Aus den Feuilletons

Von Castorfs "Hunger" übersatt

Hunger 2018: Marc Hosemann, Josef Ostendorf, Rocco Mylord
Castorfs "Hunger"-Inszenierung: Für die einen das perfekte Dinner, für die anderen eine Portion zu viel © Salzburger Festspiele / Matthias Horn
Von Arno Orzessek · 05.08.2018
Frank Castorfs Inszenierungen polarisieren. Seine Salzburger Darbietung von "Hunger" brachten der SZ-Rezensentin Verdauungsprobleme wegen Überlänge. Der Kritiker in der Welt dagegen war am Ende wohlig gesättigt.
Falls Sie regelmäßig zuhören, wissen Sie es:
Wir sprechen an dieser Stelle oft floskelhaft von den "frischen Feuilletons" und denken uns nichts dabei. Heute indessen tun wir es gedankenvoll. Denn die Feuilletons sind nicht nur frisch im Sinne von "neu", also frisch unter dem zeitlichen Aspekt. Nein, sie sind auch frisch in puncto Qualität, das heißt, frisch in jener Bedeutung des Wortes, die "frischem Geist" und "frischem Tempo" Attraktivität verleiht.
Was angesichts der Hitze eine erfrischende Leistung ist. Deshalb jetzt: frisch drauflos!
Und zuerst zum Foto des Tages, zu besichtigen in der TAGESZEITUNG.
Es zeigt einen älteren Mann, der recht jung wirkt. Er trägt kurze Hosen und ein Nietenarmband, sein Irokesen-Schnitt regt sich grün zum Himmel.
Gestatten: Schulleiter Matthias Isecke-Vogelsang, bekennender Punk. Seine Meinung:
"Dass Punks auffallen wollen, kann kein Vorwurf sein. Alle Punks wollen auffallen. Für mich bedeutet es, dass ich nicht sein will wie alle anderen. Ich will eine Veränderung der Bedingungen. Das ist sehr punk."
So Schulleiter Isecke-Vogelsang im TAZ-Interview.

Big Brother in China

Dicht, anregend, irritierend: Mark Siemons Erläuterung in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, warum "so viele Chinesen das Sozialkreditsystem gut [finden], das ihr gesamtes Verhalten bewertet".
Immerhin geht es um einen veritablen Orwellschen Albtraum. Nämlich ein von Algorithmen gesteuertes Punktesystem, mit dessen Hilfe ab 2020 sämtliche Aktivitäten aller Chinesen in jedwedem Lebensbereich sowohl bewertet als auch belohnt und bestraft werden sollen.
Laut der Studie, die Siemons in der FAZ vorstellt, sehen viele Chinesen in der Überwachung gleichwohl eine Chance, um "ihre eigene Lebensqualität zu verbessern".
Hintergrund: Aus Mangel an Vertrauen stockt in China oft die Kreditvergabe. Und nun hoffen viele Chinesen, es werde besser laufen, sobald sie ihre Rechtschaffenheit mittels Punkten quasi objektiv beweisen können.
"Das erstaunliche Ergebnis der Studie ist also", so Mark Siemons, "dass ein Großteil der Befragten das Sozialkreditsystem vor allem als Stärkung der Marktwirtschaft, der Moral und der individuellen Entwicklungsmöglichkeiten empfindet, man könnte auch sagen: der Gesellschaft."
Warten wir mal ab, wann uns die Liebhaber des Daten-Diebstahls aus dem Silicon Valley ein ähnliches Modell für den Westen ans Herz legen.
Allen David Lynch-Fans sei gesagt: In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG bespricht Philipp Stadelmaier unter dem Titel "Das Leben ist ein Donut" die neue Lynch-Biographie von Kristine McKenna. Und findet das Lebenswerk Lynchs weit gelungener als McKennas Werk über dessen Leben.

Vielgängige Castorf-Völlerei als Geduldsprobe

Am frischesten jedoch lesen sich in der SZ Christine Dössels mokante Bemerkungen zu Frank Castorfs sechsstündiger Inszenierung von Knut Hamsuns "Hunger" bei den Salzburger Festspielen – obwohl Dössel von Erschöpfung spricht.
"Mal abgesehen davon, dass es in der alten Salinenhalle heiß ist, stellt einen Castorfs uferloses, auf jegliche Erzählökonomie verzichtendes Exzesstheater an diesem überlangen Abend hart auf die Geduldsprobe. Die Formulierung 'unter Hunger leiden' bekommt hier für den Zuschauer eine ganz eigene Bedeutung. Viele gehen. Die anderen bekommen: Hamsun satt. Übersatt. Es ist eine ausschweifende, szenisch vielgängige Castorf-Völlerei."
Ohne Magenverstimmung ist Castorfs "Hunger"-Inszenierung dagegen für Manuel Brug ausgegangen. Sein Urteil in der Tageszeitung DIE WELT: "Große Oper in der Burger-Bude."

In Sachsen-Anhalt in die Südsee

In der WELT sollten Sie unbedingt auch eine Seite weiter blättern. Marc Reichwein schweift durch die Ethno-Sammlungen des Weltreisenden Georg Forster, die im Wörlitzer Park jüngst eine feste Bleibe gefunden haben, und beginnt gut gelaunt:
"Brandenburg hat die Tropical Islands, ein Spaßbad in der Investorruine des Cargolifters, Sachsen-Anhalt aber hat die Südsee."
Falls Sie übrigens nicht wissen, was von diesem Forster zu halten ist, helfen wir gern: Forster wäre unser Alexander von Humboldt, falls es den später nicht auch noch gegeben hätte.
Okay, das war’s. Bleiben Sie frisch!
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