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Pop als Blase

Pop-Literatur – eben noch in aller Munde - steht jetzt bereits auf dem Abstellgleis: innerhalb von fünf Jahren mutierte sie vom Marktknüller zur Lachnummer. Verwundert reibt man sich die Augen, was ist geschehen? Ist man einer Seifenblase aufgesessen? Haben sich deutsche Feuilletons ganz umsonst vehemente Auseinandersetzungen, erbitterte Scharmützel, über das Für und Wider der vorgeblich neuen Schreibweisen geliefert? Schwer zu sagen, aber zum Glück gibt es die Germanistik.

von Enno Stahl | 07.04.2004
    Im Zuge der Pop-Literatur selbst ist in der deutschen Literaturwissenschaft so etwas wie ein Nachfolgeboom entstanden, Monographie folgt auf Sammlung, folgt auf Anthologie. Kaum ist die Erbmasse der Pop-Poesie verhökert, kreisen bereits die Resteverwerter über dem Leichnam?
    Nein, ganz so despektierlich sollte man das nicht sehen. Denn immerhin ist es ja schön, dass die Germanistik ausnahmsweise nicht erst mit dreißig-jähriger Verspätung auf eine literarische Entwicklung reagiert. Den interpretatorischen Mehrwert der "Pop-Literatur”, zumindest der jener Autoren, die in den Feuilletons gewöhnlich unter diesem Markt-Siegel subsummiert werden, sollte man nicht übertrieben hoch veranschlagen. Daher drängt sich die Frage auf, ob sich eine Wissenschaft hier nicht allzu sorglos kommerziellen Interessen ausgeliefert hat, womöglich gar den eigenen?!

    Der Siegener Germanist Jörgen Schäfer, der in der renommierten Theorie-Reihe text + kritik einen Sonderband zum Thema Popliteratur herausgeben hat, sieht andere Gründe für die besondere Aufmerksamkeit dem Phänomen gegenüber:

    Ja, nun ist die Literaturwissenschaft ja immer, oder bedarf gewisser Verzögerungen, um sich ihrem Gegenstand zu nähern. In den letzten Jahren sind, angefangen von Einzelstudien über die Pop-Literatur der 60er Jahre über Brinkmann, zum Teil auch über Handke und Jelinek, sukzessive erste Überblicksdarstellungen erschienen. So hat Johannes Ullmaier im Ventil Verlag einen Band drausgebracht: "Von Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Pop-Literatur”, in dem er einen historischen Bogen über vier Jahrzehnte schlägt, und erst angesichts dieser Veröffentlichung ist die Tatsache ins Augenmerk der Öffentlichkeit gerückt, dass es vor fünfunddreißig Jahren schon einmal eine erste Welle der Pop-Literatur gab, genau unter diesem Label.

    In den USA und Großbritannien, den Geburtsländern der populären Musik, existiert der Begriff "Pop-Literatur” so nicht, warum wird ausgerechnet in Deutschland davon gesprochen?

    Ich beantworte das erst einmal für die 60er Jahre, vielleicht. Da muss man sich erst mal vor Augen halten, dass die Rezeption des Pop-Begriffs in Deutschland sich zunächst im Zuge der Rezeption der Pop-Art vollzogen hat, und das in einer etwas dubiosen Mischung aus verschiedenen Einflüssen aus Pop-Art, aus dem, was wir heute als Popmusik bezeichnen, was aber damals als Beat-Musik rezipiert worden ist. Dann wieder die Nähe zu den literarischen Texten der Beat-Generation, die allerdings auch nicht direkt etwas mit der Beat-Musik zu tun hatte. Und da haben sich schon gewisse Verzögerungen eingestellt, während also die die amerikanische Pop-Art ein Phänomen der frühen 60er gewesen ist, hatten die Texte der Beat Generation ihren Höhepunkt längst hinter sich, das ist eher ein Phänomen der späten 40er und 50er Jahre, und das kam in Deutschland, sagen wir mal, um 1968 in einen ganz anderen Kontext.

    Und dann gabs damals die in deutschen Feuilletons erregt geführte Debatte um Thesen des amerikanischen Literaturkritikers Leslie Fiedler, der unter dem Schlagwort "Cross the border, close the gap” forderte, die Literatur müsse die Dichotomie von "Hoch-” und "Trivialliteratur” auflösen. Für Leute wie Brinkmann war das gewissermaßen so ein Initiationserlebnis, diese ganze Mischung aus amerikanischem Underground, aus Pop-Art, aus Popmusik, den er mit Freunden in verschiedenen Anthologien erst mal vorgestellt hat, genau in dieser etwas unübersichtlichen Mischung. So und dann kam eher von Seiten des Feuilletons die Bezeichnung "Pop-Literatur”, die Brinkmann und andere zunächst etwas zögerlich akzeptiert haben, die sich dann aber recht schnell festsetzte.


    Beat Generation, Underground-Literatur, Rolf Dieter Brinkmann, Poesie des Alltags, Trash, schön und gut. Jedoch, die geglätteten Formate jener literarischen Dandies, die seit Mitte der 90er Jahre mit dem Etikett "Pop-Literatur” beworben werden, haben wenig mit dem rebellischen Gestus der 60er Jahre tun. Wie kommt es zu diesem Begriffs-Transfer für eine völlig anders geartete Schreibweise?

    Ja gut, so eine richtige Antwort habe ich darauf auch nicht. Das führe ich zum Teil wahrscheinlich auf so eine Erinnerung zurück, dass es so was schon mal gegeben hat wie Pop-Literatur und der Begriff [auch immer mal zur Bezeichnung von Texten von Rainald Goetz oder von Thomas Meinecke, von Andreas Neumeister auch in den späten 80er, frühen 90ern nie so ganz verschwunden war. Dass er dann ganz verstärkt ab Mitte der 90er Jahre für eine doch ganz anders geartete Literatur aufkam, ist wahrscheinlich doch zu hohem Maße auf bestimmte Marketing-Maßnahmen von Verlagen, vor allem von "Kiepenheuer & Witsch", als auch ... auf eine bestimmte eher abwertend gemeinte Rezeption in Feuilletons...., also ich erinnere immer gerne an eine Sammelrezension in der ZEIT von 1999, in dem das als Dandyismus, als oberflächliche ... Literatur, als Abfall sogar, bezeichnet wurde.

    Das Marketing-Argument ist nicht neu. Vieles spricht dafür. Doch wenn das Phänomen Pop-Literatur sich darauf reduzieren ließe, wäre das jüngst erwachte Interesse der Germanistik tatsächlich wenig verständlich. Schäfer mutmaßt, dass der historische Kontext, mit Jugendkult und Boom der New Economy, eine Rolle bei der Ausprägung popliterarischer Schreibstile gespielt haben könnte. Dann wäre das Sujet weniger literatur- als kulturwissenschaftlich bedeutsam. Um so mehr knüpfte sich dann die Frage daran, ob bloßer Zufall Pate stand oder ob doch gewisse Kontinuitäten existieren, die über Marketing-Strategien hinausweisen. Darauf versuchten, so Schäfer, die ernstzunehmenderen Veröffentlichungen der letzten Zeit eine Antwort zu finden. So etwa das viel rezipierte Buch "Der deutsche Pop-Roman” des Rostocker Germanisten Moritz Baßler oder das 2003 erschienene "Gerade Eben Jetzt” von Eckhard Schumacher. Inbesondere Letzterer bringe eine neue Perspektive in die Diskussion ein:

    Der zentrale Moment bei Schumacher ist, dass das, was als Pop-Literatur bezeichnet wird, sich durch einen ganz spezifischen Bezug zur jeweiligen Gegenwart auszeichnet. Und dass dabei insbesondere Medieneffekte thematisiert werden. Bei Schumacher heißt das dann immer, die "Serialisierung des Jetzt”, also dass Autoren in den 60ern wie Brinkmann, in der Gegenwart wie Goetz, Thomas Meinecke, Kathrin Röggla, so etwas wie eine Geschichte der Gegenwart schreiben, die dann häufig, wie zum Beispiel bei Goetz in "Abfall für alle” ganz dezidiert, Medienmitschriften sind. Interessant in diesem Zusammenhang auch, dass die Metapher der "Momentaufnahme” sich durch diese vier Jahrzehnte zieht, das ist ein ganz zentraler Begriff bei Brinkmann, taucht bei Goetz wieder auf, auch bei Stuckrad-Barre, entweder als "Momentaufnahme” oder als "Snapshot”. Also diese Gegenwartsfixierung ist ein Moment der Kontinuität, ein zweites wäre die Auseinandersetzung mit Medieneffekten.

    Die Mehrheit der bisherigen literaturwissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Popliteratur bietet allerdings weniger solche diachronischen Analysen als vielmehr allgemeine Rückblicke und Zusammenstellungen, so Thomas Ernsts Bändchen "Pop-Literatur”, erschienen bei Rotbuch, die didaktisch aufbereitete Textsammlung von Dirk Frank im Reclam Verlag, sowie die bereits angesprochene Publikation Johannes Ullmaiers. Schäfer beurteilt diese Veröffentlichungen unterschiedlich:

    Zu Ullmaier ist zu sagen, dass das eine wirklich beeindruckende Sammlung ist, die eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur ankündigt, sich aber dann meines Erachtens ein wenig in der Materialfülle verliert. Der Band von Thomas Ernst, der natürlich auch nur 90 Seiten umfasst und eher, denke ich, für einen ersten knappen Überblick geeignet ist, krankt ein wenig daran, all diese Namen aneinander zu reihen, ohne den Bezug zum Thema Pop wirklich zu thematisieren. Die Sammlung von Dirk Frank ist insofern verdienstvoll, als sie die entlegen publizierten Texte, von denen in diesem Zusammenhang immer die Rede ist, in einer Sammlung, die vier Jahrzehnte umfasst, zusammen trägt.

    Ob sich mit diesen Buchpublikationen ein grundsätzlich geänderter Zugang der germanistischen Textbehandlung andeutet, ob es also analog zur Popliteratur so etwas wie eine "Pop-Germanistik” gibt, vermag Schäfer indes nicht zu entscheiden. Das dürfte im Augenblick auch schwierig sein, denn germanistische Veröffentlichungen unterliegen nun einmal denselben Historisierungsprozessen wie die Primärliteratur auch. Jedoch, dass deutsche Philologen nunmehr Songtexte zitieren, Band- und Produktnamen verwenden dürfen, das lässt eigentlich hoffen!

    Thomas Ernst, Popliteratur
    Rotbuch, EUR 8,60

    Dirk Frank
    Arbeitstexte für den Unterricht. Popliteratur
    Reclam, EUR 4,40

    Moritz Baßler
    Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten
    Beck’sche Reihe, EUR 12,90

    Jörgen Schäfer
    Pop-Literatur. Rolf Dieter Brinkmann und das Verhältnis zur Populärkultur in der Literatur der sechziger Jahre
    Metzeler 1998

    Pop-Literatur
    Sonderband text + kritik, hrsg. von Jörgen Schäfer, EUR 28,-

    Eckhard Schumacher
    Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen des Jetzt
    Suhrkamp, EUR 10,-

    Johannes Ullmaier
    Von Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur
    Ventil Verlag, EUR 20.40