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Pop-Album "#31s"
31 Sekunden kommentieren die Streamingkultur

Musik zu streamen, anstatt das Album oder die Single zu kaufen - das ist heute gelebte Popkultur. Und so alt wie Streaming selbst ist auch die Kritik daran, dass Künstler damit wenig vom großen Umsatzkuchen abbekommen. Doch beeinflussen Streaming-Portale auch die Musik selbst? Die Compilation "#31s" des Leipziger Indie-Labels Analogsoul wagt einen Versuch.

Von Ina Plodroch | 20.09.2016
    Verschiedene Musik-Apps sind auf einem iPad zu sehen.
    "Technologien beeinflussen den Musikinhalt": Musik-Apps auf Tablets auch (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Der Song "31s" von Hofuku Sochi baut sich langsam auf und verdichtet sich. Doch nach 31 Sekunden ist der Song vorbei. "Wenn man sie hört, ist es so ungewohnt, dass es auch im ersten Schritt so ein bisschen unbefriedigend ist", sagt Fabian Schütze vom Label "Analogsoul". Stimmt, an Dreieinhalb-Popsongminuten haben sich die Ohren schließlich gewöhnt. Doch Fabian Schütze meint, dass sich das durch die Digitalisierung und Streaming-Dienste bald ändern könnte.
    Technologien beeinflussen den Musikinhalt
    Mit seinem Label "Analogsoul" hat er befreundete Musiker und Produzenten gebeten, 31-sekündige Songs zu schreiben. Inspiriert vom amerikanischen Songschreiber und Musikwissenschaftler Mike Errico: "Der hat die These aufgestellt, dass Technologien den Musikinhalt selbst beeinflussen, dass die Schallplatte die Albumlänge gemacht und die Single die Radiospiellänge. Und hat halt darüber nachgedacht, was das Streaming mit Musik macht", sagt Schütze. Denn Spotify zahlt den Urhebern erst Tantiemen, wenn ein Song eine halbe Minute, also 31 Sekunden, gestreamt wurde.
    Doch die Radio-Hit-Single ist immer noch dreieinhalb Minuten lang. Wird das so bleiben? Schütze: "Oder passiert eine Entwicklung dahin, dass Musik immer kürzer wird, weil es wirtschaftlich lukrativ ist?"
    "#31s" ist also künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ernstfall: Wie klingt es, wenn sich Musiker und Labels dem finanziellen Lockruf der Streaming-Dienste hingeben oder den Hörern nicht mehr als eine halbe Minute zutrauen? Die 31 Songs oder Musikschnipsel auf #31s: Mal klassisch ruhig mit Klavier und Bläsern, Beats aus dem Computer oder experimentelle Frickel-Sounds. Manches klingt wie ein Intro, anderes fast wie ein kompletter Popsong.
    Spiel mit kürzeren Aufmerksamkeitsspannen
    "Wir spielen natürlich auch mit diesen kleiner gewordenen Aufmerksamkeitsspannen, mit der Geschwindigkeit, die durch das Internet gekommen ist. Wenn man das Video sich anschaut, dass man dann nur zehn Sekunden durchhält. Und wenn es einen dann nicht gepackt hat, dann kommt das nächste", sagt Schütze.
    Die Musiker vom Label Analogsoul sind nicht die ersten, die sich künstlerisch mit dem Streaming von Musik auseinander setzen. Die britische Band "The Pocket Gods" haben im letzten Jahr ein Album mit 100 Stücken à 30 Sekunden veröffentlicht - als Kritik an Spotifys Zahlungsmodalität. Denn für 30 Songsekunden gibt's: nichts. Genau so ist auch das Album "Sleepify" zu verstehen, das einfach nur Stille in Endlosschleife anbietet - aber dafür Tantiemen kassiert. Den Popsong an sich hat all das aber noch nicht verändert.
    Je mehr Songs, desto besser
    "Es gibt Tendenzen, das kommt so aus der Hip Hop-Kultur, dass man so Interludes auf den Alben hat, so kleine kurze Zwischenstücke - die bringen dann das Geld auf Spotify", sagt Schütze. Kanye West hat das mit seinem Fortsetzungsalbum "The Life of Pablo" perfektioniert: Den Song "Wolves" hat er einen Monat nach der Veröffentlichung etwas überarbeitet. Und aus einem Song zwei gemacht, indem er das ellenlange Ende einfach als 38-Sekunden-Outro abgeschnitten hat. Damit hat sein Album mittlerweile 20 Songs. Ungewöhnlich viel.
    Das britische Online-Magazin FACT vermutete kürzlich ein System dahinter, denn auch Drakes und James Blakes aktuelle Alben sind ungewöhnlich zerstückelt: In den USA zählen 1500 gestreamte Songs als zehn verkaufte Alben in die Chart-Wertung. Je mehr Songs, desto besser - da reichen auch etwas mehr als eine halbe Minute Zwischengeplänkel als Song. Vor diesem Hintergrund klingt die Compilation "#31s" enorm zeitgemäß. "Klar, gibt es noch keine große Bewegung", sagt Schütze. "Wir glauben aber sehr fest daran, dass es so eine schleichende Entwicklung gibt."
    Lästiges Skippen bleibt vielleicht erspart
    Dafür spricht auch das soziale Netzwerk Musical.ly, auf dem Jugendliche 15-sekündige Popsongschnipsel vorgesetzt bekommen. Noch kürzer als die 31 Sekunden vom Leipziger Indie-Label Analogsoul, die zeigen, dass 31 Sekunden mit minimalistischem Klavier, experimentellen Ansätzen oder Techno-Monotonie selten fertig klingen. Bei völlig überladenen Pophits hingegen scheint das anders: Musical.ly präsentiert die Essenz des Pops. Gut vorstellbar also, dass Popmusikhörern bald das lästige Skippen erspart bleibt, und ein Popsong nur noch aus einer Hook, also einem musikalischen Feuerwerk besteht.