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Porträt Galiani Verlag
Neue Titel und schräge Autoren

Vielleicht haben sie in Berlin-Mitte die ideale Art gefunden, Bücher zu machen. Ihr Galiani Verlag jedenfalls verströmt den Reiz eines gemütlichen Kleinunternehmens und agiert dabei hochprofessionell und erfolgreich. Ein Besuch bei den Verlegern Esther Kormann und Wolfgang Hörner.

Von Holger Heimann | 25.06.2014
    Zu sehen ist der schwarze Schriftzug Verlag Galiani Berlin auf goldenem Untergrund
    Ein Logo des Galiani Verlags (picture alliance/dpa/Jens Kalaene)
    Das große Haus wirkt eher kühl und abweisend – dunkler Stein, viel Glas. Aber das unscheinbare Klingelschild lässt keinen Zweifel: Hier,in der Berliner Friedrichstraße hat der Galiani Verlag seine Büros. Wobei: Es ist eigentlich eher eine große Wohnung, die da vor fünf Jahren im dritten Stock bezogen wurde – mit großer Wohnküche, zwei kleineren Zimmern und einem Balkon zum rückseitigen Garten hin. Die Räume, in denen vier Schreibtische dicht beieinander stehen, erzählen viel über den Verlag. Die Atmosphäre gleicht der in einer großen WG. Die Lockerheit im Umgang lässt schnell vergessen, dass hier mit großen Ernst und viel Akribie gearbeitet wird. Laienhaft ist hier gar nichts, spürbar hingegen die Lust, mit der von vier Menschen Bücher in die Welt gebracht werden. Für Wolfgang Hörner, der den Verlag gemeinsam mit Esther Kormann 2009 gegründet hat, ist das freundschaftliche Miteinander eng verbunden mit seiner Auffassung vom Büchermachen.
    "Ich denke immer, dass Literatur nicht nur Wortkunst ist und Sachbuch nicht nur Informationsaustausch. Und ich sehe den Verlag in einer Art gesellschaftlicher Funktion, da geht es um die Gesamtheit eines Lebensentwurfs. Und ich finde, es ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens, wie man miteinander umgeht, in welchem Ton man miteinander umgeht. Dass man bei dem, was man tut, auch eine gemeinsame Freude hat. Und das ist der Versuch, das hier zu leben. Es ist nicht so, dass wir hier so ein Häkelverlag sind. Es ist eine hochprofessionelle Angelegenheit. Wobei wir das Wort nicht mögen würden, das hat so eine Kälte. Man kann seine Sache sehr gut machen und sehr genau wissen, was man tut, man muss es aber nicht wie ein Volkswirt tun."
    Hörner ohne Kormann? Nicht vorstellbar
    Hörner ist der Kopf, Kormann das Herz des Verlags. Seit mehr als 15 Jahren arbeiten sie zusammen. Wolfgang Hörner war zuvor Pressechef bei Eichborn in Frankfurt, aber in der Seele wohl schon immer eher Programm-Macher. 1998 ging er in die Hauptstadt und gründete Eichborn Berlin. Esther Kormann wurde seine Praktikantin. Zehn Jahre später trennten sich die beiden – von Eichborn. Dass sie gemeinsam weiter Bücher verlegen würden, haben sie nie infrage gestellt. Ohne einander – das scheint schlicht längst nicht mehr vorstellbar.
    "Es gab auch mal Angebote, den einen oder anderen Verlag vielleicht zu übernehmen. Und da war mir aber immer klar, wenn, dann nur, wenn Esther dabei ist. Weil man eben wunderbar zusammenarbeitet, und das kriegt man nicht so oft im Leben."
    Glück hatten beide nicht allein miteinander. Als der Eichborn Verlag in die Krise schlitterte, fanden sie in Kiepenheuer & Witsch einen neuen, geradezu idealen Partner. Während sie in Berlin wie ein Kleinverlag organisiert sind, können sie durch die Anbindung an das größere, zum Holtzbrinck Konzern gehörende Unternehmen in Köln, zugleich auf Augenhöhe mit den mächtigen Verlagshäusern im Land agieren. Wie schwierig es ohne den potenten Partner wäre, darüber macht sich Esther Kormann keine Illusionen.
    "Wenn wir zu zweit beschlossen hätten, wir machen einen kleinen Verlag, würden wir uns genauso professionell verhalten, würden aber niemals so erfolgreich sein können, weil wir nicht das Know-how hätten und den Zugriff auf den Buchhandel."
    Autoren im Wohnzimmer, Buchhändler am Esstisch
    Kiepenheuer & Witsch besorgt den Vertrieb der Galiani-Titel. Und während viele kleine Verlage in der Regel nur schwerlich den Sprung über die Schwelle der großen Buchhandelsketten schaffen, gehören die Bücher aus dem Galiani-Programm wie selbstverständlich zum Sortiment auch der Buchkaufhäuser. Hörner hat für die Berlin-Köln-Connection einmal die Formel vom "Wohnzimmerverlag mit Konzernanschluss" geprägt. Im Wohnzimmer sind häufig Autoren zu Gast und werden regelmäßig Buchhändler bekocht. Der große Tisch, der gleich neben Herd und Spüle steht, ist ein Geschenk von Sven Regener. Seit Esther Kormann das schriftstellerische Talent des Sängers der Berliner Band Element of Crime entdeckt hat, ist dieser zum Bestsellerautor von mittlerweile vier Romanen avanciert. Einen anderen Schriftsteller haben sie zurückgeholt auf die literarische Bühne. Peter Wawerzinek, der geniale Zampano vom Prenzlauer Berg, schien nach brutalen Alkohol-Exzessen nicht mehr auf die Beine zu kommen. Er war vergessen – bis bei Galiani sein großes Erinnerungsbuch an eine traumatische Kindheit, "Rabenliebe", erschien. Unlängst hat der triumphale Rückkehrer einen zweiten berührenden autobiografischen Roman, "Schluckspecht", veröffentlicht und darin seine Alkoholiker-Laufbahn in grellen Bildern, aber auch humorvoll nachgezeichnet. Es sind erstaunlicherweise gerade solche Autoren mit unkonventionellen Biografien und Zugängen zum Schreiben, die das Bild des Verlags besonders prägen.
    Offensichtlich haben wir eine Nase dafür, dass es keine Nische ist, sondern eine Unangepasstheit, die man – wann man es richtig macht – anderen Leuten vermitteln kann. Ich glaube darin liegt so ein bisschen der Eros der Geschichte. Dass man nicht eine Wunscherfüllungsmaschine ist oder bedient, was eh gewollt wird. Nein, man sucht Autoren, Texte, die ungewöhnlich sind. Aber wir verstehen uns nicht als Verlag, der die Orchidee um des Orchideelebens willens macht.
    Warum Galiani Galiani heißt
    Nach solchen eigenwilligen Texten forschen sie auch in vergangenen Jahrhunderten. Neuübersetzungen von Michail Bulgakow und Daniil Charms gehören deshalb ebenso zum Programm wie opulente Anthologien mit Beiträgen aus 2500 Jahren im großen Folio-Format. Das erste Buch des Verlags versammelte Texte des bei uns kaum bekannten Neapolitaners Ferdinando Galiani. "An allem interessiert und nie langweilig" – das war der Leitspruch des im 18. Jahrhundert lebenden Schriftstellers – und ein Grund, ihn zum Namenspatron zu machen. Der fremde und trotzdem einprägsame Klang des Italienischen hat die Verlagsgründer zusätzlich in ihrer Wahl bestärkt.
    "Wir stehen ja auch für Neugierde der Welt gegenüber. Es soll nicht so glatt geschliffen sein, es soll ein bisschen eckig sein, und man soll darüber nachdenken."
    Wahllos oder zufällig ist die Entscheidung für berühmte Autoren, die der Verlag in neuen Übersetzungen und prachtvoll gestalteten Ausgaben herausbringt, indes nicht. Sie fügen sich vielmehr ein in ein Programm, das immer wieder mit besonderen Büchern und Ideen überrascht.
    "Ich glaube, dass eine gewisse Humanität und Menschenfreundlichkeit, ein Interesse am Gegenüber, eine Neugier auf die Welt bei allen unseren Autoren da ist. Es gibt Zyniker, aber es sind warmherzige Zyniker. Es gibt Romantiker, aber sie haben dann meistens einen ironisch-kritischen Schuss. Wir haben selten Leute, die sich in einer pathetischen Weise wahnsinnig ernst nehmen. Wir haben schon immer Leute, die existenziell wichtige Sachen zu sagen haben, aber eher Autoren – und gerade bei den Klassikern –, die ein bisschen entweder mit einer Verwunderung vor sich selbst stehen oder sich auch hinterfragen, ihre Figuren hinterfragen, in den Romanen ein bisschen um die Ecke denken."
    Neben einer Neuübersetzung von "Die Natur der Dinge", Lukrez' großer Hymne auf das Leben, erscheint im Herbst auch ein weiterer von Alexander Nitzberg übertragener Bulgakow-Roman bei Galiani. "Die verfluchten Eier" ist eine irre Melange aus politischer Satire und Science-Fiction. Neue Bücher von Karen Duve und Hans Zischler gehören ebenfalls zum aktuellen Programm. Mehr als acht Titel sind es kaum je pro Saison, denn jedes Buch soll intensiv begleitet werden. Sich zu beschränken, gehört für Esther Kormann und Wolfgang Hörner zu den schwierigsten Dingen in ihrem Beruf. Denn für die zwei Verleger, die ein besonderes Sensorium haben für die Gegenwart und deren Neugier zugleich bis in antike Zeiten zurückreicht, nimmt die Zahl der Bücher, die sie gern publizieren würden, paradoxerweise ständig zu.