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Portrait einer Männerfreundschaft

Die englische Tageszeitung "Independent" nannte sie einst wenig respektvoll einen "heulenden Ferrari auf der überfüllten Straße der Krimiliteratur". Doch an dem Tag, an dem Val McDermid in Köln ihren Lesern Rede und Antwort steht, erinnert sie eher an ein solides Rheinschiff, das - hochbeladen mit einer brisanten Fracht - den Fluss aufwärts tuckert. Stetig, zielbewusst, ohne Zweifel auf dem richten Weg. Und ohne Interesse daran, ob womöglich hie und da schon der Lack abblättert. Hauptsache der Motor funktioniert.

Von Ingrid Müller-Münch | 01.03.2005
    Val McDermid, die schottische Krimiautorin, ist eine professionelle Geschichtenfledderin, wenn man so will. Und da ist sie gnadenlos. Wie bei dem Abendessen, in dessen Verlauf sie plötzlich auf die Idee für ihren neuesten Krimi kam:

    Die Idee für den Krimi "Echo einer Winternacht" kam, als eine Freundin mir eines Tages während eines Abendessens folgende Anekdote erzählte: Ihr Sohn ist Medizinstudent. Eines Nachts kam er gemeinsam mit drei Kommilitonen spät aus einem Pub. Plötzlich sahen sie einen Mann, der von mehreren Personen zusammengeschlagen wurde. Die Studenten vertrieben die Angreifer. Immerhin waren sie kräftige junge Männer, auch wenn sie in der Nacht ziemlich betrunken waren. Anschließend versuchten sie, dem Opfer zu helfen. Der geprügelte Mann lag auf dem Boden, blutete und war ziemlich böse zugerichtet. Während die Studenten noch erste Hilfe leisteten, traf die Polizei ein. Für die war zunächst klar, dass es sich bei den vier jungen Männern, die sich da blutverschmiert über den Verletzten beugten, um die Angreifer handeln musste. Glücklicherweise war das Opfer bei Bewusstsein, konnte diesen Irrtum aufklären. Als meine Freundin mir diese Geschichte erzählte dachte ich zwar, wie gut für ihren Sohn, dass die Sache sich so aufgelöst hat. Aber gleich darauf fiel mir ein, was für eine tolle Geschichte das erst gewesen wäre, wenn der Typ gestorben wäre oder bewusstlos nicht in der Lage gewesen wäre, der Polizei den wahren Hergang zu schildern. In dem Fall wären die Helfer in Verdacht geraten. Diese kleine, beim Abendessen erzählte Geschichte war der Auslöser für meinen Krimi.

    Val McDermid erzählt den Ursprung ihres neuesten Krimis ein klein wenig schamvoll. Aber auch nur ein klein wenig. Eher so wie jemand, dem es von Berufswegen zusteht, derart zu nassauern und dann daraus das Beste zu machen. Das Beste heißt in diesem Fall "Echo einer Winternacht", wurde in England im vergangenen Jahr als "Best British Crime Novel" mit einem anerkannten Preis ausgezeichnet. Und verwirrt nun die deutschen Leser so gut es geht. Die Ähnlichkeit mit der Anekdote beim Abendessen ist verblüffend.

    Das Buch handelt von vier jungen Männern, die betrunken von einer Party nach Hause gehen. Es ist Dezember, eine kalte Nacht voller Schnee. Auf ihrem Weg zurück in die Studentenbuden, in denen sie wohnen, stolpern sie über eine im Sterben liegende junge Frau. Sie kennen diese Frau. Sie arbeitet in einer Bar, in der sie oft einkehren. Die junge Frau stirbt. Und plötzlich stehen die vier im Verdacht, ihre Mörder zu sein. Sie waren am Ort des Geschehens, sie kannten das Opfer, haben sein Blut an ihren Kleidern.

    Boris Aljinovic: 1978. St. Andrews. Schottland. Es war vier Uhr morgens, mitten im Dezember. Vier verschwommene Gestalten schwankten im Schneesturm, den der Nordostwind nach Lust und Laune vom Ural her über die Nordsee trieb.

    1978. In diesem Jahr spielt der erste Teil ihres Krimis. Ein Teil, der vom Leser Geduld erfordert. Denn die Suche nach dem Mörder dauert und dauert und dauert. Was leicht frustierend wirkt. Wie gerne hätte man schon in diesem ersten Romanteil wenigstens ein kleines Zwischenergebnis!

    Das Buch handelt von den direkten Folgen dieses Verbrechens. Davon, dass die vier jungen Männer in Verdacht gerieten, auch wenn sie niemals verhaftet wurden. Es zeigt, welche Langzeit-Auswirkungen dieser Verdachts auf das Leben der vier Männer hat. Wie ein solcher Mord die Familie des Opfers beeinflusst, welche Auswirkungen er auf das Leben der ermittelnden Polizisten hat, vor allem aber auf die unter Verdacht geratenen vier Männer, die ja 25 Jahre später, in der zweiten Hälfte des Romans, schon in fortgeschrittenem Alter sind. Was hat der Mord mit ihnen gemacht, wie hat er sie verändert?
    25 Jahre später kommt endlich Schwung in die Angelegenheit. Auch wenn der Leser schon bald ahnt, wer der Täter sein könnte. Aber das Miteinander der vier Freunde, die sich nach dem Verbrechen lange Jahre aus den Augen verloren, ihr Umgang mit dem immer noch auf ihnen lastenden Verdacht - das ist der Kernpunkt dieses Krimis.

    Dann tauchen natürlich noch mehr Tote auf. Es handelt sich ja um einen Krimi. Der lang zurückliegende Mord wird zwar letztendlich aufgeklärt. Nicht zuletzt über die neu verübten Morde. Nicht zuletzt deshalb, weil einem der vier Verdächtigen klar wird, dass er sein eigenes Leben nur dann retten kann, wenn er aufklärt, was in jener Winternacht vor 25 Jahren wirklich passiert ist.
    Für all dies braucht Val McDermid Zeit. Und nichts liebt sie so sehr, wie einen Roman aufzusplitten: in eine Phase von Anno Dazumal und eine, die im Hier und Jetzt spielt. In dem Krimi "Ein Ort für die Ewigkeit" - immerhin über 300.000 mal in Deutschland verkauft - hat sie dies mit Bravour geschafft und sich hier einen Namen gemacht. In ihrem neuesten, "Echo einer Winternacht" gelingt ihr das detaillierte Portrait einer Männerfreundschaft, die einer harten Prüfung unterzogen wird. In der man sich gegenseitig beäugt. Keiner traut dem anderen mehr. Es entsteht genau die Atmosphäre von Argwohn und Misstrauen, in die Val McDermid so gerne ihre Protagonisten plaziert. Um dann zu beschreiben, wie jemand sich abstrampelt, wie das Gute, aber auch das Böse, das Kleinliche und Peinliche an die Oberfläche kommen. Psychologische Studien, an der die Schottin ihre diebische Freude hat. Ihre neueste hätte kürzer sein dürfen, straffer konzipiert. Ist aber dennoch für Leser, die sich trauen, mal die eine oder andere Seite zu überblättern, durchaus ein Genuss. Val McDermid jedenfalls hatte ihren Spaß beim Krimischreiben.

    Ich liebe es. Es ist das, was ich um alles in der Welt immer tun wollte. Und nun werde ich auch noch dafür bezahlt.