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Portugal streitet über ein neues Mietgesetz

Zahlreiche Portugiesen zahlen dank alter Mietverträge nur 60 Euro für ihre Wohnung. Wegen eines Gesetzes müssen die Mieten aber neu verhandelt werden. Während arme Menschen Angst vor der Obdachlosigkeit haben, hofft der Staat auf eine Belebung des Immobilienmarkts.

Von Tilo Wagner | 25.04.2013
    Es ist zehn Uhr morgens. Seit einer Stunde haben die Türen eines Lissabonner Mietervereins geöffnet. Der Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, Wartenummern gibt es schon jetzt nicht mehr. Vor der Tür steht João Anjos und raucht eine Zigarette. In der Mietwohnung des 58-jährigen Kioskbetreibers lebte schon seine Urgroßmutter – damals war Portugal noch eine Monarchie:

    "Ich zahle monatlich 40 Euro für die kleine Dachwohnung. Ich lebe schon immer da, jetzt mit meiner Frau, aber die Wohnung ist so klein, dass wir noch eine Garage anmieten müssen, um unser Zeug unterzustellen. Jetzt hab ich Post erhalten von meinem Vermieter. Er will nun 250 Euro haben – das ist doch nicht fair! Solange ich arbeite, schaffen wir das noch, aber was ist, wenn ich pensioniert werde und nur meine winzige Rente erhalte?"

    Seit einem halben Jahr ist das neue Mietgesetz in Kraft, das die konservative Regierung auf den Weg gebracht hat. Doch die weitreichenden Konsequenzen für Mieter und Vermieter zeichnen sich erst jetzt ab. Mit dem Gesetz müssen über 770.000 Mietverträge in ganz Portugal neu verhandelt werden. Knapp ein Drittel dieser Verträge war seit Jahrzehnten auf einem sehr niedrigen Preisniveau eingefroren worden und das hat zu großen Verzerrungen auf dem Mietmarkt geführt. Für eine Siebenzimmerwohnung in einer noblen Gegend bezahlten Lissabonner entweder 60 Euro oder 2.000, je nachdem, ob sie in einem alten Mietverhältnis standen oder nicht. Wohnhäuser mit vielen alten Mietverträgen waren so chronisch unterfinanziert. Die Immobilienexpertin Sofia Coutinho glaubt, dass das neue Gesetz die Investition in Immobilien fördern und gleichzeitig eine wirtschaftliche Schieflage beseitigen könnte:

    "In der gegenwärtigen Krise hat die Troika auf die Umsetzung eines neuen Mietgesetzes gepocht. Damit soll der Mietmarkt neu belebt werden. Denn die Portugiesen haben lange Zeit und in einem viel größeren Umfang als in Deutschland Wohnungen kreditfinanziert gekauft und nicht gemietet."

    Ein Teil der Überschuldung portugiesischer Haushalte resultiert aus dieser Schieflage auf dem Immobilienmarkt. Gleichzeitig braucht der Markt neue Anreize zur Instandhaltung der Gebäude. Laut Schätzungen sind rund 1,9 Millionen Objekte in einem schlechten Zustand, über 300.000 müssten sofort saniert werden.

    Das neue Mietgesetz regelt auch gewerbliche Verträge. Ob Cafés, Boutiquen oder Einzelhandel – viele portugiesische Betriebe müssen mit einer saftigen Erhöhung ihrer Mietkosten rechnen. Nach Steuererhöhungen, gestiegenen Energiepreisen und immer schwierigerem Zugang zu Krediten könnten Wuchermieten nun der Todesstoß für das Gewerbe sein. Das befürchtet Carla Salsinha, Präsidentin des Einzelhandels- und Dienstleistungsverbandes:

    "In dieser schweren Krise in Portugal und Europa kann niemand erwarten, dass ein Café plötzlich eine Miete von 8.000 Euro bezahlt. Wenn die Vermieter nur nach ihren Interessen gehen, dann könnten in fünf Jahren bis zu 50 Prozent der Betriebe schließen."

    Ein neues Mietgesetz wurde seit vielen Jahren besprochen, aber nie umgesetzt. Denn die Reform schürt auch soziale Konflikte. Viele Mieter mit sehr günstigen Vertragsbedingungen sind alt, arm oder beides. Das Gesetz hat Ausnahmeregelungen geschaffen: Mieter, die über 65 Jahre alt oder behindert sind, dürfen ihre alten Verträge behalten. Jüngere Anwohner mit geringem Einkommen sind zwar fünf Jahre lang vor Wucherpreise gesetzlich geschützt. Dennoch werden die Mietpreise von vielen sozial schwächeren Portugiesen so stark ansteigen, dass ihnen nur eine Möglichkeit bleibt: Sie müssen ihre Wohnung aufgeben. Die eingefrorenen Mieten waren auch Teil einer versteckten sozialen Wohnpolitik. Deshalb ruft António Machado, Präsident des Lissabonner Mieterverbandes, den Staat jetzt zur Verantwortung:

    "Der Artikel 65 unserer Verfassung sagt ganz klar, dass der Staat jedem Bürger das Recht auf eine würdige Behausung garantieren muss, und zwar unabhängig vom Einkommen. Wenn ich also nicht genügend verdiene, um die Miete zu bezahlen, muss der Staat mich unterstützen."

    In Zeiten einer rigorosen Sparpolitik ist nicht zu erwarten, dass der portugiesische Staat Geld für den sozialen Wohnungsbau oder für Mietzuschüsse aufbringen kann. Die Regierung hat eine Kommission beauftragt, Lösungsvorschläge für die vielseitigen Konflikte zu erarbeiten. Eins ist sicher: Die vielen Baustellen, die das neue Mietgesetz aufgerissen hat, lassen sich nicht so einfach wieder auflösen.