Donnerstag, 28. März 2024

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Populisten in den Niederlanden
"Es geht um Fragen der Identität"

Obwohl es den Niederlanden wirtschaftlich gut geht, ist der Populist Geert Wilders dort erfolgreich. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, sagte im DLF, dass Ängste vor Ausländern und anderen Werten dafür verantwortlich seien. Furcht vor immensen Kosten durch Immigranten spielten keine Rolle.

Clemens Fuest im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 11.03.2017
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, posiert vor einem Schild mit der Aufschrift "ifo".
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest. (picture alliance / dpa / Christina Sabrowsky)
    Jürgen Zurheide: Den Niederlanden geht es gut. Wirtschaftlich geht es dem Land gut und ansonsten – nun ja, wir alle fragen uns, was passiert da gerade? Ein Land, dem es so gut geht auf der einen Seite und das dennoch so innerlich zerrissen und auch gespalten ist. Über dieses Thema wollen wir reden. Die wirtschaftliche Lage hervorragend und welche Auswirkungen hat das auch für den Aufstieg von Populisten? Da hat sich im Moment eine Expertengruppe in Europa von der European Economic Advisory Group Gedanken gemacht. Eines der Mitglieder ist Clemens Fuest, der Chef des ifo-Instituts, jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Fuest!
    Clemens Fuest: Schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Fuest, zunächst einmal, die wirtschaftliche Lage in den Niederlanden, ich hab gerade so schlank gesagt, ein Land mit hervorragenden wirtschaftlichen Kennzahlen – was sagt der Ökonom?
    Fuest: Ja, grundsätzlich ist das richtig, allerdings haben die Niederlande ihre beste Zeit eigentlich so um die Jahrtausendwende oder kurz vorher erlebt. Da gab es wirklich einen Boom und eine ganz hervorragende Situation, danach wurde es etwas schwieriger. Als die Internetblase platzte Anfang der 2000er, gingen dann auch in den Niederlanden die Immobilienpreise herunter, viele Haushalte waren hoch verschuldet, und bis heute ist die Wirtschaftslage nicht ganz so gut wie damals, aber trotzdem ist es sicherlich so, dass die Niederlande außerordentlich wohlhabend sind. Die Niederlande haben einen ausgebauten Sozialstaat mit geringer Einkommensungleichheit, also die wirtschaftliche Lage ist schon gut.
    "Die Gesellschaft ist zunehmend gespalten"
    Zurheide: Was können wir jetzt, wenn ich die pauschale Frage stelle, die wir hier erwägen wollen und die Sie ja auch mit den Kollegen erarbeiten, sagen zum Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Lage, die positive auf der einen Seite und dem Aufstieg von Populisten auf der anderen Seite. Gibt es da Wechselwirkungen und welche haben Sie bisher erkennen können?
    Fuest: Da gibt es Wechselwirkungen, die sind aber nicht so einfach, dass man sagen kann, wo es schlecht ist oder wo Leute abgehängt werden, da steigen die Populisten auf. Wir sehen schon, dass bei ganz, ganz schlechter wirtschaftlicher Entwicklung, hoher Arbeitslosigkeit Populisten Chancen haben, aber es ist auch so, dass Populisten dort aufsteigen, wo Immigration eine starke Rolle spielt. Das ist gerade in Nordeuropa ein entscheidender Faktor. Wir kennen das aus Großbritannien, wir kennen das aus Frankreich, auch der Aufstieg der AfD in Deutschland kam ja erst richtig in Fahrt, als die Flüchtlingswelle kam, und in den Niederlanden haben wir das schon länger.
    Dort ist es in der Tat so, dass die Gesellschaft zunehmend gespalten ist in diejenigen, die kosmopolitisch tolerant sind, Zuwanderung auch gut finden und begrüßen, und den anderen Teil der Bevölkerung, der sich bedroht fühlt in seiner Identität und der das dann ablehnt. Und dann kann es eben zu einem Aufstand gegen etablierte Parteien kommen, selbst wenn die wirtschaftliche Lage eigentlich sehr gut ist.
    Zurheide: Das heißt, um es zugespitzt dann auch noch mal zu sagen, die wirtschaftliche Lage spielt eigentlich überhaupt keine Rolle, das ist eine Form von Postmaterialismus. Den hatte man bisher eher bei einem bestimmten grünen Klientel vermutet, die gesagt haben, wir müssen grüne Dinge durchsetzen, ich sage es hart, egal was es kostet, und das passiert jetzt auf anderer Ebene auch offensichtlich. Ist das richtig beobachtet?
    Fuest: Ja, die Kosten jedenfalls werden nicht wirklich ernsthaft in Betracht gezogen. Es ist schon so, dass es jetzt nicht die Wohlhabenden in der Gesellschaft sind, die Populisten normalerweise unterstützen, die kommen schon eher vom Land – das sind ja Regionen, die sich auch wirtschaftlich nicht so toll entwickeln. Aber, das ist richtig, es geht im Kern nicht um wirtschaftliche Fragen hier, es geht um Fragen der Identität, um Ängste vor Ausländern, es geht auch teilweise um Ablehnung anderer Religionen, anderer Werte.
    Das ist hier wirklich eine Wertefrage, die stärker im Mittelpunkt steht als die wirtschaftliche Frage. Man ist eben bereit, auch wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, um, wie man glaubt, die eigene Identität zu sichern. Ob das dann am Ende so umsetzbar ist, daran bestehen ja erhebliche Zweifel, aber das ist die Vorstellung.
    "Es sind teilweise irrationale Ängste, die da eine Rolle spielen"
    Zurheide: Sie haben gerade schon die Kosten angesprochen. In den Niederlanden ist es alte Tradition, dass die Parteien in der Regel ihre Programme von einem besonderen Zentralplanbüro überprüfen lassen und die rechnen dann aus, was das bedeutet, wenn man dieses und jenes macht oder eben auch nicht macht. Die Partei von Wilders tut das genau nicht. Also das spricht ja dafür, was Sie gerade gesagt haben, so ähnlich wie beim Brexit, die Leute gucken vielleicht doch nicht so genau hin und sagen, es ist mir am Ende fast egal, welche ökonomischen Konsequenzen es hat, zumindest im Moment der Wahl. Ist das so?
    Fuest: Ja, man darf natürlich nicht zu viel erwarten. Die Parteien zu zwingen, ihr Wahlprogramm darzulegen und dann die Folgen, die wirtschaftlichen Folgen analysieren zu lassen, das ist, glaube ich, eine gute Idee. 2013 etwa war es auch so in den Niederlanden, dass auch das Programm der Freiheitspartei analysiert worden ist. Da waren die wirtschaftlichen Folgen gar nicht so negativ, wie man meinen konnte, sondern die sahen da eigentlich ganz gut aus. Das hat auch damit zu tun, dass da protektionistische Maßnahmen weniger in den Vordergrund gestellt wurden.
    Aber es ist klar, das erreicht natürlich weite Teile der Bevölkerung nicht, wie gesagt, die machen sich gar nicht so die Gedanken über wirtschaftliche Details, wirtschaftliche Kosten, sondern da steht das tägliche Erleben im Vordergrund oder teilweise auch eine Realität, die in den Medien konstruiert wird.
    Es ist ja ganz interessant, in diesen ländlichen Gebieten sind ja in der Regel weniger Immigranten vorhanden als in den Städten etwa, trotzdem kommt die Unterstützung der Populisten eher vom Land. Das heißt, es sind häufig auch mehr Ängste, auch übrigens Ängste in der Konkurrenz um Sozialleistungen mit Immigranten, also insofern spielen wirtschaftliche Aspekte da teilweise schon hinein. Aber es sind teilweise wohl auch irrationale Ängste, die da eine Rolle spielen.
    Zurheide: Jetzt kommen wir auf die Lage der Niederlande, möglicherweise ohne den Euro und ohne die Europäische Union, als ein Land, was so weit verwoben ist mit der Weltwirtschaft oder mit der Globalisierung wie kaum ein anderes Land. Was würden denn da Rückschritte bedeuten?
    Fuest: Es ist schwer vorstellbar, dass die Niederlande aus der EU austreten, aus dem Euro vielleicht noch. Natürlich hat man in den Niederlanden schon auch die Sorge, für andere Länder in der Eurozone zahlen zu müssen. Man ärgert sich darüber, dass Griechenland sich nicht an Reformauflagen hält, man ist besorgt über die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, aber trotz all dieser Einwände gegen den Euro ist es gerade bei den Niederlanden nicht vorstellbar, dass man sich abschottet, dass man austritt aus der EU. Das würde die Niederlande mehr treffen noch als etwa Großbritannien.
    Aber das Beispiel Großbritanniens ist natürlich eine Warnung, auch dort ist ja klar dargelegt worden, dass das Land Nachteile hat. Jetzt hat es auch die Währung immerhin abgewertet, und all das hat die Wähler nicht aufgehalten. Also hier spielen sicherlich diese Identitätsfragen wieder eine größere Rolle als das, was wirtschaftlich droht.
    Hinzu kommt, dass Experten ja von Politikern wie Wilders systematisch diskreditiert werden. Es wird gesagt, die seien unglaubwürdig, und es sind ja die Experten, die dann vor wirtschaftlichen Verlusten warnen, die nach einem EU-Austritt kommen würden. Und wenn es dann so weit ist, dann ist es eben zu spät.
    "Man muss offen Vor- und Nachteile der Immigration diskutieren"
    Zurheide: Was heißt das für einen Ökonomen wie Sie? Das heißt, das, was Sie sagen, wird weniger wahrgenommen, das ist die Gefahr, die dahintersteht, die Herrschaft der Ökonomen ist vorbei?
    Fuest: Ja, so weit würde ich nicht gehen, also von einer Herrschaft der Ökonomen würde ich sowieso nicht reden. Ich denke schon, dass Experten nach wie vor gehört werden, allerdings muss man schon sorgfältig dabei sein, wirklich auch Fakten darzulegen, auch als Experte, und sich verständlich zu machen. Gleichzeitig tun, glaube ich, auch die Ökonomen gut daran, Sorgen, die Menschen haben, auch die Unterstützer von Populisten ernst zu nehmen. Es ist ja nicht so, dass Immigration etwa nun so völlig unproblematisch wäre, das kann man ja gar nicht behaupten, und ich glaube, man muss offen Vor- und Nachteile etwa der Immigration diskutieren, und man sollte nicht so tun, als sei das alles unproblematisch.
    Auch in Deutschland ist das ja während der Flüchtlingswelle oft so gewesen, da sind die wirtschaftlichen Konsequenzen der Immigration als viel zu rosig dargestellt worden. Es ist so getan worden, als würde das unser Demografieproblem, unser Fachkräfteproblem lösen – das war doch sehr einseitig. Und ich denke, hier haben auch die Experten die Aufgabe, wirklich zu versuchen, die Dinge abgewogen und neutral darzustellen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.