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Portugal
Bildungsdebatte nach Merkel-Äußerung

Angela Merkel hat mit einer Bemerkung über die portugiesische Bildungslandschaft in Portugal eine Bildungsdebatte ausgelöst. Sogar der konservative Arbeitsminister Pedro Mota Soares widersprach der Bundeskanzlerin.

Von Tilo Wagner | 14.11.2014
    "Das ist etwas, was wir natürlich wegbringen müssen, ansonsten werden wir auch Ländern wie Spanien und Portugal, die viel zu viele Hochschulabsolventen haben und heute nach der beruflichen Ausbildung schauen, nicht beweisen können, dass das gut ist."
    Mehr war es nicht. In ihrer halbstündigen Rede auf dem Arbeitgebertag in Berlin in der vergangenen Woche erwähnte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem einzigen Nebensatz die Situation der Hochschulabsolventen in Portugal. Doch im Südwesten Europas schaut man seit ein paar Jahren ganz genau hin, wenn die Bundeskanzlerin über Portugal spricht.
    Die portugiesischen Medien griffen das Thema sofort auf. Im Internet machte sich Empörung breit über eine deutsche Regierungschefin, die scheinbar mal wieder schlecht über Südeuropa spreche. "Es gibt in Portugal nicht zu viele Hochschulabsolventen, aber in Europa ganz gewiss zu viel Merkel," kommentierte eine Regionalpolitikerin. Und auch Arbeitsminister Pedro Mota Soares tat etwas, was die konservative Zentralregierung in Lissabon in den vergangenen drei Jahren nur selten getan hat: Er widersprach der Bundeskanzlerin:
    "Die Arbeitsplätze, die jetzt gerade in Portugal geschaffen werden, sind Jobs mit höheren Qualifikationsansprüchen. Und hier setzten wir ein Zeichen gegen schlechte Arbeitsverhältnisse. Ich habe immer gesagt, dass wir mehr Uniabsolventen brauchen, und mehr Weiterbildung bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern."
    Augusto Amaral hat ein Dutzend Grafiken ausgedruckt und vor sich ausgebreitet. Er beschäftigt sich in Lissabon seit fünf Jahren damit, wie Hochschul- oder Berufsausbildung sich auf eine zukünftige Arbeitslosigkeit auswirken. Er arbeitet bei der Agentur, die das portugiesische Hochschulsystem evaluiert.
    Arbeitslosenquote unter Akademikern geringer
    Laut OECD, sagt Amaral, hätten nur 19 Prozent der Portugiesen zwischen 25 und 64 Jahren einen Uniabschluss. In Deutschland seien es 28 Prozent. Deshalb, so der Bildungsexperte Amaral, habe Angela Merkel in diesem Punkt wirklich unrecht:
    "Es stimmt einfach nicht, dass wir zu viele Uniabsolventen hätten. Im europäischen Vergleich und hinsichtlich der EU-Strategie "Allgemeine und berufliche Bildung 2020" haben wir auch im akademischen Bereich noch viel aufzuholen. Es ist in Portugal jedoch spürbar, dass wir zurzeit an den Universitäten Leute ausbilden, die hier wegen der Wirtschaftskrise gerade nicht gebraucht werden."
    Deshalb steigt in Portugal auch das Interesse an der dualen Berufsausbildung. Augusto Amaral findet, die Bundeskanzlerin tue gut daran, die Bedeutung qualifizierter Arbeitnehmer hervorzuheben:
    "In Portugal gab es vor 40 Jahren gute Berufsschulen, aber die sind leider dann verschwunden und man hat sich vor allem auf die gymnasiale Ausbildung konzentriert. Mit sehr negativen Folgen. Denn diejenigen, die die Hochschulreife nicht erhalten haben, hatten dann gar keinen Abschluss. In diesem Punkt hat Angela Merkel recht. Hier wurden große Fehler gemacht, und ich hoffe, dass wir das bald korrigieren."
    Obwohl die Arbeitslosenquote unter Akademikern wesentlich geringer ist als unter den schlechter qualifizierten Arbeitnehmern, haben auch viele Uniabsolventen in ihrem Bereich keinen Job gefunden. Das liege aber eher an den Vorurteilen der Unternehmer, die selbst schlecht ausgebildet seien, sagt Augusto Amaral:
    "Eine Studie aus dem Jahr 2008/2009 zeigt, dass 80 Prozent der Arbeitgeber in Portugal höchstens die neunte Schulklasse besucht haben - das heißt, sie sind einfach sehr schlecht ausgebildet. Und sie sind das größte Hindernis für die Einstellung von Uniabsolventen. Diese Arbeitgeber wollen sich einfach keine Akademiker in die Firma holen, weil sie ihre eigene innere Rangordnung und ihren Führungsanspruch nicht von besser Qualifizierten infrage gestellt sehen wollen. Hier liegt ein ganz großes Problem."