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Die Band Fotos
Unrecht, Vergänglichkeit, Zukunftsangst

Zwölf Jahre Bandgeschichte - nun, nach sechs Jahren "Traumabewältigung", meldet sich die deutsche Band Fotos mit ihrem viertem Studioalbum zurück. "Kids" heißt es, obwohl - oder gerade weil - die Hamburger erwachsen geworden sind.

Von Ronald Strehl | 25.03.2017
    Zu sehen ist ein Bild der Band Fotos vom 28.11.2016. Vier junge Männer stehen bunten Licht einer Farbprojektion, einer kratzt sich am Arm, der andere hat die Hände zum Gebet zusammengelegt. Der dritte hält sich die Augen zu und der vierte schaut ernst in die Kamera.
    Die Band Fotos: "Hauptsache, man ist glücklich mit dem, was man tut." (PIAS / Alexander Gehring)
    "Wir haben immer wieder versucht, uns neu zu inspirieren, neue Instrumente auszuleihen, die in dem Bandkontext so noch nicht stattgefunden haben. Wie zum Beispiel eine Reihe Sambatrommeln von einer Altonaer Sambatrommelgruppe. Modular Synthesizer integriert in das Setup. Und eigentlich angefangen, ohne Strukturen an dem Album zu arbeiten. Was erstmal schwierig war für einzelne Bandmitglieder, die vom Songwriting kommen."
    So Sänger und Texter Tom Heßler über die langwierige und ungewöhnliche Entstehung des neuen und vierten Albums seiner Band Fotos. Statt mit ausformulierten Songideen ins Studio zu gehen, traf sich die Gruppe zunächst in einem Bauernhof vor den Toren Hamburgs zur freien Improvisation. Aus den experimentellen Jams schälten sich dann in einem mühseligen Prozess der stetigen Veränderung und Verbesserung neun neue Lieder heraus. Fünf Jahre lang haben Fotos mit Unterbrechungen so am neuen Album gefeilt. Der Titel: "Kids".
    "Ich denke, es ist ein ganz guter Titel um zu beschreiben, wie der Arbeitsprozess war. Nämlich: Erstmal anfangen, ohne Ziel, ohne Plan. Einfach nur aus Lust an der ganzen Sache."
    Gereift und souverän
    Der offene Entstehungsprozess zum neuen Album hat der Band sichtlich gutgetan. Denn auf "Kids" finden Fotos rund zwölf Jahre nach Gründung endlich zu einem eigenständigen und in sich stimmigen Stil. Verbunden ist dies mit einer musikalischen Neuausrichtung: Die einst prägenden New-Wave-Gitarren sind fast vollständig verschwunden. Dafür verleihen jetzt zahlreiche Keyboards den Liedern eine angenehm psychedelische Färbung. Gereift und souverän zeigt sich auch Frontmann Tom Heßler. Nicht nur durch die jetzt eher zurückgenommene Art seines Gesangs, der alle frühere, schrille Affektiertheit verloren hat. Sondern der 33-Jährige überzeugt auch erstmals als Texter. Mit nun vergleichsweise knappen und eher abstrakten Texten über Unrecht, Vergänglichkeit oder Zukunftsangst. Wie im grotesk-unheimlichen Auftaktsong "Melodie des Todes", der vom antinationalistischen Romanklassiker "Reise ans Ende der Nacht" des Franzosen Louis-Ferdinand Céline inspiriert ist.
    "Tatsächlich das erste Mal, dass ich einen politischen Text geschrieben habe, der funktioniert. Die anderen hatten wir nie veröffentlicht. Weil sie einfach zu sehr in so einer Agitprop-Ecke waren und das nicht zu uns gepasst hat."
    "Hauptsache, man ist glücklich mit dem, was man tut."
    Fotos entstanden 2005 im Rahmen des Popkurses der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, aus dem auch schon so erfolgreiche Bands wie Wir sind Helden oder die Rainbirds hervorgegangen sind. Mit hohen Erwartungen veröffentlichten Fotos ihre ersten beiden Alben bei einem Unterlabel des Plattengiganten EMI. Der große Durchbruch blieb aber aus. Hochgradig ernüchternd war auch das Abschneiden beim Bundesvision Song Contest, dem von Stefan Raab ins Leben gerufenen Musikwettbewerb. 2009 belegten Fotos dort mit dem Lied "Du fehlst mir" den vorletzten Platz. Tom Heßler:
    "Der Bundesvision-Song-Contest-Auftritt war für mich auf jeden Fall ein traumatisches Erlebnis, weil sich darin manifestiert hat, welchen Stellenwert wir als Band in Deutschland haben. Ich sehe das viel buddhistischer mittlerweile. Hauptsache, man ist glücklich mit dem, was man tut. Aber Anfang, Mitte zwanzig, wenn man antritt, um sozusagen die musikalische Welt zu erobern, ist so ein Erlebnis auf jeden Fall kein schönes."
    Das Trauma vom vorletzten Platz verarbeiteten Fotos trotzig auf ihrem düsteren dritten Album "Porzellan", das sie 2010 in Eigenregie herausbrachten. Danach gingen die vier Bandmitglieder zunächst getrennte Wege. Ihr Einkommen verdienen sie inzwischen als Sessionmusiker, Studioproduzent, Journalist oder Kameramann. Mit dem berührenden und kurzweiligen Album "Kids" haben Fotos nun einen rundherum überzeugenden Neuanfang gewagt. Eine Auflösung der Band stand trotz mancher Rückschläge ohnehin nie zur Debatte wie Gitarrist Deniz Erarslan ein wenig stolz betont.
    "Wir haben kurz vor dem Interview darüber gesprochen. Wenn man bei Spotify 'Fotos' eingibt, da gibt es ja immer so ähnliche Bands: 'Hörer hörten auch'. Dass es diese ganzen Bands eigentlich nicht mehr gibt, dass wir die alle überlebt haben, das ist schon ziemlich bemerkenswert."
    Das Album 'Kids" erscheint am 31. März 2017 beim Label PIAS. Um das Album vorzustellen gehen Fotos ab 26.April auf eine kleine Deutschlandtour und treten in folgenden Städten auf: Leipzig, Berlin, Hamburg und Köln.