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Popcorn und ein bisschen schlechtes Gewissen

New York, Thailand, Philippinen: Ähnlich wie in "Babel" aus dem Jahr 2006 versucht der schwedische Regisseur Lukas Moodysson in seinem neuen Film "Mammut" das Thema Globalisierung für die große Leinwand zu inszenieren.

Von Josef Schnelle | 10.06.2010
    Eigentlich hat die Musterfamilie alles, was sie braucht. Ellen ist eine angesehne Ärztin in einem Krankenhaus in New York City und Leo, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat, steht mit seinen erfolgreichen Computerspielen ein neuer attraktiver Karrieresprung bevor. Sogar eine Haushälterin können sich die beiden leisten, die rund um die Uhr auf Tochter Jackie aufpasst.

    Gloria kommt von den Philippinen und hat ihre eigene Familie zurücklassen müssen, um mit dem Job das Geld zu verdienen, das ihre beiden Söhne zu Hause brauchen. Dafür muss sie auf den täglichen Umgang mit ihren verzichten. Die kleine Jackie ist deshalb nicht von ungefähr ihr Augenstern. Der kleinen Tochter kann sie die Liebe geben, die sie ihren eigenen Kindern im fernen Südostasien nicht geben kann - mit der Hoffnung eines Tages, soviel Geld verdient zu haben, dass es zum kleinen Glück für ihre Familie reicht. Ein wenig schematisch aber durchaus nicht unrealistisch schildert der schwedische Erfolgsregisseur Lukas Moodysson in dieser Geschichte die Verwerfungen der globalisierten Welt.

    Ähnlich wie 2006 der mexikanische Regisseur Alejandro Gonzales Innaritu in seinem Film "Babel" versucht sich Moodysson an einem weltumspannenden sozialkritischen Melodrama. Alles hängt mit allem zusammen und des einen Freude ist des anderen Leid, auch wenn persönlich niemand das Elend von Straßenkindern in Manila oder sonstigen Hunger und Armut in der Dritten Welt auf seiner Rechnung hat. Dass alles aber mit allem anderen zusammenhängt, ist doch klar. Die Armut auf der einen Seite ist die Bedingung des Reichtums auf der anderen. Die fundamentale persönliche Entfremdung in den wohlhabenden Gesellschaften steht im Gegensatz zu der nicht stillbaren Sehnsucht nach ganz normaler liebevoller Zuwendung, die nicht geleistet werden kann am anderen Ende der Welt.

    Diese Fakten taucht Moodysson mit kalten Innenansichten steriler Häuser, Küchen und Wohn- und Hotelwelten in das milde Licht der Hilflosigkeit sämtlicher Akteure. Einer Prostituierten in Thailand kann nicht dauerhaft geholfen werden, indem man sie einfach mit ein bisschen Geld nach Hause schickt. Der New Yorker Depression im schicken Loft nützt auch das soziale Engagement fern der Heimat nichts. Die Atomisierung der weltweit gültigen Grundbedürfnisse ist soweit fortgeschritten, dass zwar grundsätzlich ein Weltzusammenhang der Lebensverhältnisse konstatiert werden kann. Lebbare Konsequenzen folgen jedoch daraus nicht mehr. Leo soll in Thailand einen wichtigen Vertrag unterschreiben und bekommt dazu von seinem Geschäftspartner Bob einen ganz besonderen Füller geschenkt.

    Wie häufig in diesem gut gemeinten - und auch gut inszenieren - Film wirft Regisseur Moodysson, der als einer der talentiertesten Autoren des skandinavischen Kinos gilt, an dieser Stelle allzu offensichtlich mit der Wurst nach der Speckseite und verheddert sich im edlen Klischee. Böse bestraft werden außerdem die Eltern, die ihr kleines Kind fremder Sorge anvertrauen und die Mutter, die glaubt, so ganz von Ferne, ihre Kinder auf den Philippinen schützen zu können.

    Im Melodram ist es nun einmal so, dass Fehlentscheidungen sofort und hart bestraft werden und der gute Wille keinesfalls reicht für ein zureichend zufriedenstellendes Leben. Keiner ist schuld aber alle geraten immer wieder an ihre Grenzen, und so sehr der Film auch an eine Seifenoper mit möglichst weltweiter Geltungsmacht ausschaut, so ist er doch auch einer der wenigen Versuche, den Katastrophen der globalisierten Welt einen filmischen Spiegel entgegen zu halten. Da gehört die ganze Mammutsymbolik schon zu den einfacher zu bewältigenden Bedeutungsfeldern. Der ist an seiner schieren Größe zugrunde gegangen.