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Schriftsteller Robert Musil
"Er war kein Gipfel dieser Zeit – er war eine der Erhö­­hungen"

Robert Musil gilt als einer der intellektuellsten Autoren des letzten Jahrhunderts. In seinem Werk stellte er etwa die Frage, wie sich ein geistiger Mensch zur gegenwärtigen Wirklichkeit verhalten solle. Sein unvollendet gebliebener Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" wurde erst nach seinem Tod als ein Jahrhundert-Werk erkannt. Vor 75 Jahren starb er.

Von Christian Linder | 15.04.2017
    Der österreichische Schriftsteller Robert Musil in einer undatierten Aufnahme.
    Der österreichische Schriftsteller Robert Musil in einer undatierten Aufnahme. (dpa / picture alliance / Ullstein)
    "Wie sonderbar das Leben des Robert Musil verlief, wie es sich verlief – langsam, allgemach – in Sand …"
    Was mag den 23-jährigen Robert Musil veranlasst haben, 1903 in solch gesuchter Distanz über sich selbst zu sprechen und zu meinen, sich seine Zukunft derart ausmalen zu müssen? Drei Jahre später, 1906, mit dem Erscheinen seines Romans "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß", dürften alle Befürchtungen Musils allerdings erst einmal vertrieben worden sein. "Ein Buch, das bleiben wird", jubelte der damals bekannteste deutsche Kritiker, Alfred Kerr. Noch 80 Jahre später konnte der Literaturwissenschaftler Walter Jens sich in eine nicht minder begeisterte Aufregung über das Buch und Musil als Jahrhundert-Schriftsteller hineinreden.
    "Dass er doch der erste war, der nun wirklich einen jugendlichen Charakter darzustellen vermochte, der die feinsten Regungen der Seele und die Reaktionen eines Gehirns eines in der Pubertät befindlichen jungen Menschen darstellte, die Tollheit, die über Törleß kam."
    Rückgriff auf autobiografische Erfahrungen
    Den Rückgriff auf autobiografische Erfahrungen hatte Musil in seinem Roman nicht verborgen. Geboren 1880 im österreichischen Klagenfurt als Sohn eines Universitätsprofessors, war er nach einer Offiziersausbildung zunächst Ingenieur geworden, um anschließend Philosophie und Psychologie zu studieren. Solche umfassende Ausbildung hat später sein Bild von der Aufgabe eines Schriftstellers geprägt: Der Schriftsteller als "Anwalt der Zeit gegen die Zeit", der die "geistige Konstitution, das ideelle Gerüst der Zeit" entdecken will.
    "Der moderne Mensch lebt in einer standardisierten, starren, verdorrten Welt. Die Ursachen dieser Verdorrung sind Vereinzelung, Arbeitsteilung, Isolierung, Zerstückelung."
    Solche im Rahmen einer "Grundinventur" vorgetragenen Überlegungen zu einer "Megalozivilisation", in der der "Ameisenmensch" im Maschinentempo mitgerissen wird und wenig Chancen besitzt, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, hat Musil erzählerisch entfaltet, in seinem auf drei Bände konzipierten Romanprojekt "Der Mann ohne Eigenschaften". Ulrich, die Hauptperson darin, nimmt in der Einsicht, dass im persönlichen wie im öffentlich-geschichtlichen Leben immer nur das geschieht, "was eigentlich keinen rechten Grund hat", "Urlaub" von seinem gewohnten Leben und geht auf die Suche nach einem anderen Leben.
    Elendes Leben im Exil
    1930 war der erste Band des Romans im Rowohlt Verlag erschienen, und einer der ersten Leser, ein junger Heidelberger Germanistik-Student, Adolf Frisé, schrieb dem Autor sofort einen Brief und erhielt auch Antwort. Nach weiterer Korrespondenz und Erscheinen des zweiten Bandes von "Der Mann ohne Eigenschaften" im Jahr 1932 kam es zu einer persönlichen Begegnung in einer Berliner Pension:
    "Ein sehr nobler, ein sehr sich selbst kontrollierender Mann, sehr höflich, fast spröde, aber dabei gütig, geduldig und tolerant. Er sprach von sich und seinem Werk wie von einer Sache, für die der andere sich interessiert."
    Die Begegnung fand am 27. Januar 1933 statt, und als vier Tage später durch Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, wusste Musil, dass sein Leben und vor allem das seiner Frau, einer Jüdin, in Deutschland gefährdet war. Auch das Heimatland Österreich war nach dem Anschluss 1938 kein sicherer Ort mehr. Im Schweizer Exil in erniedrigender finanzieller Not lebend, versuchte Musil bis zu seinem Tod am 15. April 1942 in Genf den dritten Band seines Romans "Der Mann ohne Eigenschaften" zu Ende zu schreiben. Erst Adolf Frisé, Anfang der 1950er-Jahre zum Herausgeber des Gesamtwerks bestellt, konnte aus dem Nachlass den Fragment gebliebenen letzten Band veröffentlichen und Musils immensen Nachruhm als einer der großen Schriftsteller-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts durchsetzen. In seiner Totenrede - acht Freunde hatten sich zur Beerdigung eingefunden - zitierte Pfarrer Robert Lejeune einen Satz, mit dem Robert Musil 1927 Rainer Maria Rilkes gedacht hatte:
    "Er war kein Gipfel dieser Zeit –, er war eine der Erhöhungen, auf welchen das Schicksal des Geistes über Zeiten wegschreitet."