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Pornografie
Digitaler Fernverkehr

Mit dem Internet hat sich auch das Konsumverhalten für Pornografie verändert. Webcams, Livechats und Google Glass führen zu einer gefühlten körperlichen Nähe zwischen Menschen, die sich hunderte Kilometer entfernt voneinander befinden. Mit jeder technischen Innovation entsteht eine neue Art des Lustempfindens.

Von Mariann Unterluggauer | 31.05.2014
    Ein Mann sitzt vor einem Computerbildschirm auf dem pornografische Bilder sehen sind.
    Das Internet ermöglicht immer mehr Arten des Pornografie-Konsums. (dpa/ Martin Ruetschi )
    Im Februar 2013 kam "Google Glass" auf den amerikanischen Markt – eine Brille, die mit einem Minicomputer ausgestattet ist und mit der man die Umgebung filmen kann. Es dauerte nicht lange, so der österreichische Medienkünstler Johannes Grenzfurthner, bis dafür eine pornografische Anwendung erfunden wurde. Johannes Grenzfurther ist Veranstalter der Sex- und Technologiekonferenz "Arse" - also "Arsch Elektronika", die seit 2007 alljährlich in San Francisco stattfindet.
    "Ja, es gab eine Google Glass-Application, die hieß "Glass And Tits". Und die ist sofort wieder offline gegangen. Zwei oder drei Stunden war sie verfügbar, dann hat das Google wieder abgedreht. Google will das Offensichtliche einfach nicht zugeben. Das ist ganz klar. Man sieht die Google Glass, man sieht, man hat eine Kamera im Gesicht, und das Erste, was die Leute kommuniziert haben war: Das ist ja perfekt! Das ist die absolute Voyeur-Brille. Natürlich will das Sergey Brin nicht so verstanden haben. Man will natürlich als großer Technologie-Pionier in die Geschichte eingehen, aber nicht als der große Förderer des nächsten Levels an Porno-Produktion und -Rezeption."
    Wie Google und viele andere IT-Firmen legt auch Apple Wert darauf, sich von der Pornografie abzugrenzen. In seinem redaktionell betreuten AppStore werden Porno-Inhalte daher nicht zugelassen. Doch gerade Apples iPhone eröffnete der Porno-Industrie ein neues Kundenfeld, denn heute werden Videos am Handy sowohl konsumiert als auch produziert, sagt der amerikanische Webdesigner Chris Lowrance. Er lebt im Bundesstaat North Carolina, das neben Kalifornien als ein Zentrum der Porno-Industrie in den USA gilt, und er programmiert Webseiten für transsexuelle und feministische Pornografie-Anbieter.
    "Ich war letzten Monat in Toronto bei der Verleihung der 'Feminist Porn Awards'. In der Kategorie 'Kurzfilm mit hohem Sexappeal' gewann ein Film, der für mich das Beste war, was ich in diesem Genre seit Langem zu Gesicht bekommen habe. Als uns die Gewinnerin anschließend erzählte, dass sie den Film komplett mit ihrem Smartphone gedreht hat, war ich wirklich überrascht."
    Schon in den 1980er Jahren konnte man als pubertierender Jugendlicher in den Computernetzwerken erfolgreich nach Pornobildern suchen. Zum Fallstrick wurde dabei nicht das Jugendschutzgesetz, sondern die Telefonrechnung, die wegen der niedrigen Datenübertragungsrate der meist ausländischen Server in die Höhe schnellte.
    "Die Anekdote, die ich gerne erzähle, ist die: Es war so 1987/1988, da habe ich mein erstes Pornobild heruntergeladen. Das war damals noch im Fido-Netz, im Bulletin Board System. Ich habe aus Österreich nach Deutschland angerufen. Vier Stunden Langstrecken-Kommunikation! Das hat umgerechnet an die 500 Euro gekostet und ich hatte einen Monat Hausarrest, weil ich für das Ding soviel Geld ausgegeben habe - beziehungsweise wussten meine Eltern gar nicht, dass es für ein gering auflösendes Pornobild war, aber sie haben einfach gesehen: Aha, der Sohnemann hat die Telefonkosten ins Astronomische getrieben, das darf er nicht."
    In den 1990er Jahren zählten die Porno-Anbieter zu den treibenden Kräften der technologischen Entwicklung: Sie stellten die ersten Online-Shops ins World Wide Web, setzten sehr früh auf Chats und Webcams, experimentierten mit digitalen Bezahlsystemen, analysierten das Surf-Verhalten ihrer Besucher und erweiterten ihr Portfolio um den Dienst der Online-Partnervermittlung.
    Die Porno-Industrie sucht nach neuen Geschäftsmodellen
    Seit ein paar Jahren klagt die Industrie über Umsatzeinbrüche. Das als krisensicher geltende Geschäft mit dem Sex bringt zwar weiterhin Milliarden Dollar ein, aber den Gewinn teilen sich immer weniger Unternehmen. Das FriendFinder Network zum Beispiel, Herausgeber des Penthouse Magazins und bereits seit 1993 auch online vertreten, musste letztes Jahr seinen Bankrott erklären. Die Zeitschrift Playboy holte sich für ihre Online-Präsenz einen neuen Partner an Bord: das von einem deutschen Programmierer gegründete IT-Unternehmen Mindgeek, mit Sitz in Luxemburg. Das Unternehmen tritt offiziell als Anbieter von Serviceleistungen wie Suchmaschinenoptimierung und Datenanalyse auf. Das Wort 'Pornografie' verwendet die Firma, die ein Interview mit dem Deutschlandfunk abgelehnt hat, auf der Webseite nur selten. Zu finden ist es, wenn man sich auf der Webseite die Rubrik mit den Jobangeboten durchsieht.
    Das Geschäft mit dem Sex hat sich, ohne dass es großartig aufgefallen wäre, durch das Internet verändert. Die alten Einkommensquellen wie DVD und Print sind in den letzten Jahren weggebrochen. Die Industrie kämpft – wie andere Unternehmen – mit dem Gratisangebot im Web, bestätigt der Medienkünstler Johannes Grenzfurthner, der die Entwicklungen in den Pornostudios, die Situation der Sexarbeiterinnen und Videoproduzenten seit Jahren verfolgt.
    "Die meisten Leute gehen davon aus, dass ihr Porno illegal heruntergeladen wird."
    Aber er kenne keinen in seiner Branche, der das so einfach wegsteckt, fügt Chris Lowrance hinzu.
    Chris Lowrance bezeichnet sich selbst als Programmierer für "ästhetische Webseiten". Seiner Meinung nach habe die Branche verstanden, dass die Verbreitung von Raubkopien im Internet mit digitalen Rechte-Management nicht gestoppt werden kann.
    "Dagegen hilft nur eines: Die Videoportale ständig zu durchforsten und die Anbieter darauf aufmerksam machen, dass wir die Verwertungsrechte dafür besitzen. In der Regel werden die Videos dann sofort vom Netz genommen. Aber niemand weiß, wie viele Besucher sie in der Zwischenzeit vielleicht gespeichert haben."
    Nichts zu tun haben möchte die Branche mit der wachsenden Zahl der 'Abmahntrolle', schreibt das amerikanische Branchenblatt der Porno-Industrie AVN. Damit sind jene Anwaltskanzleien gemeint, die en masse Anklageschriften aussenden, in der Hoffnung, dass die Scham der Abgemahnten groß genug ist, um sich außergerichtlich zu einigen.
    Die Einstiegsschwelle zu sexuell aufgeladenen Inhalten ist durch Smartphones und Tablet-Computer niedriger geworden. Auch Jugendliche und Kinder kommen dadurch immer häufiger mit diesen Inhalten in Berührung, und Kindersicherungen erweisen sich als stumpfe Waffe.
    An der körperlichen und moralischen Erregung hatsich seit dem Auftauchen der ersten pornografischen Fotografien im 19. Jahrhundert nichts geändert. Hier ist keine technische, sondern eine gesellschaftliche Debatte notwendig. Bis es soweit ist, verweisen Internet-Nerds gerne auf die "Internet Regel Nummer 34".
    "Es gibt die schöne Regel 34: Wenn man sich etwas denken kann, gibt es davon auch 'porn'. Das ist die 'Internet Rule 34', die ist natürlich auch ein wenig ironisch gemeint."