht mit Amerikanern und China eine Lösung finden, damit sich dort Wirtschaft entwickelt. Und da sind wir bereit, in allen möglichen Projekten, die in Deutschland, Frankreich ausgedacht werden, zu partizipieren. Das ist klar. Auch finanziell, auch mit den Leuten, ja.
    Adler: Es geht ums Geld. Es ging in Brüssel in dieser Woche zum ersten Mal um die neue siebenjährige Finanzplanung ab dem Jahr 2021. Und da gab es eine Überlegung, die Günther Oettinger, der Haushaltskommissar, zumindest mal zu bedenken gegeben hat, nämlich, dass die Verteilung von Mitteln, das Gewähren von Mitteln auch an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien gebunden werden könnte. Das ist eine Überlegung. Das ist kein Beschluss und Oettinger allein entscheidet das ja auch nicht. Wie schaut Polen auf solche Erklärungen zu Beginn von Finanzverhandlungen?
    Przyłębski: Wir sehen, dass Herr Oettinger seine Meinung ab und zu verändert. Und neulich hat er gesagt, dass es eigentlich unmöglich ist, finanziell die Länder zu bestrafen. Mal sehen, wie das auskommen wird. Wir stellen fest, dass es nicht nach einem Vertrag möglich ist, diese Mittel anzuwenden in diesem Fall. Und wir hoffen, dass sich …
    Adler: Also, dieses Druckmittel meinen Sie?
    Przyłębski: Ja, dieses Druckmittel, ja. Wir hoffen, dass sich die Europäische Kommission und auch der Europäische Rat davon zurückziehen wird. Aber, wenn es dazu kommen würde, dann müsste man wahrscheinlich das in Polen akzeptieren. Also, Sicherheit ist uns wahrscheinlich wichtiger im Land, die sogar mit 7.000 sogenannten Flüchtlingen oder eher wirtschaftlichen Migranten nicht gewährleistet werden kann. Wir haben keine Erfahrung mit Islamisten, mit Terroristen aus islamischen Regionen umzugehen, sie zu kontrollieren. Das wäre für uns sehr gefährlich. Das ist das eine. Das Zweite ist …
    Adler: Verstehe ich das richtig, also Sie sagen, Sie verzichten lieber auf Geld, als in die Situation zu kommen, 7.000 Flüchtlinge aufnehmen zu müssen?
    Przyłębski: Diesen Eindruck habe ich. Das ist keine offizielle Stellungnahme, aber diesen Eindruck …
    Adler: Das ist der Eindruck, den Sie von Ihrer Regierung haben?
    Przyłębski: Ja. Ich höre immer, dass wir, ja, von dieser Position nicht zurücktreten werden. Ja.
    "Wir hören, dass Deutschland Reparationen gezahlt hat an verschiedene Länder"
    Adler: Es gibt eine andere Überlegung, die Donald Tusk, der Ratspräsident der Europäischen Union, angestellt hat in dieser Woche in einem Interview einer polnischen Wochenzeitung gegenüber. Das war die Vermutung, dass Polen nur solange Mitglied der Europäischen Union bleibt, wie es Nettoempfänger ist. Sobald Polen mehr geben muss nach Brüssel als es bekommt, ist es vorbei mit einer polnischen Mitgliedschaft. Hat er da Recht? Gibt er damit …
    Przyłębski: Nein, nein. Polen ist, die polnische Bevölkerung ist sehr proeuropäisch und wir empfanden uns immer als europazugehörig. Und diese Aufstände, die wir hatten zehn Jahr lang im Kommunismus, waren aus diesem Grund, dass wir plötzlich in einem östlichen Lager bei den Tataren sozusagen gelandet sind. Und wir wollten zurück zu Europa. Aber wir wollen das neue Europa auch mitgestalten. Das heißt, Brexit ist für uns ein Signal, das jetzt falsch gedeutet wird in Westeuropa. Und wir wollen einen echten Dialog. Und wir wollen auch, dass der östliche Teil von Europäischer Union eine Stimme bekommt.
    Adler: Es heißt immer, Polen will Europa, aber Polen will ein anderes Europa. Kann das dazu führen, dass wir am Ende doch das Kerneuropa mit dem Euro haben und dann vielleicht, ich sage es mal, ein Visegrád-Europa haben?
    Przyłębski: Nein, aus dem Grund auch, dass die Slowakei zum Beispiel zur Euro-Zone gehört.
    Adler: Gut.
    Przyłębski: Ja.
    Adler: Damit stimmt der Begriff dann nicht.
    Przyłębski: Ja. Aber ich glaube, Europa muss zur Besinnung kommen. Also, diese Beschleunigung der Integration, dieses postnationale Zeitalter, das ist eine falsche Richtung. Dagegen werden nicht nur Polen und Ungarn, aber auch andere Völker protestieren.
    Adler: Das ist auch in Deutschland umstritten, wie Sie wissen.
    Przyłębski: Ja. Ja, ich habe irgendwo hier einen Artikel eines bekannten deutschen Soziologen, der sagt: ‚Deutschland denkt aufgrund eigener Geschichte, dass man sich von Nation verabschieden kann, aber es ist falsch.‘ Also, das ist vielleicht nur für Deutschland so ein Gedanke. Aber auch in Deutschland verhalten sich viele Menschen so, als ob sie dem nicht geglaubt hätten.
    Adler: Herr Botschafter, ich möchte noch unbedingt ein Thema ansprechen, was ja nachhaltig für, sagen wir mal, Besorgnis gesorgt hat. Das ist noch mal die polnische Forderung nach Reparationszahlungen. Da kursieren Zahlen von 1,8 Billionen Euro bis sogar fünf Billionen. Das hat "Sieci", ein Internetportal, veröffentlicht. Also, es sind sehr, sehr große Summen. Ist das Rhetorik? Ist das sozusagen ein bisschen Säbelrasseln, die Reparationszahlungsforderung? Oder hat das einen ernsten Hintergrund? Und wie werden Sie da weiter vorgehen?
    Przyłębski: Es gibt, wie Sie wissen, einen Ausschuss im Parlament unter der Leitung von dem Abgeordneten Mularczyk, der die Sache vor Ort, also in Polen in Archiven überprüft. Neulich hat er Materialien vom polnischen Fernsehen bekommen zu Vernichtungen des Landes. Er war auch in anderen Archiven. Er war auch in Griechenland und besucht auch Botschafter anderer Länder, die ähnliche Ansprüche hatten oder nach wie vor haben. Das Problem mit Polen ist, dass das Niveau der Vernichtungen so gewaltig ist. Und deshalb diese Summen, die da rauskommen. Welche von diesen Summen so echt sind, ich weiß es nicht. Das wird vielleicht erst in Monaten oder Jahren abgerechnet. Aber wir hören, dass Deutschland Reparationen gezahlt hat an verschiedene Länder nach dem Krieg. An Polen nicht, aufgrund verschiedener historischer Sachen. Verbundenheit Polens mit Russland usw. Und dass Polen nur ein oder zwei Prozent in verschiedenen Formen von dieser ganzen Summe bekommen hat. Und das ist nicht proportional zu Vernichtungen, die wir hatten.
    Adler: Jetzt wissen wir auch, dass dieses Thema noch mal eine Rolle gespielt hat im Zuge der Wiedervereinigung in den Zwei-plus-Vier-Verträgen, und dass es international eine Einigung gab, dass diese Reparationsforderungen ein für alle Mal abgeschlossen sind. Das heißt, Polen würde jetzt ein großes Fass noch mal neu aufmachen. An welche Instanz können sie sich denn wenden oder würden sie sich wenden?
    Przyłębski: Das ist ein Problem. Welche Instanz könnte da passen? Man spricht über amerikanische Gerichte. Ich weiß nicht, inwiefern das effektiver sein könnte. Aber noch zu Ihrer Frage, weil die Voraussetzungen vielleicht falsch waren. Also, das heißt, es wurde darüber geschwiegen. Nirgendwo wurde geschrieben in diesen Zwei-plus-vier-Verhandlungen, dass die Entschädigungssachen usw. erledigt werden. Man hat das angenommen auf …
    Adler: Polen ist angehört worden im Zuge dieser Verhandlungen.
    Przyłębski: Was wir wissen, was jetzt festgestellt wurde – und das ist in Deutschland gar nicht bekannt – dass Bundeskanzler Kohl auf die Frage vom amerikanischen Präsidenten, was mit den eventuellen Entschädigungen für Polen ist, hat er gesagt: ‚Das ist erledigt, weil wir haben denen so viel bezahlt und die Kommunisten haben das quasi gestohlen.‘ Das war total falsch. Die Summe, die er genannt hat, war falsch. Das war vielleicht hundertmal so viel, wie wirklich Deutschland in verschiedenen Formen für zum Beispiel Gefangene in Konzentrationslagern hier in Ravensbrück oder so bezahlt hat. Also, Kohl hat absichtlich eine falsche Aussage gemacht, damit der amerikanische Präsident das vom Tisch hatte. Und das wurde jetzt festgestellt. Man hat das in Dokumenten gefunden. Das ist in Deutschland gar nicht bekannt.
    "Die deutsch-polnischen Beziehungen sind nicht schlecht"
    Adler: Nun ist die Frage, erstens müsste man es prüfen, zweitens ist dann natürlich die Frage: Was kann man jetzt machen, wenn solche Verhandlungen abgeschlossen sind und nun auch seit 27 Jahren Realität sind? Am Ende hat man das Gefühl, dass Warschau in seiner Ablehnung der deutschen Kritik eben antwortet mit dieser Forderung. Dass es ein Instrument ist.
    Przyłębski: Dieser Eindruck ist berechtigt. Ob er wahr ist, das ist schwer zu sagen. Aber in dieser Frage unterscheide ich zwei Sachen. Also, die Entschädigung für den Staat, da können sie vielleicht diplomatisch irgendwie anders die Sache erledigen. Das weiß ich nicht. Aber es gab auch einzelne Personen, Menschen, deren Eigentum eigentlich verschwunden ist. Und zwar nicht gestohlen sozusagen vom deutschen Staat, sondern von deutschen Bürgern, die angesiedelt wurden in Warschau, Posen usw. Und als sie geflohen sind aus Polen kurz vor dem Krieg, haben sie alles mitgenommen.
    Adler: Was natürlich noch schwieriger wird zu …
    Przyłębski: Ja, das ist noch schwieriger zu berechnen, aber dafür ist deutscher Staat verantwortlich, weil deutscher Staat hat sie in Polen angesiedelt. Und das sollte mal überprüft werden am Anfang, was sie haben, was sie brachten, was sie zurücknehmen dürfen. Verstehen Sie?
    Adler: Herr Botschafter, Herr Przyłębski, jetzt würde ich Sie gerne bitten als Botschafter mal zu bewerten: Wie ist eigentlich das deutsch-polnische Verhältnis? Wie ist es um diese Beziehung bestellt?
    Przyłębski: Die Beziehungen sind nicht schlecht, würde ich sagen. Sie sind einigermaßen normal. Wir kämpfen jetzt um sozusagen gleiche Höhe, Augenhöhe, des Gespräches. Das war nicht gegeben in den letzten Zeiten mit der Tusk-Regierung und anderen Regierungen. Das wird noch Monate vielleicht dauern. Aber ich sehe auch Bereitschaft in der deutschen Regierung, der deutschen Politiker, uns so ein bisschen besser, ernsthafter zu betrachten. Gestern habe ich mit Herrn Schäuble gesprochen. Der Marschall vom Sejm will ihn treffen und da war sofortige Bereitschaft zu so einem Gespräch. Und in einer Woche kommt der neue Außenminister zum Gespräch mit Herrn Gabriel. Und die Situation, die Lage in Europa verändert sich ein bisschen. Das ist nicht mehr dieser Enthusiasmus für Fortschritt usw., Postnationales. Und man berücksichtigt auch die Ergebnisse der Wahlen in verschiedenen Ländern, die eine andere Atmosphäre zeigen.
    Adler: Herr Botschafter, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
    Przyłębski: Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.