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Portugal
Neue Heimat für Ukrainer auf der Flucht

Vor über einem Jahrzehnt lebten 60.000 Ukrainer in Portugal, es war damals die größte Migrantengruppe in Portugal. Mit der Wirtschaftskrise dort gingen viele Ukrainer zurück in ihre Heimat. Durch den russisch-ukrainischen Konflikts fliehen jetzt wieder viele - auf der Suche nach Freiheit und Demokratie landen sie in Portugal.

Von Tilo Wagner | 21.10.2014
    Der Gottesdienst in der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in Lissabon ist gut besucht. Pfarrer Eliah geht in seiner Predigt immer wieder auf den Krieg in der ukrainischen Heimat ein und erinnert daran, dass die Lissabonner Gemeinde den Landsleuten in Osteuropa auch weiterhin unter die Arme greifen werde.
    Mit dem Portugiesischen hat Pfarrer Eliah noch seine Schwierigkeiten. Er ist erst seit knapp zwei Jahren in Portugal. Die Gemeinde, erzählt der Pfarrer, sammelt Geld, Kleider, Essen und sogar Helme für die Landsleute an der ukrainisch-russischen Front. Ein ukrainischer Bauunternehmer aus Portugal hat einen alten Kleintransporter gestiftet, der zusammen mit den Spenden gerade in die notbedürftige Region in der Ostukraine gefahren wurde.
    Pavlo Sadokha saß vier Tage lang am Steuer, um den Wagen quer durch Europa direkt an die Front zu fahren. Der 44-Jährige studierte Wirtschaftswissenschaftler kam vor 14 Jahren nach Portugal, zeitgleich mit Tausenden ukrainischen Migranten, die auf der Suche nach einem besseren Leben in den Westen aufbrachen. In Portugal herrschte damals noch Goldgräberstimmung und im boomenden Baugewerbe fand auch Pavlo zunächst einen Arbeitsplatz. Dann kam die Wirtschaftskrise, unter der auch die Migranten stark litten. Einige gingen zurück in die Heimat oder suchten woanders ihr Glück. Doch der Konflikt in der Ukraine lässt das Interesse an Portugal jetzt wieder erstarken:
    "Ich war gerade eben im Konfliktgebiet in der Ost-Ukraine. Man sieht sehr viele Menschen, die flüchten wollen. Viele kommen in anderen Gebieten der Ukraine unter, aber diejenige, die etwas mehr Geld haben, wollen ins Ausland. Es ist noch kein großer Ansturm, aber wir stellen fest, dass mehr Ukrainer nach Portugal kommen."
    Pavlo ist Präsident des Vereins ukrainischer Migranten in Portugal. Er hat den Eindruck, dass vor allem junge Männer, die nicht in den Krieg ziehen wollen, in Portugal Fuß fassen. Doch unter den Neuankömmlingen finden sich auch Menschen, die sich in der Ukraine zurzeit einfach nicht mehr sicher fühlen.
    "Die politische Krise hat viele aus dem Land getrieben"
    Elena Lyubarska sitzt im leichten Sommerkleid in einem Café an der Küste und schaut aufs Meer. Das angenehme Klima in Portugal, sagt sie, sei nicht der Grund, warum sie nach Südeuropa gegangen sei. Die Chirurgin ist zu Beginn der politischen Krise in der Ukraine ihrem Mann nach Portugal gefolgt, obwohl sie in Kiew eine gut gehende Praxis hatte und jetzt in Portugal ihren Beruf noch nicht ausüben darf:
    "Natürlich ist es wichtig, ob es einem wirtschaftlich gut oder schlecht geht. Aber viel wichtiger ist mir, ob ich in einem Rechtsstaat lebe oder nicht. Und Portugal ist ein Rechtsstaat. Das gefällt mir. Hier fühle ich mich wirklich frei. Wenn man einmal in einem demokratischen Staat gelebt hat, dann gewöhnt man sich schnell an die Vorteile."
    Das Schicksal ihrer Nation lässt Elena jedoch nicht kalt. Deshalb ging sie im vergangen Winter für ein paar Wochen zurück nach Kiew, um den Demonstranten auf dem Maidan erste ärztliche Hilfe zu leisten. Für ihre Nation sei das ein Schlüsselmoment gewesen, der auch ihr Exilleben in Portugal verändert habe:
    "Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie wir zu einer Nation zusammen gewachsen sind. Ich fühle, dass ich in der Ukraine gebraucht werde. Natürlich sind meine Aufgaben hier in Portugal auch wichtig, aber in meiner Heimat kann ich als Ärztin helfen."
    Elena engagiert sich in der ukrainischen Gemeinde in Lissabon. Sie sammelt Spenden, bereitet die ukrainischen Parlamentswahlen vor, an der auch die Migranten in Portugal am nächsten Sonntag teilnehmen können, und sie hilft ihren Landsleuten bei der Eingewöhnung.
    Die Solidarität mit dem Vaterland sei unter den Migranten sehr groß. Und trotzdem fürchtet sie, dass insbesondere Wehrdienstpflichtige, die vor dem Krieg geflüchtet sind, auch in der ukrainischen Gemeinde in Portugal schlecht Fuß fassen werden:
    "Unsere Gemeinde ist sehr patriotisch. Wir suchen den Kontakt zu unserem Vaterland, unserer Sprache und unserer Tradition. Wenn jemand in der jetzigen Situation vor dem Wehrdienst geflüchtet ist und sich versteckt, dann wird er sich auch uns gegenüber nicht sichtbar machen."