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Porträt
Johannes Kneifel: Skinhead, Mörder, Pastor

Es ist eine der wohl ungewöhnlichsten und verstörendsten Lebensbeichten und Wandlungsprozesse: Vom Skinhead und Mörder zum Pastor. Der aus Celle stammende Johannes Kneifel ist diesen Weg gegangen.

Von Christoph Richter | 09.06.2017
    Ex-Neonazi und Pastor Johannes Kneifel, aufgenommen in Köln.
    Ex-Neonazi und Pastor Johannes Kneifel. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    "Wie ist das Herr Kneifel, wenn man direkt ins Gefängnis muss? Was passiert dann? Kann das eine Lebenswende bedeuten? Herzlich willkommen, schön, dass Sie hier sind…"
    Friedhelm Kasparick ist Gefängnis-Seelsorger und Pfarrer in der Hallenser Paulusgemeinde im gleichnamigen gutbürgerlichen Hallenser Stadtteil - wegen seiner Uni-Nähe gilt es auch als das Professoren-Viertel. Fast keck begrüßt Kasparick seinen ganz speziellen Gast Johannes Kneifel. Einst Skinhead und Neonazi. Mit 17 Jahren hat er grundlos einen Gleichaltrigen totgeschlagen, jetzt ist er Pastor. Vor ein paar Jahren hat er seine Geschichte veröffentlicht. Damit tourt er nun durch Schulen, Jugendzentren oder Kirchengemeinden. Die Reihen im Hallenser Gemeindehaus der Paulusgemeinde sind nur spärlich gefüllt.
    "Mein Buch heißt 'Vom Saulus zum Paulus'. Ganz einfach, weil das ein sehr schönes Sprichwort ist".
    Wie in einem auswendig gelernten Vortrag
    Fast eineinhalb Stunden in erzählt Johannes Kneifel in eingeübten Sätzen von seinem – für viele sehr verstörenden – Lebensweg. Ein junger Mann, Jahrgang 1982, ausdrucksloses Gesicht.
    "All die Menschen, die wegen schlimmer Straftaten im Gefängnis landen, sind mehr oder weniger normal aufgewachsen. Haben Freud und Leid erlebt. Und haben ein paar Schlüsselmomente erlebt, haben sehr prägende Erfahrungen gehabt, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind".
    Wie in einem auswendig gelernten Vortrag referiert der in Celle geborene Kneifel die Geschichte seiner drei Leben: Skinhead, Mörder, Pastor. Wie er als Teenager mit 13 Jahren in die rechte Szene abrutschte, falsche Freunde fand. Kneifel berichtet von einer Jugend verpasster Chancen, an dessen vorläufigen Ende der Tod von Peter Deutschmann steht. Der ihn mal auf seine rechte Gesinnung ansprach, weshalb ihn Kneifel im Alkoholexzess so lange trat, bis sich sein Opfer nicht mehr bewegte.
    "Ich habe natürlich aus meinem vorherigen Leben gelernt. Manche sagen ja, man müsse sein Leben bereuen. Ich glaube aber, es bringt nichts, einfach nur zu bereuen und sich schlecht zu fühlen, sondern viel entscheidender ist, aus den Fehlern zu lernen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, die mir helfen, sich anders zu verhalten."
    Seine Sozialprognose war mies
    Im Gefängnis wandelte sich der Neonazi Kneifel zum Christen, studiert Theologie. Der Knast – insbesondere die Gottesdienste dort - erzählt Kneifel, haben ihm die Augen geöffnet. Seine Sozialprognose war mies, er galt als hochgefährlich, mehrfach musste er in der Jugendstrafanstalt in Hameln in Isolationshaft.
    "Ich habe im Gefängnis mit einem Psychologen (*) reden müssen, der hat immer gesagt, dass er mich für nicht therapierbar hält. Dass ich schon als gefährlicher Mensch ins Gefängnis gekommen bin, dass ich noch gefährlicher geworden bin".
    Doch Kneifel fängt sich während der fünfjährigen Haftzeit. Heute sei er ein anderer Mensch, der Glauben habe ihm die Augen geöffnet, sagt er. Ein Satz, den er während seines Vortrags mehrfach wiederholt.
    Kneifel will mit seinem Buch rechten Gewalttätern, Neonazis und Skinheads, die aussteigen wollen, Mut machen.
    "Ich mach das, weil es eine der wenigen Geschichten dieser Art ist. Ich wünschte mir, dass es viel mehr Menschen gelingt. Es sitzen ja etliche tausend in den Jugendgefängnissen, Zehntausende in den Erwachsenengefängnissen, leider schaffen es nur wenige danach in die Gesellschaft zurück. Ich mach es, um den Leuten Mut zu machen, dass sie den Ausstieg schaffen können, wie ich es geschafft habe".
    Es gibt eine Schwachstelle in seiner Lebenserzählung
    Der Name des Opfers fällt dabei jedoch nie. Als ob er ihn aus dem Gedächtnis tilgen wolle. Stattdessen schildert Johannes Kneifel – ein muskulöser Mann, Mitte 30, schmale grün-blaue Augen - sein Leben als Achterbahnfahrt, als Problemfall. "Alles ziemlich trostlos".
    Im mitunter larmoyanten Tonfall rutscht er immer wieder ins Selbstmitleid. Gerade das irritiert so manchen Zuhörer während der Lesung. "Mir hat etwas gefehlt, sie haben nie über das Opfer, die Angehörigen des Opfers gesprochen".
    Stimmt, antwortet Johannes Kneifel, die Augen des 35-Jährigen flackern unruhig. Es ist die Schwachstelle seiner Lebenserzählung, die er cool runter rattert. Denn der Name Peter Deutschmann aus Eschede macht ihm immer wieder klar, dass er das Leben eines Menschen auf dem Gewissen hat, der jetzt genauso alt wie Kneifel wär. Weshalb er an dieser Stelle gern Halt sucht, von Buße spricht. Dass Jesus Christus seine Leiden auf sich genommen hat, wie er sagt. Und: Jeder habe eine zweite Chance verdient.
    17 Jahre liegt die Tat nun zurück. Doch die Vergangenheit lässt Johannes Kneifel nie los. Das merkte er spätestens an dem Punkt, als er im sächsischen Zwickau lebte, seine Ex-Freundin ihn wegen seiner Geschichte verlies. Nicht aus freien Stücken, denn die Umgebung machte Druck. Er solle sich bitte von seiner Ex-Freundin fernhalten, sagt man ihm, wie Kneifel erzählt. Aber nicht nur das, auch die Jobsuche ist schwierig.
    Jackett statt Bomberjacke
    "Genau. Bin gerade nirgends angestellt. Ich lebe als Freiberufler. Halte Vorträge, gehe in Schulen, mache Präventionsunterricht, predige in verschiedenen Kirchen auch. Aber ich habe keine Anstellung, suche nach einem Betätigungsfeld in einer Gemeinde. Hoffe, dass ich da bald meinen Platz finde."
    Doch das ist schwieriger als gedacht, erzählt er. Noch immer will er nach seinem Studium an einer theologischen Hochschule in Elstal bei Berlin ein Vikariat machen, die Voraussetzung für ein richtiges Pfarramt. Doch die Kirche macht es ihm nicht leicht, hadert mit seiner Geschichte, erzählt Johannes Kneifel. Er habe das Gefühl, "dass ich da manchmal etwas größere Schwierigkeiten habe, als ernsthafter Kandidat für Pastorenstellen in Frage zu kommen als Leute mit glatten Biografien. Es menschelt auch in den Kirchen sehr."
    Johannes Kneifel trägt heute keine Bomberjacke, sondern Jackett. Einige der Zuhörer in Halle sind betroffen, andere reiben sich verwundert die Augen. Über einen jungen Mann, der einen echten Wandel im Leben hingekriegt hat: Vom hasserfüllten rechten Totschläger hin zum netten Pastor von nebenan.
    (*) Redaktioneller Vermerk: In einer ursprünglichen Version war die Berufsbezeichnung an dieser Stelle falsch transkribiert.